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verschiedene: Die Gartenlaube (1854)

Nur einmal noch fragte er: „Und soll ich nicht auch wissen, was Dir der Junker zugeflüstert hat?“

„Warum nicht?“ sprach sie ohne Zögern, indem sie ihm die Worte desselben wiederholte.

Diese Offenheit stimmte Rudolf vollkommen heiter, er vergaß im Anschauen seiner Braut bald den Junker, den vorigen Auftritt, und scherzte mit ihr, die ihm willig die tausend kleinen Zärtlichkeiten Liebender zurückgab. –

Wie es aber stets zu geschehen pflegt, daß ein einmal angeregter Argwohn sich nicht wieder so leicht verscheuchen läßt, so geschah es auch bei Rudolf Elmer, der, nach Hause gekommen, immer wieder auf den Zwiespalt zurückkam, der in dem Wesen Katharina’s lag, als sie zwischen ihn und den Junker getreten war. – „Ist sie denn nicht treu? Ist sie falsch?“ fragte er sich wiederholt, um es heftiger zu verneinen, gleich daraus um es eben so heftig zu bejahen. –

Die Drohungen des Herrn von Riedd beunruhigten ihn nicht einen Augenblick. Für sich fürchtete er nichts, und wenn es nur mit seiner Braut anders gewesen wäre, so würde er den ganzen Vorfall bald vergessen haben. Er vermied es sorgfältig, ein Verbot der Feldmark zu überschreiten, er ging nicht wieder auf’s Schloß, trotzdem ihn der alte Freiherr eingeladen, so oft zu kommen, als er wollte; auf Umwegen suchte er den Meeresstrand und die Hütte Katharina’s auf. – Wohl dachte er auch manchmal daran, diese Gegend zu verlassen, denn die Zeit war längst verstrichen, die er sich für den Aufenthalt festgesetzt hatte, aber er gab immer wieder einen Tag zu und wiederholte das bereits vier Wochen hindurch. Seinen Aeltern hatte er von seinem Verhältniß zu der Tochter eines armen Fischers mit offener Wahrheit geschrieben; sie hatten ihm geantwortet, daß sie ihm stets freie Wahl gelassen und auch jetzt nicht dagegen sein würden. Mit dem Vater Katharina’s war er ebenfalls einverstanden, es war bereits Alles berathen worden, was zu einer Uebersiedlung nach Berlin nothwendig erschien; es lag nur an Katharina selbst, daß nicht schon das erste Aufgebot ihrer bevorstehenden Verbindung verkündigt worden war. So oft er deshalb in sie drang, ertheilte sie ausweichende Antworten und suchte ihn zu vertrösten. –

Er war daher nicht wenig überrascht, als wenige Tage nach dem Zusammentreffen mit dem jungen Freiherrn von Riedd, Katharina ihn unaufgefordert bat, die nöthigen Schritte beim Ortsgeistlichen einzuleiten. Daß er es mit dem freudigsten Herzen that, bedarf kaum der Erwähnung. Mit diesem wichtigen Schritte verschwand jeder Argwohn gegen die ungetheilte Liebe seiner Braut zu ihm; ein so wichtiger Akt konnte selbst auf die Gesinnungen des Junkers nicht ohne Einfluß bleiben.

Am nächsten Sonntag geschah das Aufgebot. Rudolf war mit seiner Braut, der er neue Kleider mit halbstädtischem Zuschnitt aus Berlin hatte kommen lassen, und seinem Schwiegervater, der seinen Rock in den besten Zustand zu versetzen sich Mühe gegeben hatte, in der gedrängt vollen Kirche. Wie es kam, wußte er selbst nicht, aber er war voller Unruhe, nicht so selig, wie man erwarten sollte; sein Auge irrte durch die Versammlung und suchte etwas, ohne daß er es selbst bezeichnen konnte. Er schaute nach dem Chor, der um das Schiff der Kirche herumlief; über der Brüstung lehnte der junge Freiherr, das Auge unverwandt auf Katharina gerichtet. Die schlummernde Eifersucht in Rudolf erwachte von Neuem; er konnte seinen Blick von der Gestalt des Junkers nicht trennen, der seinerseits die Braut mit seinen Augen zu verzehren schien. Katharina selbst war voller Andacht, sie sah Niemand als den Prediger, der eindringlich zu reden wußte und mehrere Mal hervorhob, daß vor Gottes Richterstuhle die Menschen gleich wären und die Hoffart verdammt würde. –

Nach der Kirche begleitete Rudolf seine Angehörigen nach Hause, verließ sie aber bald wieder, da es ihm unmöglich war, zu bleiben; es drängte ihn, allein zu sein. Katharina machte keinen Einwand, was sein ohnehin bewegtes Gemüth nur noch peinlicher stimmte. So kam er in seine Wohnung. –

Er mochte wohl unter den widerwärtigsten Empfindungen hier eine Stunde zugebracht haben, als an seine Thüre gepocht wurde und sein Wirth, gemeinhin der Kreuzwirth genannt, in’s Zimmer trat. Er war ein Mann in vorgeschrittenen Jahren. Sein Haar war fast weiß, die Gestalt, obwohl kräftig und gedrungen, gebückt, wahrscheinlich mehr in Folge eines tiefen Kummers, als aus Altersschwäche. Dieser Kummer sprach auch aus seinen stark durchfurchten Zügen, und nur das Auge deutete zuweilen auf ein erhöhtes Leben. Der Blick aber war seltsam, fast unheimlich, er irrte unruhig umher. Er trug einen gewöhnlichen Bauernrock von dunklem Tuch mit blanken Knöpfen, Kniehosen von gleichem Stoff und hohe rindslederne Stiefel.

