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verschiedene: Die Gartenlaube (1854)

Leute bestimmt habe, ihn in der für ein so heftig gehendes Meer zwar kleinen und zerbrechlichen Barke fortzuschaffen und daß sie versuchen würden, ihn nach einer italienischen Brigantine zu bringen, welche unter Wind vor Anker lag. Der Kapitain setzte hinzu, daß er für sich von einem Engländer keinen Pfennig haben möchte, wohl aber seien seine Leute arme Schlucker und würden, ohne gut bezahlt zu werden, ihr Leben eines Fremden wegen nicht auf’s Spiel setzen.

Der Correspondent bot ein Goldstück (einen Augenblick vorher würde er gern sechs gegeben haben, wenn man sie verlangt hätte) und der Grieche schien das Gebot als befriedigend zu betrachten. Nach einer neuen Unterredung mit seinen Leuten, von denen einige beharrlich auf keinen Vorschlag eingingen, gelang es dem Kapitain, vier Mann zu überreden, die sich hierauf sofort nach der aufgewundenen Barke begaben. Der Engländer folgte ihnen freudigen Herzens. Es war in der That ein sehr kleines und gebrechliches Fahrzeug, und die See ging heftig bewegt; die vier Mann, welche sich der Fahrt unterzogen hatten, konnten bei aller Kraft die Barke kaum durch die von allen Seiten überstürzenden Wogen lenken. Es handelte sich um das Leben, allein wie groß auch die Gefahr war, der Correspondent zog alles Andere der Brigg und den auf ihr befindlichen Strolchen vor.

Zu mehreren Malen standen die griechischen Matrosen auf dem Punkte, das Beginnen aufzugeben und nach ihrem Schiffe zurückzukehren, die Aussicht auf das Goldstück jedoch und die Furcht vor dem, was sich am Ufer ereignen konnte, trieb sie immer wieder auf’s Neue an. Hinüber und herüber geworfen, bald oben auf einer Woge tanzend, bald wieder tief hinab gezogen, gelangte bei aller Anstrengung die Barke nur langsam vorwärts; endlich nach geraumer Zeit legte sie an dem Hintertheil der genuesischen Brigantine „Minerva“ an.

Der Kapitain dieses Fahrzeugs hatte nicht ganz ohne Besorgniß die von der griechischen Brigg abgeschickte Schaluppe gesehen, deren vier Mann Besatzung ihm höchst verdächtig aussahen. (Wie der fünfte aussah, der im Hintertheil der elenden Barke saß, vor Kälte zitterte, vor Hunger sterben wollte und bis auf die Haut durchnäßt war, wissen wir nicht.) Es war in der That kein Grund vorhanden, allzu große Beruhigung zu fassen, und so beeilte sich denn auch der Kapitain, als er die Barke näher kommen sah, sie mit den Worten anzurufen: „Was wollen Sie, meine Herren?“

Der Hauptherr war zu sehr von dem Wunsche beseelt, an Bord zu gelangen, um daß er erst noch geantwortet hätte. Ein Seil hing am Schiff herunter. Unser Correspondent ergriff es in einem Momente, wo die Barke gerade von einer Woge empor gehoben wurde, und ohne Erklärung, ohne Rücksicht auf seine Schienbeine, die er sich fürchterlich verletzte, mit der Energie, der Energie der Verzweiflung kletterte und kletterte er empor, bis er athemlos und erschöpft mitten unter der erstaunten Mannschaft auf dem Verdecke hinsank.

Einige Worte reichten hin, um den Kapitain von Allem in Kenntniß zu setzen und seine Befürchtungen zu zerstreuen. Der freundliche Italiener empfing unsern Correspondenten mit offenen Armen und ließ sofort sein Gepäck aus der Schaluppe nach der Brigantine bringen. Er selbst beabsichtigte, sobald der Sturm sich ein wenig legen würde, die Anker zu lichten und nach Genua abzusegeln, versprach aber nicht eher aufzubrechen, als bis er den hartgeprüften Journalisten am Ufer in Sicherheit wissen würde. Ueber die Art, wie diesen die Griechen behandelt, schien er mehr unwillig als erstaunt, und um den Namen dieser ungastlichen Brigg zu kennen, richtete er sein Fernrohr nach ihr, wo er dann auf einer weißlichen Linie mit goldenen Buchstaben geschrieben „Nikolaus“ las. In diesem Augenblick spannte die Brigg alle ihre Segel auf und schoß pfeilgeschwind die Dardanellenstraße hinab; einige Minuten später war sie schon hinter einer Landspitze verschwunden.

