Seite:Die Gartenlaube (1854) 239.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1854)

Seltsam kontrastirte mit der Armuth des Ganzen, dem Schmuz und der Dunkelheit, ein junges Mädchen, das am Herde beschäftigt war. Von hohem Wuchse, schlank und kräftig, vermochte selbst das faltige Kleid von grauem Wollenstoff nicht ganz die schönen Formen zu verhüllen. Der halbentblößte Nacken, den ein lose geknüpftes buntes Tuch von Kattun nur wenig bedeckte, war, wie der Hals von blendender Weiße; das Gesicht von unnennbarem Reiz, so voll Anmuth, daß man versucht werden konnte, an eine Fee zu glauben, die in eine niedere Hütte der Menschen sich aus Laune verirrt hatte. Das Auge besonders, groß und von feuchtem Glanz, wie die Perle des tiefen Meeres, strahlte gleich einem Juwel und wetteiferte an Schwärze mit dem reichen Haar, das in seiner Fülle den beiden hölzernen Nadeln, die es halten sollten, immer entschlüpfen wollte. –

Sinnend blickte das Mädchen in die Gluth des Feuers auf dem Herde, und wie die Flamme durch hinzugelegtes Reisig immer höher stieg, so wuchsen auch die Seufzer, die anfangs leise ihrer Brust entstiegen, stärker an. Sie vergaß aber dabei nicht, fleißig in einem Kessel zu rühren, in dem ein Brei brodelte.

Still war es in dem Innern, nur das Knistern des Feuers und die Seufzer des Mädchens zuweilen vernehmbar; draußen wüthete das Unwetter furchtbar fort.

„Wo nur der Vater bleibt?“ dachte das Mädchen mit steigender Besorgniß und mit gespanntem Ohr hinaushorchend. – Indem wurde draußen an die Thür der Hütte heftig gepocht. Sie ging um zu öffnen; sie hatte vorher den Riegel vorgeschoben. Es traten ihr zwei Männer, ihrer Kleidung nach Waldhüter, entgegen, die einen jungen, anscheinend völlig bewußtlosen Mann auf einer leicht zusammengefügten Tragbahre von Tannenzweigen trugen.

Das Mädchen, an Gefahren, Entbehrungen und Unglück gewöhnt, erschrak zwar nicht, doch wich sie unwillkürlich einen Schritt zurück.

„Guten Tag, Katharina,“ sagte einer der Männer. „Wir bringen Euch für eine Stunde den jungen Herrn vom Schlosse. Wir haben ihn, von einer Kugel getroffen, im Walde gefunden. Wir wollen schnell nach dem Kloster Riedd; bis wir zurück sind mit Wagen und Pferden, müßt Ihr ihn behalten.“

„Kommt herein!“ erwiederte Katharina, indem sie einen neugierigen Blick auf den Junker warf, und den Leuten einen Platz anwies, wo sie ihn hinlegen sollten. „Aber erzählt mir doch Mehreres? Wie ging es zu, und was soll ich beginnen? Ich bin allein und weiß mit Kranken nicht umzugehen!“

„Da ist auch nicht viel zu machen, Kathi,“ erhielt sie zur Antwort. „Wir müssen auf’s Schloß. Todt ist er nicht, und so Gott will, ist der Schuß nicht gefährlich. Mehr wissen wir auch nicht, als daß wir ihn an einem Pfahle liegend gefunden, an dem, wie Ihr wißt, geschrieben steht, daß er nicht überschritten werden darf. Nun, für den Junker vom Schlosse gilt das Gesetz nichts. Uns wundert nur, wo der große Hund des gnädigen Junkers, der Dogg, geblieben ist. Keine Spur von ihm. Doch nun guten Tag, Kathi, wir dürfen nicht säumen. Der alte Herr auf Schloß Riedd ist nicht der Beste, er könnte uns das Zögern vergelten.“

Die Männer verließen die Hütte. –

Katharina kniete vor dem Verwundeten nieder und legte ihm unter das Haupt ein Strohkissen, das sie aus der Kammer geholt hatte. Sie kannte den Sohn ihres Gutsherrn bereits, aber in solcher Nähe hatte sie ihn noch nie gesehen. Mit weiblicher Neugierde betrachtete sie die reiche Kleidung, die an vielen Stellen mit Blut befleckt war, und den männlich-schönen Kopf. Um den Mund spielte ein trotziges Lächeln, ein Zug von Härte, der sich bei dem Junker gewöhnlich immer zeigte, und der auch jetzt nicht verschwunden war. … Katharina strich ihm das blonde Haar mit leiser Hand von der Stirne und lauschte an seinem Munde; er athmete, aber schwach und kaum bemerkbar. Die Schußwunde schien er in der Seite erhalten zu haben; Katharina fürchtete sich indeß, sich darüber Gewißheit zu verschaffen. – Sie konnte sich, sie wußte selbst nicht weshalb, von dem Lager gar nicht trennen und vergaß darüber alles Andere. Ihr Auge ruhte fortwährend gespannt auf dem Verwundeten. Jetzt regte er leise die Hand, die aus den reichen Hemdmanschetten hervorsah, die Finger zupften an dem grünen Rocke. … Katharina veränderte die Farbe; sie hatte diese Bewegung schon einmal an einem Krankenlager bemerkt und gefunden, daß es ein Vorbote des Todes sei. Sie beugte sich über das Gesicht des Junkers … seine Wimpern zuckten, er schlug die Augen auf. Sie hatten keinen Ausdruck, still und ruhig war der Blick. In dieser Weise betrachtete er Katharina einen Moment, ohne daß er ein Wort gesprochen, dann schlossen sich die Wimpern wieder. – Der Vater Katharina’s trat in die Stube. Er war bis auf die Haut durchnäßt, denn der Sturm war in einen Regen übergegangen, der in Strömen heruntergoß. Seine Gestalt war hoch und stämmig. Haar und Schnurrbart bereits grau, aber die nackten Arme, die bis an das Knie entblößten Beine verriethen noch eine seltene Muskelkraft. Er warf ein Netz mit Fischen auf den Boden und heftete einen scharfen Blick seiner grauen Augen auf die Gruppe …

