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verschiedene: Die Gartenlaube (1854)

Sterne in seinem Schoße aufzufangen, die von dem Himmel herabschimmerten. In seiner Tiefe schlummerte manche Blume mit sehnsüchtigem Verlangen, magisch zog es die Sterne herab … es suchten einander Blumen und Sterne; in dem Traum des einen lebte der andere … Der Mond übergoß mit seinem vollen Licht den Wald; ruhig standen die Tannen. Von den Zweigen nur fiel hie und da ein glänzender Tropfen, eine traumhafte Thräne des schlummernden Baumes. Still war es, einsam still in dem Walde. Von fern her nur erschallte der Gesang eines Vogels, in klagenden Tönen, wie ein Lied der Wehmuth, die, eine Tochter des Abends, den hellen Morgen flieht und mit der Nacht verhaucht. –

Es war schon spät, als Rudolf in das schwarze Kreuz kam; die Dorfuhr schlug elf. In den Häusern schimmerte nur vereinzelt ein Licht; die meisten Bewohner hatten sich schlafen gelegt. Er ging an dem Kloster vorüber, das an einem freien Platze inmitten des Ortes liegt und jetzt unbewohnt, theilweise in Ruinen zusammengebrochen, in dem vollen Schein des Mondes riesenhaft emporragte. – Rudolf war es, als schimmerte ein Licht in diesen Räumen, es flackerte hin und her, kaum merklich, in weiter Ferne. Er meinte, es sei eine Täuschung und vielleicht ein Stern, der durch das Gemäuer blinkte. Er ging vorbei und mit beflügeltem Schritt nach Hause. Niemand mehr war wach; er stieg die Treppe hinauf und legte sich zur Ruhe. –

Er konnte lange nicht schlafen. Er dachte so mancherlei, an Katharina, an den Junker, an die Fügungen des Zufalls, die ihn hierhergeworfen, wo er seine lange Herzensruhe verlieren sollte. Mitunter durchliefen seine Gedanken gewaltige Mißtöne, er schwankte in seinem Vertrauen zu seiner Geliebten und sah sich mit einem großen Weh belastet, nach der Residenz zurückkehren; aber wie denn der Liebende tausendfach erfinderisch an Gegenvorstellungen ist, so verscheuchte er auch seine Sorgen und seine Augen schlossen sich.

Im Halbschlummer war es ihm, als höre er Jemand auf der bis dahin stillen Straße näher kommen, als würde die Hausthüre geöffnet, die er vorhin verschlossen, als träte Jemand in die Stube unter ihm; als ginge es noch einige Mal auf und nieder, wie der Fußtritt eines Mannes. … Endlich wurde es still.

Die seltsamsten Gerüchte verbreiteten sich in der Umgegend über den Vorfall mit dem jungen Freiherrn, oder, wie er von den Bauern allgemein genannt wurde, dem Junker von Riedd. Da und dort wollte man einen Mann gesehen haben, den Niemand kannte, aber der seines verwilderten Aussehens wegen der That wohl fähig sein konnte; Niemand wußte jedoch zu sagen, wo er hingekommen. Ein Dritter meinte, aus dem Dorfe Waldegg müßte es Jemand gewesen sein, denn die dortigen Bauern seien dem Schloßherrn von Riedd nichts weniger als hold. Ein Vierter endlich, und dieser erhielt den meisten Beifall, da sich durch mehrere Tage nichts ereignete, um einen bestimmten Verdacht zu äußern, dieser meinte, der Junker wäre wohl selbst ungeschickt mit dem Gewehre umgegangen und habe anstatt ein Wild, sich selbst getroffen. – Bei diesen Leuten kam aber gar nicht in Betracht, daß das Gewehr des Junkers nirgends aufgefunden werden konnte, und daß der große Hund desselben ersichtlich erschlagen worden war.

Was den jungen Freiherrn selbst betraf, der sich über Erwarten schnell erholte, so schwieg er über den Vorfall gänzlich, und selbst die ernstesten Ermahnungen seines Vaters konnten ihn nicht zum Sprechen bewegen. Er suchte Ausflüchte, erging sich in Muthmaßungen, und endlich blieb er bei dem Ausspruche stehen: der Schuß habe ihn aus der Entfernung getroffen, plötzlich, ohne daß er selbst gewußt, wie es geschehen. Bei der vorherrschenden Dunkelheit, dem Wüthen des Sturmes, und da er gleich niedergesunken sei, habe er Niemanden gewahr werden können.

Ueber den Verblieb seines Gewehres und über seinen Hund wußte er keine Auskunft zu geben. Gegen das Einschreiten der Gerichte hatte er nichts einzuwenden; doch mochte er diese Zustimmung wohl mehr aus Nachgiebigkeit gegen seinen Vater, als aus eigener Billigung dieses Schrittes geben.

