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verschiedene: Die Gartenlaube (1854)

Stufe des Abhangs, der sich an die ausgedehnte Masse des Buffalora anlehnt, blitzen hie und da zwischen steilen buschigen oder begrasten Hügeln kleine weiße Häuschen hervor; oben schließt dunkler Wald zwischen grauen nackten Felsenspitzen, bis eine Wendung des Wegs uns an das Kirchdorf Tarasp führt und zugleich den Blick auf die wilde Scenerie tiefer Schluchten und nackter Berghäupter öffnet. Diese nahe Berührung reizender grüner Striche, dunkler Thäler und Wälder mit den höchsten wildesten Gebirgen voll ewigen Schnees und Eises macht einen unbeschreiblichen Eindruck. Die Natur hat diesem Orte seine Geschichte vorgezeichnet. Vornen begrenzt die tiefe waldige Schlucht des Inns; nach beiden Seiten wilde Thalrisse, die zum Plafna- und Scarlthal führen, am Fuße der gewaltigen Felsmasse des Piz Pisoc[WS 1], der seine riesigen Spitzen bis 10,597 Fuß in die Wolken erhebt. Die einzige Kirchgemeinde auf der einsamen schattigen Südseite des Thals, von der Thalstraße und ihrem Verkehre fast abgeschnitten, ist Tarasp nur auf zwei beschwerlichen Wegen nicht ohne Mühe zugänglich. Zudem ist es das einzige deutschredende Dorf im Engadin, und als dessen Bewohner alle sich der Reformation zuwandten, dem alten Glauben treu geblieben. Unter dem Schutze des mächtigen Schlosses, das allein im ganzen Thale fast unverändert die Stürme der Zeit und der Menschen überdauert, blieb dieses Fleckchen Land durch Jahrhunderte meist ungestört. Im übrigen Thale wurden Parteistreite geführt, für die Unabhängigkeit von größeren Fürsten und kleineren Zwingherren gekämpft; der Versuch von Mailand aus das verlorene Thal dem römischen Glauben zurückzuerobern, tränkte seine grünen Matten mit Märtyrerblut, ließ seine friedlichen Dörfer in Schutt legen. Von allem Diesen blieb Tarasp unberührt. Der Stammsitz der alten Herren von Tarasp, im dreizehnten Jahrhundert an die Grafen von Tyrol, dann von Dietrichstein gekommen, war es dadurch mit seinem wie eine Insel umschlossenen Dorfe und kleinen Gebiete bis in dieses Jahrhundert herein unter österreichischer Herrschaft gewesen, im Jahre 1816 erst durch Tausch an die Schweiz gekommen. Von dem Schieferfelsen des Schlosses herab wurden die letzten Reste von Herrschaftsrechten im Graubündner Lande geübt. Bis zum Jahre 1815 bewohnt, schaut es mit seinen gewaltigen Mauerwänden von einer Reihe weitläufiger Nebengebäude umgeben, malerisch aus dem Grün der umgebenden Berge von seinem grauen, zum Theil überhängenden Felsen; am Berge herum durch mancherlei kleineres Gethürme und ummauerte Höfe windet sich der Weg hinauf zu seinen mittelalterlichen Räumen. Jetzt beginnt der Zahn der Zeit schon sichtbarer an den alten Mauern, denen die erhaltende Hand fehlt, zu nagen. Die späteren Besitzer kümmerten sich wenig um das lebendige Bild geschwundener Macht und Größe, und benutzten das Schloß nur als vortheilhafte Fundgrube für Eisen und Marmor. Zu den Füßen des Schloßkegels lagert sich das Dorf Tarasp; ein kleiner dunkler See begrenzt seine schmucklosen Häuser; die architektonische Putzliebe wohlhabend gewordener Zuckerbäcker und Chokoladensieder ist nicht bis hierher gedrungen. Selbst die Wanderlust der übrigen Engadiner theilen die Tarasper nicht.