Rudolf war von dem Besuche überrascht; es war das erste Mal, daß ihn sein Wirth besuchte. Er bot ihm einen Platz neben sich auf dem Sopha an, den dieser auch ungezwungen einnahm und fragte ihn: „Ei, Walther, was bringt Sie zu mir?“

Der Kreuzwirth, der einige Bildung genossen zu haben schien, entgegnete: „Sie wohnen nun über zehn Wochen in meinem Hause, Herr Elmer, ich habe Sie lieb gewonnen. Sie sind ein pünktlicher Zahler, still und immer zufrieden mit dem, was ich Ihnen geben kann.“

Er schwieg einen Augenblick und sah vor sich nieder, als besinne er sich auf etwas.

Rudolf lächelte: „Sie kommen doch aber gewiß nicht, um mir eine Lobrede zu halten? Deshalb steigen Sie doch wohl die Treppe nicht herauf?“

„Nein, Herr Elmer; ich bin besorgt um Sie. Es ist aber nur die Frage, ob Sie auch Alles werden hören können. In gewissen Dingen erträgt nicht Jeder einen Stoß, der ihm plötzlich versetzt wird.“

„Sie machen mich neugierig, Herr Walther.“ – Rudolf wurde beklommen.

„Lassen Sie das mit dem Herrn Walther, ich bin der Kreuzwirth schlechtweg. Ich mag mich gar nicht anders nennen lassen. Nun wissen Sie, ich habe Ihnen gerade nicht das Angenehmste mitzutheilen. Was ist Ihnen wohl gegenwärtig das Liebste?“

„Machen Sie keine große Vorrede, Kreuzwirth. Sagen Sie, was Sie zu sagen haben. Ich bin erwachsen genug, um Ihnen ruhig zuzuhören.“ Der Maler gab sich alle Mühe, auch im Ton seine Worte zu bekräftigen.

„Ich komme aus dem Walde, Herr Elmer. Dort ist ein schönes Plätzchen, umgeben von Buchen und Eichen. Wir haben uns öfter schon gewundert, daß sie inmitten der Tannen und Lerchen wachsen. Es ist ein Wiesfleck, der dem gnädigen Schloßherrn gehört. Nahe daran hab’ ich aber auch ein Stückchen, das mir seit langem zu eigen. Ich wollte da eben nach meinen neuen Anpflanzungen sehen. Ich sah’ aber etwas ganz anderes, was ich gar nicht vermuthet. Ich hatte mich ganz still verhalten, mich konnte man nicht gewahr werden.“

„Und was sahn Sie denn, Herr Kreuzwirth?“

„Ihre Braut sah ich, Schilder’s Katharine mit dem Junker von Riedd zusammenstehen.“

„Das ist nicht wahr!“ rief Rudolf erbleichend.

Ruhig erwiederte Walther: „Es ist wahr! Gern wär’ ich näher gegangen, aber sie standen auf dem Wiesfleck, und den kann ich nicht leiden, ich gehe immer vorbei. Dort war es auch, wo meine Rosi, mein einziges Kind, mit dem Junker zusammenkam. Sie hat mir das später erzählt. Ja, ja, Herr Elmer, es ist ein eigen Ding mit den Mädchen. Wenn sie den Rockzipfel eines edlen Herrn erfassen können, lassen sie den ehrlichsten Kerl aus niedrigem Stande laufen. Ich hoffe das eigentlich gar nicht von der Katharina. Sie sind eine Partie für so eine Dirne, wie sie sich’s gar nicht träumen lassen dürfte Und dann! Die weiß recht gut, wie es meiner Rosi ergangen ist. Sie waren Freundinnen, freilich während der Liebschaft mit dem Junker und meinem Kinde, hinter die ich erst gekommen bin, wie das Unglück fertig war, da hatte die Freundschaft wohl ein Ende, denn die Schande mögen die Dirnen doch Niemand mittheilen; aber am Sterbebette meiner Rosi saß die Katharina; sie hatten sich vieles erzählt, sie mußte das wissen, wie’s mit dem Junker vorgegangen. Hat sie das vergessen, oder hat es sie nur noch mehr gereizt mit dem Junker sich zu schaffen zu machen? Mag nun sein, wie’s will, ich habe die Katharina mit dem Junker im Wald zusammengesehen. Sie thun mir herzlich leid, Herr Maler, auch der alte Schilder sollte mir leid thun, wenn er an seinem einzigen Kinde erlebte, was mir passirt ist. Mein Rücken ist davon krumm geworden und meine Haare fangen an schneeweiß zu werden. Das alles vor der Zeit. Aber der Kummer scheert sich nicht viel um die Jahre; er kehrt ein und macht sich breit, ohne daß man ihm einen Widerstand entgegensetzen kann.“ –

Rudolf war wie vernichtet. Sein Argwohn war also gerechtfertigt,

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verschiedene: Die Gartenlaube (1854). Ernst Keil, Leipzig 1854, Seite 262. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1854)_262.jpg&oldid=- (Version vom 12.3.2019)