Daß dem Junker indeß, trotz seiner Schweigsamkeit über den Vorfall, etwas auf der Seele brannte, verrieth nur gar zu leicht seine Ungeduld; er wollte durchaus jetzt schon aufstehen. Vergebens ermahnte ihn der Hausarzt, sich ruhig zu verhalten, vergebens waren seine Vorstellungen, daß er durch die Unruhe die Heilung selbst verzögern, daß die Wunde dadurch schlimmer werden würde; er ließ sich nichts einreden, wie er sorgte und strebte, sobald wie möglich aus dem Bette zu kommen. Ein jedesmaliger Zornausbruch seines Vaters allein konnte ihn zur Vernunft zurückbringen. Seine Jugendkraft überwand aber, wie gesagt, seinen mißlichen Zustand über Erwarten schnell. Noch nicht drei Wochen waren vergangen und er durfte in seinem Zimmer umhergehen. Seine erste Frage, mit der er bis dahin zurückgehalten, war jetzt, wo er sich denn eigentlich befunden habe, bevor man ihn in den Wagen gebracht. Als man ihm den alten Soldaten Claus Schilder und seine Tochter Katharina nannte, entgegnete er nichts; ein Lied summend, trat er an’s Fenster.

Ueber den Vorfall selbst fing er zu scherzen an, lachte, wenn davon die Rede war und meinte: „Ein Schiff sei von Schweden herübergekommen, darauf habe der Mörder gesessen; man solle ihn auf der Ostsee suchen.“ Dann fragte er aber doch auch wieder und nicht ohne Besorgniß: „Ob man nichts gefunden, was auf das Ereigniß Bezug habe? Ob man schon eine Spur entdeckt?“ So sehr aber die betreffende Behörde sich auch bemühte, über das Dunkel der auffallenden Begebenheit einiges Licht zu erhalten, es wollte ihr nicht gelingen, und fast drohte der ganzen Sache Vergessenheit, da überdies dem Junker selbst nicht viel an der Entdeckung des Thäters zu liegen schien. Sein Vater nahm ihn wohl wiederholt in ein scharfes Verhör, aber er sagte nicht mehr, als er bis dahin gethan.

Den ersten schönen Tag, der es erlaubte, benutzte der Junker zu einem Ausflug. Von allen Seiten nickten ihm die Bauern respektvoll zu, als er durch das Dorf schritt, aber keiner nahte sich ihm herzlich; hatte er es doch nie verstanden, sich ihre Liebe zu erwerben, eben so wenig wie sein Vater, der im Grunde von keinem schlimmen Charakter, doch zu sehr den aristokratischen Gesinnungen unterlag, von der allgemeinen Berechtigung der Menschen auf Gleichheit nichts wissen wollte und diese Gesinnungen auf seinen Sohn vererbt hatte.

Es nahte bereits der Herbst; August war vorüber. Die Blätter der Bäume färbten sich roth und gelb, der Wind schüttelte sie stark, und machte sie ärmer an ihrem schönen Schmuck. Die Vögel rüsteten sich im Walde zum Abzuge; in großen Schaaren versammelt, stimmten sie ein großes Geschrei an, erhoben sich in die Luft, senkten sich nochmals herab, als glaubten sie nicht recht, daß sie wandern müßten und als käme noch einmal der Frühling, schnell, um sie zurückzuhalten; sie hatten das Stückchen Erde lieb gewonnen, es war ihnen eine Heimath geworden; und wer hat Lust diese zu verlassen? So überall, in Wald und Feld lagerten und sammelten sich die Zugvögel.

Das Meer brauste auch wieder stärker auf. Die Wellen hoben und senkten sich; sie hatten keine rechte Freude mehr an der Sonne, sie war kalt und schied rascher wie sonst. Kaum hatten sie die Strahlen aufgefangen, die heißsüchtigen Wellen, da verschwand sie auch schon wieder, es zeigte sich keine rechte Liebe mehr bei der Sonne; im Frühling und Sommer war das so ganz anders, da waren sie verwöhnt worden, und jetzt sollten sie auf einmal entsagen. Das Meer hatte da wohl rechten Grund zum Grollen; es ist gar so trüb entsagen zu müssen, was man einmal lieb gewonnen.

Der Junker von Riedd, das Gewehr auf der Schulter, ganz wie sonst, ein Liedchen trällernd, dankte den vorübergehenden Bauern kaum, er empfand auch nichts von der wehmüthigen Klage in der Natur, die ahnungsvoll die Schauer des kommenden Winters verkündete; er dachte eben, die Blätter fallen von den Bäumen, gut; die Jagd ist vor der Thüre, wir kriegen Gesellschaft in’s Haus; der Herbst ist so übel nicht, und der Winter wird sich auch ertragen lassen. Wenn man reich ist und Geld hat, so kann man allezeit das Vergnügen erkaufen.

Er ging auf die Hütte des alten Claus. Er sah Niemand vor der Thüre und lugte durch’s Fenster. Die papierenen Scheiben gewährten zwar einen schlechten Einblick, doch fuhr er mit verfinsterter Miene zurück. Hollah! dachte er, steht es so? Daß ist ja eine saubere Entdeckung. Wir wollen der Sache gleich auf den Grund kommen!

Er hatte keine Lust in die schmutzige Stube einzutreten und pochte an das Haus. Katharina trat auf die Schwelle. Beim Anblicke des Junkers wechselte sie die Farbe. Der Junker beobachtete sie scharf und kniff die Lippen zusammen; ein Ausruf der Bewunderung hätte ihm entschlüpfen wollen.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1854). Ernst Keil, Leipzig 1854, Seite 251. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1854)_251.jpg&oldid=- (Version vom 12.3.2019)