Gegen Mittag legte sich der Sturm und das Meer wurde ruhiger. Sechs kräftige Genuesen stiegen in die Schaluppe der Minerva, der Engländer und der wackere Kapitain schieden auf dem Verdeck der Brigantine wie alte Freunde, und die Schaluppe ruderte dann dem Lande zu. Man kann sich denken, welche Gefühle das Herz unsers Correspondenten bewegten, als er endlich den Fuß bei Gallipoli an’s Land setzte und sich unter dem Schutze und der Fürsorge des englischen Kommissariats in voller Sicherheit fühlte.




Barnum, der Erbauer und Eigenthümer des bekannten Museums in New-York, der Erfinder und König des Humbugs, in dessen Sälen und Corridors aus allen Ecken und Enden der Welt, ohne Wahl und Kritik, hunderttausend leblose und lebendige Dinge, – Kuriositäten, Kunsterzeugnisse und naturhistorische Sammlungen, Riesen und Zwerge, ägyptische Mumien und Schädel berühmter Männer, – aufgestapelt sind, ist in seiner Weise ein Genie, – ein Genie freilich, das ihn in der alten Welt auf die Galeere oder in’s Zuchthaus gebracht haben würde, während es in der neuen sein Glück gemacht hat. Barnum, seines Zeichens ein Kürschnergesell, commandirt jetzt eine Million Dollars, ist der größte Güterbesitzer in Connecticut und Ohio, Partner oder Direktor mehrer Banken; sein Name figurirt auf den Kandidatenlisten bei den Wahlen von Governors[WS 1] und Senatoren; der Mann präsidirt in politischen und landwirthschaftlichen Vereinen, er empfängt als Mäcen der Wissenschaften und Künste die Huldigungen der Dichter. Er hat es mit Vielem versucht, ehe er den rechten Weg zum Glück ausgemittelt. Er war nach einander Seifensieder, Essigbereiter, Schriftsetzer, Buchdrucker, Wahlagent, Stumpredner, Schiffsmäkler und nebenbei ein Lump überall. In einer sonnigen Schicksalsstunde gerieth er auf den Einfall, einem bankerotten Menagerieführer seine verhungerten Bestien abzukaufen – und gefunden war die Leiter des Glücks, auf der er von Staffel zu Staffel emporstieg, bis er im Stande war, sein Museum zu bauen für 120,000 Dollars, fünfzig Federn zu miethen und fünfhundert Zeitungen zu bestechen, um seinen Humbug durch die Union zu posaunen, täglich 150,000 Straßenecken, Omnibusse, Dampfboote, Wirthsstuben und Ladenwände mit seinen Placaten und Annoncen zu bekleben, und bald den General Tom Dumb, bald die Jenny Lind an seinen Triumphwagen zu spannen. In der Wahl der Mittel macht sich Barnun niemals Skrupel. Er näht ein Rudel Büffel in Bisonfelle ein, streicht ein halb Dutzend junger Bursche, echte Kinder von New-York, roth an, putzt sie mit Federmütze, Köcher und Bogen als Indianer des Felsengebirgs heraus und ladet dann zun Schauspiel einer Bisonjagd ein; er läßt aus Pferdeknochen und Fischgräten unbekannte, riesige Ungeheuer der Vorwelt zusammensetzen und bringt die gelehrte Welt mit „unzweifelhaften Zeugnissen“ ihrer Echtheit und mit „glaubwürdigen Berichten“ über Vorkommen und Fundorte in Staunen und Streit; er verwandelt weißhäutige Knaben in schwarze Aethiopier; er räumt die Trödelbude eines Hebräers aus, um die Lumpen und Lappen, die alten Tabaksdosen und ausgedienten Spazierstöcke, die verrosteten Degen und Pistolen etc. als Reliquien von Fürsten des Geistes und von Helden der Schlachten in vergoldeten Schränken hinter Spiegelgläsern zu zeigen. Zur Zeit des mexikanischen Krieges producirte er das Bein von Santa Anna in einer ungeheuern Spiritusflasche, obschon dem mexikanischen Feldherrn in der Schlacht von Buena-Vista nur ein Stück seines hölzernen Stumpfs abgeschossen worden war, da er das Bein selbst schon zehn Jahre früher vor Vera-Cruz verloren hatte; und wenn eine Zeitungs-Ente durch die Union schwimmt, ein Bericht von einen fabelhaften Geschöpf der Tiefe, einer Meermaid oder einer Seeschlange, – so kannst Du gewiß sein, es nach wenigen Wochen bei Barnum zu sehen. Das Publikum rennt, läuft, zahlt, schaut; es lacht, betrogen, seine eigene Leichtgläubigkeit aus, oder es murrt, schimpft, schreit Humbug! – aber Barnum setzt der guten, wie der bösen Laune stoische Gleichgültigkeit entgegen, freut sich seiner goldenen Ernte, lacht sich in’s Fäustchen und macht den Spektakel durch einen neuen Humbug vergessen. Der Tom-Dumb Humbug. – er ließ den Zwerg auf einem, aus einer Schildkrötenschale gefertigten, mit Silber verzierten Wägelchen von acht Elephanten durch die Stadt ziehen. – warf ihm 60,000 Dollars ab; der Jenny-Lind-Humbug, für den er mit einem Aufwande von 50,000 Dollars alle Componisten, Redacteure, Autoren, Buch- und Musikalienhändler, alle Haarkräusler, Putzmacherinnen und alle Künste der Reclame in Bewegung setzte, um das ganze Land für seine schwedische Nachtigall toll zu machen, brachte ihm über 200,000 Dollars ein; und jetzt, wo der Mann eine Million sein nennt, erinnert man sich kaum mehr des Schmutzes und der Unehre, die daran haftet, und Barnum gilt in der neuen Welt als „ein großer Geschäftsmann“, glücklicher als Cagliostro und St. Germain, die mit weit größeren Fähigkeiten in der alten Welt es nie über den Ruf „famoser Betrüger“ bringen konnten.




