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verschiedene: Die Gartenlaube (1854)

Fortschritte machen mußte, um den Anforderungen des neuen Industriezweiges zu genügen. Sehen wir, wie es mit dieser damals aussah.

Der Sauerstoff verbindet sich bei dem Verbrennen des Schwefels mit diesem nur zu schwefliger Säure, die den bekannten erstickenden Geruch verursacht. Geschieht dies aber in einem abgeschlossenen Raum, der Feuchtigkeit enthält, z. B. unter Glasglocken, so daß die schweflige Säure, ein Gas, von dem Wasser verschluckt wird, so nimmt sie nach und nach, freilich sehr langsam, mehr Sauerstoff auf und verwandelt sich in Schwefelsäure. Und auf diese Art bereitete man in älterer Zeit in der That die Schwefelsäure. Lefebvre und Lemery erkannten gegen Ende des 17. Jahrhunderts, daß sogleich bei der Verbrennung Schwefelsäure entstehe, wenn man den Schwefel mit Salpeter gemengt habe. Bei der Darstellung dienten große, gläserne Glocken von 100 bis 200 Quart Inhalt, die man später in England durch mit Blei bekleidete Kammern ersetzte. Diese Bereitungsart war eine sehr theure, denn aller Sauerstoff wurde hier von dem Salpeter geliefert. Bis dahin, wo der Verbrauch dieser Säure durch die Sodafabrikation ungeheuer stieg, kannte man die wichtige Rolle nicht, welche jetzt die atmosphärische Luft bei der Bildung der Schwefelsäure spielt.

Sorgfältige Untersuchungen von Clement und Desormes zeigten, daß 9/10 des nöthigen Sauerstoffes von der Luft geliefert werden könne und die Salpetersäure bei der Bildung der Schwefelsäure zumeist nur einen sehr geringen Antheil daran habe. Bei Gegenwart von Wasserdämpfen überträgt die Salpetersäure einen Theil ihres Sauerstoffs an die schweflige Säure und wird dadurch selbst in Stickoxydgas verwandelt. Dies kann aber als solches nicht an der Luft bestehen, augenblicklich verwandelt sich das farblose Gas, indem es Sauerstoff aufnimmt, in ein blutrothes – in salpetrige Säure, die wiederum ihrerseits einen Theil ihres Sauerstoffs zur Bildung der Schwefelsäure hergiebt, so daß das Spiel immer wieder von Neuem beginnt bis alle schweflige Säure in Schwefelsäure verwandelt worden ist. Sehr günstig wirkt hierbei die Wärme; ohne sie würde die Schwefelsäure eine bedeutende Menge des Stickoxydgases verschlucken, die dann direkt durch Salpetersäure zu ersetzen wäre. So wären demnach also geringfügige Mengen von Salpetersäure hinreichend unendliche Mengen von Schwefelsäure zu liefern, – wenn nicht bei der Darstellung im Großen unvermeidliche Umstände geringe Verluste herbeiführten. Ein andauernder Luftstrom muß die nöthigen Sauerstoffmengen liefern und für Fortschaffung des übrigbleibenden Stickstoffs sorgen; mit diesem geht dann auch stets Stickoxydgas oder salpetrige Säure verloren.

Nichts destoweniger hat die Schwefelsäurefabrikation eine solche Vollendung erlangt, wie wir sie kaum bei einem anderen chemischen Proceß, der fabrikmäßig betrieben wird, wiederfinden. Dies lehrt uns die Uebereinstimmung der Resultate der Praxis mit den Rechnungen der Theorie. Noch zu Ende des vorigen Jahrhunderts erhielt man aus 100 Pfund Schwefel höchstens nur 200 Pfund Schwefelsäure, nach und nach stieg die Ausbeute auf 250 und jetzt gewinnt man durchschnittlich 310 Pfund einer Säure, die aber immer mehr Wasser enthält, so daß sie 288 Pfund einer bestimmten Verbindung der Säure mit Wasser entsprechen, von der man der Theorie nach 306 Pfund erzielen sollte. Der Verlust an Schwefel beträgt demnach nur 6 Procent, ein sehr günstiges Resultat.

Anders steht es bei der Sodafabrikation. Man erhält aus dem Glaubersalz nur 33 Procent an kohlensaurem Natron. Weiter kommt hierbei in Betracht, daß alle hierzu gebrauchte Schwefelsäure verloren geht, weil der Schwefel, der bedeutenden Kosten wegen, aus der abfallenden Kalkverbindung nicht wieder gewonnen werden kann. Dann entsteht ferner bei der Zersetzung des Kochsalzes Salzsäure – Chlorwasserstoffsäure, in so großer Menge, daß sie auch nur zum Theil verwerthet werden kann, obgleich man da, wo man nach wissenschaftlichen Grundsätzen operirt, mit der Sodafabrikation noch andere verbunden hat, welche der Salzsäure bedürfen. Diese entweichende Salzsäure hat den englischen Fabrikanten vielfachen Verdruß und manche schlaflose Nacht zugezogen, da sie, wenn man sie fortfließen ließ, das Wasser der Flüsse sauer und die Fische sterben machte oder wenn sie als Gas in die Lust stieg, ringsum die Vegetation vernichtete, bis man Schornsteine von der Höhe des Straßburger Münster baute, die oft, wie z. B. zwischen Liverpool und Manchester 1 Million Ziegel in sich fassen, und so das schädliche Gas in die höheren Luftschichten leitete. In Deutschland weiß man bei dem kleinen Betriebe von dieser Sorge wenig; hier findet die Salzsäure ihre Abnehmer, besonders da in den Runkelrübenzuckerfabriken enorme Mengen zur Wiederbelebung der Knochenkohle gebraucht werden. Großen Gewinn bringt sie dem Fabrikanten jedoch nicht, da das Pfund um wenige Pfennige verkauft wird.

