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verschiedene: Die Gartenlaube (1854)

Populäre Chemie für das praktische Leben.
In Briefen von Johann Fausten dem Jüngeren.
Vierter Brief.
Die Alchemisten und die Goldmacher der Alt- und Neuzeit.

Haben wir auch gesagt, daß in Veranlassung zufälliger Beobachtungen und der sich geltend machenden Bedürfnisse im fernsten Alterthum bereits eine Reihe von chemischen Processen andauernd zur Ausführung kam und diese sogar einer für die damalige Zeit ungewöhnlichen industriellen Thätigkeit zur Grundlage dienten, so war nichts destoweniger die Chemie, das wahre Wunderkind der Neuzeit, noch gar nicht vorhanden und erfunden; sie war noch ungetauft. Erst im vierten Jahrhundert der christlichen Zeitrechnung treffen wir den Namen unserer Wissenschaft an und zwar in einer für uns heute ergötzlichen Gesellschaft. In einem alten astronomischen Werke des Julius Maternus Firmicus, der zur Zeit Constantin des Großen lebte, wird auch der wichtige Einfluß besprochen, den nach damaliger Ansicht, – die ja heute selbst noch bei Ungebildeten ihr Ansehen behauptet, – der Stand des Mondes zu einem Planeten bei der Geburt eines Menschen auf die Neigungen und das Geschick desselben ausüben solle. Es heißt hier, daß wenn zu dieser Zeit der Mond im Saturn stehe, der Neugeborene ein Chemiker werde.

Aus dieser dürftigen Nachricht ersehen wir so viel, daß man versucht hatte, die bekannten chemischen Thatsachen, die bis dahin ohne allen Zusammenhang neben einander hergingen, als zusammengehörig äußerlich in Verbindung zu sehen. Und daraus war eine eigenthümliche Beschäftigung entstanden; es gab jetzt erst eigene Chemiker. Sehen wir uns diese näher an.

Ich könnte hier den Lesern eine Reihe von Geschichten erzählen, die ebenso wunderbar klingen würden, wie die aus Tausend und einer Nacht; und doch wären es keine Märchen, sondern lautere Wahrheit und lehrreich zugleich, da sie uns zeigen würden, wie durch Jahrtausende der menschliche Geist im Labyrinth der Finsterniß umhertappte, wie er sich vergebens abmühte, den Faden zu finden, der ihn zum Licht geleite. Doch wir müssen uns kurz fassen bei der Schilderung dieser Parthie, die nur unternommen wird, um die Gegenwart in ein helleres Licht zu stellen, das um so glänzender strahlt, je dunkler der Grund, von dem es sich abhebt.

Himmlische Wesen, von der Schönheit irdischer Frauen geblendet und von Liebe entbrannt, hatten in schwachen Stunden ihre Geheimnisse nicht bewahren können; den schmeichelnden Bitten der Schönen war es gelungen von den Engeln die Kunst Gold und Silber zu machen in Erfahrung zu bringen. Wie das Paradies ging auch diese Kunst dem sündigen Menschen verloren; die Engel fanden nicht mehr den Weg vom Himmel zur Erde und so machten sich die ältesten Chemiker an das Werk das Verlorene wieder aufzusuchen, zumal durch Jahrhunderte hindurch das Geheimniß in den Händen ägyptischer Priester lebendig gewesen.

Das die poetische Seite; die prosaische klingt freilich anders. War auch das Eisen den Völkern des Alterthums bekannt, so steht doch fest, daß das Kupfer in Gemeinschaft mit andern Metallen weit häufiger verarbeitet wurde. Die Waffen und schneidenden Werkzeuge der ältesten Völker waren aus Kupfer gemischt mit Zink, Blei, Zinn und Arsenik gefertigt. Je nachdem nun die Verhältnisse ausgewählt werden, kann man dem rothen Kupfer eine goldgelbe oder eine silberweiße Farbe geben. Die Vorgänge hierbei waren den Alten gänzlich unbekannt; sie hielten das Kupfer für verwandelt und ahnten nicht, daß man aus der Mischung alle Bestandtheile unverändert wieder abscheiden könne. Dies und nichts anderes ist der Ausgangspunkt des Wahnes, dem Jahrtausende hindurch die Menschheit vergebens nachrannte.