Nur ungern trennten wir uns von dem ernsten und erhabenen Anblicke, um, die ungewöhnliche Gunst des Wetters benutzend, eine weitere Merkwürdigkeit Tarasps, seine bereits berühmt werdende Mineralquelle zu besuchen. Eine kleine Stünde weiter abwärts in der Felsschlucht des Inn tritt die in einen niedern steinernen Schacht gefaßte Quelle zu Tage. Ein guter Fußweg durch Wiesen, dann an dem Felsenabhange hinab führt von dem kleinen Dorfe Volperra zu ihr; an die Felswand lehnt sich ein bescheidenes Trinkhaus; einige hundert Schritt lang zieht zwischen Fels und Strom sich ein romantischer Spaziergang hin. Die vortrefflichen Eigenschaften des Wassers, dessen drei Quellen eine etwas abweichende Zusammensetzung zeigen, könnten Tarasp zu einem bedeutenden Kurorte erheben, würde nur der Zugang auf dem wirklich abscheulichen Thalwege verbessert. Die Anfänge zweckmäßiger Einrichtungen, städtischer Bequemlichkeiten, wie sie in einigen guten Gasthäusern der Häusergruppen Volperra und Grimuts anerkennenswerth sich gebildet, würden bald sich vervollkommnen können. So bleibt sein treffliches Wasser rein vernachlässigter Naturschatz, nur von einigen Nachbargegenden Tirols und Graubündens an Ort und Stelle benutzt oder in Flaschen versendet. Das Wasser hat einen ungewöhnlichen Gehalt an Natron in einem Verhältnisse, das die berühmtesten Natronwasser Karlsbad, Eger und Bilin nicht erreichen. Die mit starkem Wallen aufsteigende Kohlensäure theilt dem salzigen frischen Getränke (von einer Temperatur von 5–6° Cels.) einen angenehmen, stechenden Beigeschmack mit. Uebrigens sind die speciell Bad Tarasp genannten Quellen nicht die einzigen selbst nur der nächsten Gegend. In einem Umkreis von einer Stunde treten nicht weniger als zwanzig Mineralquellen der verschiedensten Art, Natronwasser, Eisen- und Schwefelwasser zu Tage, so daß gerade hier in der sonst schon an mineralischen Wasserschätzen reichen Thallinie des Inn ein besonders bedeutender Mittelpunkt zu bestehen scheint, wo der Verbindungen mit dem Erdinnern und der unterirdischen Ausflüsse ungewöhnlich viele zusammengedrängt sind. Alle diese Quellen sind kalt.

Milde und ruhig stieg der Mond über die riesigen Grenzmauern des Engadins herüber, mit seinem Silberlichte die eisigen Höhen des Selvretta, die spitzigen Pyramiden der Piz Pisoc, Plafne, Madlen, Lischany und Uschadera in einen magischen Glanz kleidend, als wir nach des Tages Last und Hitze die Ruhe in den wirthlichen Räumen des Gasthauses suchten. Noch einmal zogen die Bilder der letzten Stunden vor unserm Blicke vorüber. Draußen kämpfte und befehdete sich die Welt; kaum eine verklingende Kunde davon drang in diesen stillen abgelegenen Kreis des einsamen Thales zwischen leise rauschendem Walde, hohen Felsenzinnen und blendenden Gletscherströmen. Die letzten trüben Lichter der kleinen Häuser verloschen; tiefes Schweigen ringsum. Die Natur allein sprach ihre mächtige Sprache zu zwei empfänglichen Gemüthern, die sich gerne ihrem beruhigenden Einfluß überließen. Wie selten ist uns eine stille Einkehr bei uns selbst gestattet! Vielleicht morgen schon hat uns das Leben mit seinen tausend Strebungen und Sorgen wieder in seinen Strudel gerissen, bis uns das letzte Heimweh ergreift wie die Wanderer des Engadins.




Für Mädchen und Frauen.
Die weibliche Schönheit.

Als die Natur bei Erschaffung des ersten Paares ihr Meisterwerk ablegte, personifizirte sie uns in dem Manne die Kraft, in der Frau die Schönheit. Beide wurden damit zu gegenseitiger Ergänzung auf einander angewiesen, vereint erst sollten sie das Ganze bilden, das Vollendung heißt.

Die Kraft stellt sich uns als körperliche Eigenschaft, wie als geistige dar; eben so ist es mit der Schönheit, welche nicht allein in den Formen beruht, sondern auch in der Seele wohnt, aus welcher sie durch das Auge zu uns spricht, und das Antlitz erleuchtet und gleichsam verklärt.

Die ersten Menschen empfingen beide Eigenschaften als freie Gabe aus der Hand der Natur, und erst mit dem Biß in jenen berüchtigten Apfel gingen sie verloren, um dann später auf mühsamem Wege wieder gewonnen zu werden. Die Griechen waren es, welche sich zuerst bemühten dies verschwundene Ideal auf’s Neue in sich herzustellen, bei ihnen finden wir Kraft und Schönheit in ihrem schönsten Maaße, wie sie noch heute der Kunst als Typus dienen. Aber mit dem Volke der Helenen verschwand auch wieder von der Erde jenes Ideal der ersten Schöpfung, und nirgends finden wir seitdem einen Versuch gemacht es wieder zu gewinnen. – Die christliche Aera trat ein und mit dieser und durch diese wurde dem Geiste des Menschen ein Uebergewicht gestattet, das er nun auf Kosten des armen Körpers geltend machen konnte. Die Stubengelehrsamkeit der Männer, die Philologie und Philosophie dienten nur, um den Menschen sich selbst noch mehr zu entfremden und ihn in eine Welt der Abstraktion zu bannen, von wo er mit einem Lächeln des Mitleids auf das warme Leben herabblickte. Jede Minute Zeit, die er seinem Körper widmete, schien eine verlorene, nur die nothwendigen Speisen mußten gereicht werden; sonst aber war von einer Pflege des physischen Menschen keine Rede, Gesicht und Hände mochten wohl flüchtig ein paar Wassertropfen sehen, weiter aber erstreckte sich die Cultur der Haut gewiß nicht, und das Studirzimmer

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Pisoi
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1854). Ernst Keil, Leipzig 1854, Seite 247. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1854)_247.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)