Alle diese Uebelstände erkannte man schon früh, aber Abhülfe hat ihnen noch nicht gewährt werden können. Noch immer wird das von Leblanc angegebene Verfahren trotz seiner Unvollkommenheiten im Wesentlichen ganz so befolgt wie vor 60 Jahren. An Vorschlägen hat es freilich nicht gefehlt, aber das Unmögliche kann auch der Chemiker nicht möglich machen, wenigstens nicht nach dem jetzigen Stande der Wissenschaft. Man muß die Sache von einer andern Seite angreifen und dazu sind bereits Vorschläge gemacht. Die Natur bietet uns eine unerschöpfliche Quelle für das schwefelsaure Natron in den Rückständen bei der Bereitung des Meersalzes. Balard hat diesen Vorschlag bereits in Frankreich zur Ausführung gebracht und dafür auf der Londner Ausstellung eine Medaille erhalten. Er hofft es dahin zu bringen, daß Frankreich mit der Zeit 175,000 Centner Schwefel weniger aus Sicilien beziehen werde.

Leider giebt es noch keine vollständige Statistik der chemischen Gewerbe; daher müssen wir uns von der Bedeutung dieser beiden Fabrikationszweige auf Umwegen einen Begriff zu machen suchen. Für die Schwefelsäure giebt uns die Schwefelausfuhr von Sicilien einen Anhalt; von hier bezieht die ganze industrielle Welt ihren Bedarf, denn was die übrigen Länder erzeugen, bietet nur einen sehr geringen Bruchtheil. In den Schwefelgruben dort sind 3000 Arbeiter und 4000 Kinder beschäftigt und für die Fortschaffung bis zur Küste sorgen 10,000 Lastthiere und 3000 Treiber. Deutschland bezog 1852 von dort 150,000, Frankreich 495,080 und England 705,147 Centner, fast die Hälfte der gesammten Ausfuhr (1,896,000 Centner). Freilich werden hiervon bedeutende Mengen zu andern Zwecken verbraucht, namentlich zum Schießpulver, der Hauptantheil fällt jedoch immer auf die Schwefelsäure.

Liebig hat den Satz aufgestellt, daß die Erzeugung und der Verbrauch an Schwefelsäure in einem Lande den Maaßstab abgebe für die Industrie und den Wohlstand desselben. Zu genau darf man es jedoch mit solchen Behauptungen nicht nehmen, denn sie sind immer nur bis zu einem gewissen Sinne wahr. Gewiß übt die Schwefelsäure einen hohen Einfluß auf die gesammte Industrie aus, der noch mehr gehoben wird durch die erstaunenswerthe Billigkeit, die dieses Präparat, obgleich der Hauptbestandtheil dazu weit hergebracht werden muß, durch die Fortschritte der Wissenschaft erlangt hat. Im Kleinhandel verkauft man das Pfund mit 11/4 Sgr. Wo die ungeheuren Mengen, die jährlich erzeugt werden, bleiben, das wird uns klar werden, wenn wir uns vergegenwärtigen, welche Masse von Geschäftszweigen dringend nothwendig der Schwefelsäure bedürfen. Obenan steht die Sodafabrikation, die in Frankreich allein jährlich über 1 Million Centner Seesalz (1/6 der Gesammtproduction) verarbeitet. Durch sie allein ist der Ausspruch Liebig’s und des Fürsten Pückler, daß der Verbrauch an Seife die Kultur eines Volkes anzeige, möglich geworden. Leider läßt sie in Deutschland noch Manches zu wünschen übrig; der Zollverein deckt seinen Bedarf nicht, 1851 wurden 127,000 Centner Soda eingeführt. Für die kolossale Erzeugung Englands kann ich leider keine Zahlen angeben. Eine einzige Fabrik, die von Tennent zu St. Rollo bei Glasgow, – freilich eine Anstalt, wie sie das Festland nicht aufzuweisen hat – mag dafür zum Maaßstabe dienen. Hier werden jährlich 155,190 Centner Schwefelsäure (ungefähr 16 Mal die Ausfuhr des gesammten Zollvereins) auf Soda verarbeitet und die hierbei entweichende Salzsäure zu Bleichkalk. Die Fabrik von Muspratt bei Liverpool steht dieser nicht weit nach.

In geringerer Menge findet die Schwefelsäure Verwendung bei der Darstellung einer Menge von schwefelsauren Salzen für die Gewerbe, die Landwirthschaft, Arzneikunde und Säuren, wie der schwefligen Säure zum Bleichen, Salpetersäure, Kohlensäure, Weinsteinsäure, Phosphorsäure, bei der Bereitung der Stearinkerzen, Seifen, des Phosphors, Chlors und seiner zum Bleichen dienenden Verbindungen. Sie dient ferner beim Verzinnen und Verzinken des Eisens, um reine Oberflächen zu schaffen, ebenso beim Kupfer und Messing, um den silbernen Geräthen und Münzen ein schönes Ansehen zu geben, zur Scheidung des Silbers vom Golde und Kupfer, bei der Darstellung von Aether, zum Reinigen des

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