„Was ist geschehen?“ fragte er mit rauher Stimme.

Katharina erzählte den Hergang. Ohne ein Wort zu erwiedern hörte er sie an, dann trat er an den Herd und eine Zornader trat auf seine Stirn. Er rief: „Warum ist das Feuer ausgegangen? Hast Du den Vater über den Burschen dort vergessen? Ich bin durchnäßt bis auf die Knochen und hungrig. Marsch fort, hierher!“ –

Katharina entgegnete: „Er ist verwundet und bedarf der Hülfe.“

„Was kannst Du ihm helfen?“ meinte der Vater. „Hättest Du ihm wenigstens eine Kanne Wasser über’s Gesicht gegossen, dann ließ ich’s gelten. Daß Du da hockst, wird ihn nicht aufbringen. Er ist der Junker von Riedd; Gott besser’ den Schloßherrn durch diesen Vorfall.“

Katharina nahm den Brei aus dem Kessel, stellte ihn vor den Vater, der sich an einen Tisch setzte, hin und sagte: „Ihr seid wieder mürrisch; was ist Euch begegnet?“

„Was sollte mir begegnet sein? Dummheiten! Alte Geschichten! Bei diesem Unwetter, das die Wurzeln der Tannen nach oben kehrt, läßt sich nicht gut fischen. Das Meer zieht die Stirne kraus, als hätt’ es ein Faß Brechpulver verschluckt. Es hat mich hinausgeschleudert bis fast an die Thore von Kolberg; kaum glaubt’ ich mit heiler Haut wiederzukommen.“

„Ihr hättet auch nicht heute fischen sollen, Vater. Mir bangte nach Euch.“

„Von was willst Du morgen leben? Du bist eine große starke Dirne, die ihr gut Theil Essen will. Die paar Kartoffeln an unserer Barracke werden wohl bald verschluckt sein. Der Herbst ist vor der Thüre. Der Sturmvogel hat sich heute wie toll geberdet mit seinem heisern Schrei.“ – Er legte den Löffel weg, schob die Schüssel bei Seite und stemmte die Arme auf den Tisch, während seine Augen zu dem Verwundeten hinüberschielten.

„Wie lange ist es her, daß sie den Burschen hierherbrachten?“ fragte er weniger barsch.

„Eine Stunde mag’s sein, Vater. Ich fürchte für den Junker. Wenn sie nur gleich einen Doktor mitbrächten.“

„Was kümmert Dich denn so gewaltig der Junker? Hat er Dir auch schon die Ehre angethan, mit Dir im Walde zusammenzukommen, wie mit des Kreuzwirths Rosi? Der alte Narr, ihr Vater, hatte sich ein neues Schild malen und drauf mit stolzen Worten setzen lassen: „Mit Gott für König und Vaterland!“ und glaubte nun, alle Barone und Grafen des Pommernlandes müßten bei ihm einkehren. Den Henker! Die Vornehmen blieben aus und die Bauern auch. Er hielt saures Bier und Branntwein, von dessen Geruch man schon sterben konnte; das nagelneue Schild sollte Alles verbessern. Es ging heillos schlecht mit ihm. Da kehrte der Junker dort, der mit dem Garaus jetzt zu schaffen hat, eines Tages bei ihm ein; er kam öfter, dann alle Tage. Er verständigte sich mit dem alten Narren, dem schwarzen Kreuzwirth; uns wurde verboten, nach andern Dörfern in die Schenke zu gehen; wir mußten bei ihm das schlechte Bier trinken und mit Bauchgrimmen den Branntwein hinunterschlucken. Der Junker paßte genau auf, wer nicht einkehrte; er saß im Oberstübchen bei der Rosi und lugte durch’s Fenster – wenn er gerade Zeit hatte, setzte er lachend hinzu. Da kam der Frühling. Ja, ja, er spielt gar seltsame Weisen, der Frühling. Im Frühling war es, da gingen die Beiden in den Wald, der Junker und die Rosi. Was da geschehen ist, weiß man nicht, man denkt sich’s blos; aber Rosi senkte fortan gar sehr den Kopf, der Kreuzwirth ließ den Hochmuth fahren und schenkte besseres Bier, sprach auch gar freundlich mit dem niedrigsten Bauern. Das ging so eine Zeit; der Junker ließ sich in der Schenke nicht wieder sehen. Eines Sonntags,

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1854). Ernst Keil, Leipzig 1854, Seite 239. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1854)_239.jpg&oldid=- (Version vom 12.3.2019)