Die Wallachen. Man sieht immer deutlicher ein, daß die Integrität der Türkei gar nicht erhalten werden kann, da in ihren socialen Zuständen nichts Haltbares mehr gefunden werden kann. Der Krieg hat dann auch blos noch den Sinn, daß der wunderschöne, reiche Boden der Türkei möglichst unter den Einfluß des civilisirten Westens komme. – Ohne neue Menschen und Institutionen kommt auch die reformirte Türkei nicht vorwärts. Die Wallachen gehören noch zu den stärksten und besten Volksarten, welche sich in unzähligen Massen uad Mischungen unter dem Begriffe Türkei vereinigen, und doch sieht es ganz miserabel unter ihnen aus. Es ist noch rohestes Mittelalter unter ihnen mit modernester Sittenverderbniß. Der von der Pforte alle drei Jahre gewählte Hospodar, d. h. der, welcher die größte Summe an den türkischen Minister gezahlt, benutzt seine kurze Regentschaft, möglichst viel aus den Leuten zu pressen und alle mögliche Bestechungen anzunehmen. Der Ackerbau, das Hauptgeschäft, ist durch Heerden von Griechen total demoralisirt worden. Die Landeigenthümer, vom Hospodar gepreßt, pressen ihre Leibeigenen und können doch nicht genug schaffen, so verkaufen sie Land an die Griechen, die immer Geld haben (man weiß nicht, woher?), welche damit nun den ausgedehntesten Schacher treiben. Die Leibeigenen thun nur so viel, als die hinter ihnen geschwungene Peitsche aus ihnen heraushaut, sonst gehen sie aus einer Branntweinsbude in die andere und trinken und tanzen zur Zigeunerfidel, bis Gleichgewicht und Geld verloren sind. Aus dem tiefen Schlafe in ihrer Höhle haut sie die Peitsche des Häschers wieder zur Arbeit. Von Natur wohlgebaut, stark, geschickt und in der Unabhängigkeit auch sehr thätig sind sie doch unter Jahrhunderte langer Tyrannei, Erpressung und Peitsche total demoralisirt, und Bauern und Städter stehen nicht an, durch ihre eigenen Töchter von Fremden in Bucharest u. s. w. sich Kuppelpelze zu verdienen. – Ihre Nationalgesänge sind schön und voller Poesie, und ihre malerischen Tänze, von schönen Chorgesängen begleitet, beneidenswerth. Sie tanzen und gesticuliren mit dramatischer Lebendigkeit, wobei namentlich die Mädchen in bunten, malerischen Trachten sich reizend ausnehmen; aber nach solchen Nationalscenen gehen sie von Schenke zu Schenke und vertilgen den scheußlichsten Fusel, bis sie in die tiefste, thierische Verächtlichkeit zusammensinken. Gegen ihre Peiniger werden sie nicht selten rebellisch und zerschlagen oder tödten sie um Mitternacht und stecken ihnen die Häuser an, aber das macht weder Peitschende noch Gepeitschte besser. Den Ausbruch von 1848–49 verhinderten russische und türkische Truppen im Verein, ohne die Wurzeln ausrotten zu können. Andere Menschen, vernünftige Boden- und Eigenthumsverhältnisse, sociale Reformen nur können die Türkei retten, nichts aus ihr selbst.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Govornors
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verschiedene: Die Gartenlaube (1854). Ernst Keil, Leipzig 1854, Seite 284. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1854)_284.jpg&oldid=- (Version vom 19.4.2017)