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verschiedene: Die Gartenlaube (1854)

Untersuchung bei dem Junker an, da wird sich’s zeigen, wo das Unrecht steckt. Es war nicht gescheidt, daß er die Geschichte aufgerüttelt hat, nun mag er’s zeigen, ob er auch der Mann ist, sich herauszureden. Mit meinem Vater soll er aber ja nicht den Anfang machen; ich erhebe ein Geschrei, das nach Berlin bis zum Könige geht. Der Vater ist ein alter Mann, ein armer Fischer, dem man keinen Tag stehlen darf, das sollt Ihr wohl bedenken.“

Der Freiherr von Riedd blickte mit halbem Auge nach dem Mädchen, und wandte sich an seinen Sohn, der am Fenster stand und Allen den Rücken zukehrte: „Hierher gesehen, Gesicht gegen Gesicht!“

Casimir gehorchte knirschend.

„Hast Du gehört, was das Mädchen dort ausgesagt? Ich meine, sie hat nicht ganz Unrecht, und ich war wieder der zärtliche Vater eines ungezogenen Knaben.“

„Nun, Vater!“ fuhr der Junker wüthend heraus, nicht mehr fähig, sich länger zu mäßigen, „nun erreicht es ein Ende. Ich dulde diese Beschimpfungen nicht mehr. Ich bin so gut ein Edelmann, wie Du, und wenn Du es weiter treibst, so kann es geschehen, daß auch ich mich vergesse.“

Der alte Freiherr zitterte am ganzen Körper, seine Augen traten aus ihren Höhlen, eine Marmorblässe überzog sein Gesicht; er rang vergeblich nach Worten. – Er faßte nach einem Stuhl, hielt sich an demselben fest und murmelte etwas vor sich hin. Nach einer Pause sagte er äußerlich vollkommen ruhig: „Ich weiß, wohin Du arbeitest; Du möchtest wohl, daß Dein alter Vater vor der Zeit zu dem Ewigen ginge. Ich habe nicht Lust und Neigung, Dir diesen Gefallen zu thun. – Du nennst Dich einen Edelmann? Wer hat Dich dazu gemacht? Deine Verdienste oder Deine Geburt? Es wäre lächerlich, wollt’ ich mich hier in Auseinandersetzungen einlassen, die zu nichts fruchteten. Du bist und hast eben nichts, als was Dir Dein Vater giebt und durch diesen Deine Ahnen gegeben haben. – Ich werde der Untersuchung freien Lauf lassen, ich werde auch nichts, hör’ es, nichts thun, um Dich vorkommenden Falls zu unterstützen, zu Deinen Gunsten Schritte einzuleiten. Es mögen Dinge zur Sprache kommen, welche auch wollen, ich bin Dein Vater in dieser Angelegenheit nicht. Weiter wirst Du Dich, und das noch heute, bequemen, nach Berlin abzureisen. Dort stellst Du Dich bei der Militär-Commission. Du wirst Soldat, gemeiner Soldat bei der Linie. Du hast nichts gelernt, ich darf nicht erwarten, daß Du Dich zum Offizier emporschwingst. Subordination sollst Du aber lernen, durch drei volle Jahre, von denen ich auch nicht eine Stunde abmäkeln lasse. In dem ersten Jahre erhältst Du nicht einen Groschen von Hause, in den folgenden wird es von Deinem Betragen abhängen, ob Du was erhältst. Das Reisegeld und die nöthige Zehrung bis Berlin werd’ ich Dir geben, gleichfalls einen Brief an einen dortigen Freund. Du giebst diesen Brief binnen hier und acht und vierzig Stunden ab, thust, was ich befohlen, oder, so wahr Gott im Himmel lebt und so wahr ich ein Edelmann bin, Du bist von der Minute an nicht mehr mein Sohn und bist enterbt!“

Das hatte Casimir nicht erwartet. Wie vernichtet starrte er seinen Vater an, aber aus diesen Zügen sprach der ausgesprochene Entschluß so entschieden, daß er mit jedem Einwand verstummte. Und, als sollte nun mit einem Mal das Verderben über ihn hereinbrechen, es wurde die Thür geöffnet und ein Diener trat mit der Meldung in’s Zimmer, daß den gnädigen Herrn der schwarze Kreuzwirth dringend zu sprechen begehre.