Das Ziel, dem man zustrebte, brachte es mit sich, die Arbeiter lichtscheu zu machen; der Wahn der Zeit stempelte die Jünger des großen Trismegistos, des dreimalgrößten, der 36,525 Bände über alle Wissenschaften geschrieben haben soll, zu Zauberern und um den Verfolgungen zu entgehen, hausten die Adepten in einsam gelegenen, verfallenen Häusern, oder in Höhlen und Ruinen oder in der Einsamkeit klösterlicher Zellen. Wie die Eulen rief auch sie die Nacht zum Tagewerke und eifrig lauschten sie über Tiegeln und Retorten der sehnlichst erharrten Verwandlung, während die Anfänger sorgsam bedacht waren die weiße und rothe Tinktur zu bereiten, von der ein Tropfen hinreichte, ungeheure Massen unedler Metalle in edle zu verwandeln. Doch das Eldorado erreichte keiner; der grüne Löwe wollte nicht erscheinen und wenn sie auf dem Punkte standen, das köstliche Geheimniß zu fassen, da kam der unerbittliche Tod und die Frucht eines langen mühseligen Lebens war dahin. Daher kam zu dem alten ein neues Problem; der Stein der Weisen erhielt eine neue Eigenschaft: das menschliche Leben zu verlängern. Wer dies erreichte, dem konnte das Geheimniß nicht entgehen.

Gleich einer Coquetten, lockte die hermetische Kunst alle herbei, um sie zu höhnen. Einmal in ihren Banden, konnte man sich ihrer nicht erwehren, wenn auch das sichere Ziel der Bettelstab und der Galgen war. Unter den Verblendeten finden wir vornehmlich die, welche unaufhörlich den Armen auf die Freuden des Himmels vertrösten, – die christliche Geistlichkeit. Wir wollen glauben, daß in den ersten Jahrhunderten Eifer für die Wissenschaft die Jünger erfüllte, und daß sie sich nur aus Liebe zu dieser und der Menschheit, der sie zu dienen wähnten, die Lösung der unerreichbaren Aufgabe machten. Je weiter wir aber in der Zeit vorrücken, um so größer wird die Zahl der Schwindler und Betrüger, namentlich von da an, wo eine Aenderung in der Stellung der Fürsten vor sich gegangen. Sobald man anfing zu ahnen, die Völker seien nur der Fürsten wegen da, brauchte man viel Geld, um die Konsequenzen dieses Grundsatzes durchzuführen und ihm selbst Achtung zu verschaffen; leider aber waren die Steuern freiwillige Opfer der Landesangehörigen. Man mußte sich von ihnen unabhängig machen und dazu boten die umherziehenden Vaganten, die auf die große Kunst reisten, treffliche Mittel. Für diese begann jetzt eine gute Zeit und je ärger die Marktschreierei, um so glänzender der Erfolg.

Bis zum ersten Viertel des 16. Jahrhunderts, also bis zur Reformation, ging die Chemie ganz in der Goldmacherei auf; beide waren eins und ungetheilt. Die Befreiung von der geistigen Knechtschaft auf dem kirchlichen Gebiet, wirkte zurück auf die Chemie, die durchaus gefangen lag in den Banden des Autoritätglaubens; dazu kam die Erweiterung des Gesichtsfeldes und des Wissens durch die Entdeckung des Seeweges nach Ostindien und die von Amerika und hierdurch wurden neue Anschauungen lebendig. So kärglich und ärmlich der Inhalt unserer Wissenschaft damals auch war, so zweifelte man selbst an dem Wenigen und damit war eine neue Bahn gebrochen. Die Entwickelung erfolgte jedoch nicht von innen heraus, sondern die Bewegung kam von außen, so daß auch hier die Chemie nicht zum Bewußtsein ihrer selbst gelangte und abermals fremden Zwecken als eifrige Magd dienen mußte.

Das Donnerwort des Theophrastus Paracelsus Bombastus, des Wunderlichsten der großen abenteuernden Zunft der fahrenden Scholasten damaliger Zeit, war es, wodurch die Befangenen aufgeschreckt wurden, indem er ihnen die Nichtigkeit ihrer Bestrebungen vorwarf. Er hielt den großen Weisen damaliger Zeit einen Spiegel vor, aus dem ihnen, statt der geträumten Herrlichkeit, eine scheußlich verzerrte Fratze entgegenstarrte. „Mir nach,“ so donnerte er die Verblüfften an, „ich nicht Euch! Mir nach und ich nicht Euch. Ihr von Paris, von Montpellier, Ihr von Schwaben, von Meißen und Köln. Ihr von Wien und was an der Donau und dem Rheinstrom liegt, ihr Inseln im Meer, du Italien, du Dalmatien, Du Grieche, Du Araber, Du Israelit! mir nach und ich nicht Euch, mein ist die Monarchie!“ Mit beredter Stimme warf er ihnen vor, daß sie die Natur verlassen, sie, die ohne Falsch, gerecht und ganz sei, verdreht und nach ihren phantastischen Gebilden hätten umformen wollen; er wies nach, daß das große Buch der Natur, von Gottes Finger geschrieben, offen vor ihnen da läge, in welchem ihre blöden von eitler Lust verblendeten Augen freilich nicht zu lesen vermöchten.

Ein echtes Kind seiner Zeit, mit allen ihren Fehlern und

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verschiedene: Die Gartenlaube (1854). Ernst Keil, Leipzig 1854, Seite 233. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1854)_233.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)