Der Freiherr befahl, ihn eintreten zu lassen. „Was habt Ihr mir zu sagen?“ rief er ihm zu. „Ist es nöthig, daß wir allein sind, oder kann es hier geschehen. Ich bin augenblicklich mit diesen Leuten beschäftigt.“

Der Kreuzwirth, nachdem er sich tief verbeugt hatte, sah sich im Zimmer langsam rund um und zwickte seltsam mit den kleinen grauen Augen, die am Längsten auf dem Junker verweilten. Er hustete dabei stark und hohl, was auf eine Kränklichkeit deutete. Endlich sprach er mit gedämpfter, anscheinend heiserer Stimme: „Verzeiht mir, gnädiger Herr, wenn ich nicht rasch genug – das sagen werde – was ich zu sagen habe. Ich bin – soeben – vom Krankenlager aufgestanden – gegen das Gebot des Doctors.“

Man hörte es ihm an, wie schwer es ihm wurde, zu sprechen; die Worte wurden oft vom Husten unterbrochen. Der Freiherr schob ihm einen Stuhl in die Mitte des Zimmers und sagte: „Setzt Euch!“ –

Dankend nahm es der Kreuzwirth an, dann fuhr er fort: „Für die Anwesenden – ist es kein Geheimniß – was ich zu sagen habe. – Sie können Alle hier bleiben – das heißt, mit – mit Eurer gnädigen Erlaubniß.“ –

„Ganz gut, Kreuzwirth, aber ich sollte meinen, Ihr hättet dem Arzt folgen und im Bett bleiben sollen,“ erwiederte der alte Freiherr, halb unmuthig, halb voll Theilnahme für ihn, dessen ganze Gestalt im hohen Grade angegriffen aussah.

„Das bleibt sich gleich – gnädiger Herr – es geht nun zu Ende – bischen früher oder später – Was thut das? – Der Doctor hat’s schon ausgesprochen – seinen Mienen les’ ich’s – daß mir nicht mehr zu helfen ist – deshalb mußt’ ich aber – hierher kommen – ich muß Euch etwas berichten. – Es lastet gar schwer auf meinem Herzen – Doch halt!“ – Er erhob sich rasch, streckte die Hand aus und schoß einen letzten Blitz aus seinem ermatteten Auge: „Laßt den Junker nicht fort! – Er muß es auch hören.“ –

Der alte Freiherr ging an die Thüre und rief hinaus, man solle Jedermann abweisen, er sei nicht zu sprechen; dann schloß er die Thüre ab. – Finster trat Casimir an den verlassenen Platz zurück.




A. Borsig’s Maschinenbau-Anstalt in Berlin.

Von Robert Springer.
Die Werke klappern Nacht und Tag, 
Im Takte pocht der Hämmer Schlag 
Und bildsam von den mächt’gen Streichen 
Muß selbst das Eisen sich erweichen. 
Fr. v. Schiller 

Wenn man den Lauf der Friedrichsstraße bis über die glänzendste Perspective Berlins, die Linden, hinaus verfolgt, so erreicht man, nachdem man auch den schmalen Rücken der Spree überschritten hat, das Oranienburger Thor. Vor diesem dehnt sich eine Vorstadt, welche, wie die Zweige der Industrie, welchen sie ihre Entstehung verdankt, der neuesten Zeit angehört. Es ist die dämonische Dampfkraft, der Feuergeist in riesigen Eisenkörpern, der diesen Theil der Stadt zu seiner Werkstätte, zum Schauplatz seiner rastlosen lärmenden Thätigkeit erwählt hat. Zwei Bahnhöfe, der Stettiner und Hamburger, gleichsam Berlins Hafenplätze, strecken von hier aus ihre langen Eisenstrahlen nach dem fruchtbaren Mündungslande der Oder und nach der alten Hansastadt. In ihrer Umgebung liegen zahlreiche Gießereien und Maschinenfabriken; das Geheul der Locomotiven mischt sich mit dem dröhnenden Getöse der gewichtigen Hammerschläge und der dick aufqualmende Rauch der Coaksöfen gesellt sich zu den rußigen Wolken, welche aus hohen Essen emporwirbeln und Finsterniß über den Himmel breiten.

Mit der ganzen Gegend ist eine schnelle Umgestaltung vorgegangen. Früher befand sich hier nur das Invalidenhaus mit seinen Wirthschaftsgebäuden, eine alte Schleifmühle und die Scharfrichterei mit dem Hochgericht; linker Hand zogen sich über einen tiefsandigen Boden die königlichen Pulvergebäude bis zu der französischen Kolonie, welche spottweise das Moabiterland genannt wurde; rechts vom Thore aus gelangte man über einige Küchengärtnereien zu dem Bezirke der lumpigen Armuth, welcher nach dem Vaterlande eingewanderter Maurer und Zimmerleute das Voigtland hieß. Heute sieht es ganz anders hier aus. Von dem Thore aus zieht sich eine Kunststraße nach Oranienbnrg mit einer Abzweigung nach dem freundlichen Schlosse Tegel; zu beiden Seiten stehen stattliche Wohnhäuser, nach rechts und links erstreckt sich die Invalidenstraße mit neuen und hohen Gebäuden nach den beiden Bahnhöfen; die

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verschiedene: Die Gartenlaube (1854). Ernst Keil, Leipzig 1854, Seite 288. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1854)_288.jpg&oldid=- (Version vom 29.4.2023)