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verschiedene: Die Gartenlaube (1854)

und Myrthensträuchen, die an den Bergabhängen wuchsen, bedeckt, wurden die Leichen der vierzig ermordeten Soldaten nun in diese Grube gelegt und dann die Erde wieder darüber geschüttet. Zum Schutz gegen die vielen Schakals und Hyänen, die in der Gegend herumschwärmten und so gern die Leichen aus den Gräbern herauswühlten, wurden nun noch eine Menge großer Felsblöcke, die unweit davon lagen, auf diese Gruft gewälzt und dieselbe so möglichst zu schützen gesucht. In nächtlichem Dunkel mußte diese letzte Arbeit noch geschehen, so viel Zeit hatte das Graben der weiten Grube hinweggenommen. Eine dreimalige Salve aus den Büchsen von zwanzig Chasseurs krachte nun zum Schluß noch über dem Grabe und gab dem ganzen Begräbniß die letzte kriegerische Weihe. Wie manche Hoffnung der in Frankreich armen zurückgelassenen Mutter, die in dem ermordeten Sohn die letzte Stütze ihres Alters fand, mochte hier nun für immer mit Erde bedeckt sein.

Die Chasseurs hatten den ganzen Tag, außer hie und da etwas trocknen Schiffszwieback, noch nicht das Mindeste genossen und so war es denn jetzt ihre erste Sorge sich die Bivouakfeuer anzuzünden, um in den kleinen Feldkesseln etwas Reis und Hammelfleisch zu kochen. Lustig flammten denn auch bald die Feuer in den dunklen Abend hinein und der Rauch der großen Myrthensträuche, mit denen man dieselben, in Ermangelung von anderem Brennholz nährte, verbreitete einen gar eigenthümlichen Wohlgeruch. Fast wie in einer katholischen Kirche, wenn die Chorknaben den Weihrauchkessel schwenken, roch es an diesen Feuern in den fernsten Schluchten des Atlas-Gebirges. Eine außergewöhnliche Stille herrschte, aber sonst war von Lachen und Witzeleien und lustigem Gesang an diesem Abend auch nicht das Mindeste zu hören. Wie geht es sonst an den nächtlichen Bivouakfeuern der französischen Truppen in Algerien häufig so munter und vergnügt zu, und es will des Geplauders und Gesinges oft bis in die späte Nacht hinein gar kein Ende nehmen. Diesmal aber war es fast, als wenn die sonst so munteren Chasseurs finstere Trapisten geworden wären, so schweigsam und ernst verzehrten sie ihre spärliche Reisportion mit dem winzigen Stücklein gesalzenen Hammelfleisch, und selbst Michelet le bon enfant, der ewig schwatzlustige Gascogner, der beliebteste Spaßmacher des ganzen Bataillons, bei dem er als Trompeter diente, wollte heute seine sonst immer so bewegliche Zunge gar nicht recht rühren. Der gehabte Anblick der so grausam verstümmelten Leichen, der Gedanke an das traurige Ende so vieler tapferer Kameraden, hatte die Soldaten nicht wenig verstimmt. Viel mochte wohl auch die große körperliche Ermüdung und Abspannung zu dieser finsteren Schweigsamkeit derselben beitragen, denn die Chasseurs hatten heute wirklich das fast Unglaubliche geleistet und nahe an zwölf Stunden und dazu oft bei einer Hitze von gewiß einigen dreißig Grad Berg auf, Berg ab marschirt, und da wird zuletzt auch der sonst abgehärtetste Feldsoldat etwas müde in seinen Knochen und schläfrig in seinen Gedanken. Wie bald streckten sich denn auch jetzt alle Chasseurs, mit Ausnahme der vielen ausgestellten Doppelposten, an den Wachtfeuern aus, den Schlaf zu suchen und im Augenblick auch zu finden. Wußten sie doch nicht, wie lange sie denselben ungestört genießen sollten, denn daß es in dieser Nacht noch zu einem Zusammentreffen mit den Kabylen kommen werde, hofften Alle gar dringend. Gar mancherlei Vorkehrungen zu einer nächtlichen, geheimnißvollen Expedition machte der Commandant noch, wie denn auch alle Chasseurs den Befehl erhielten, sich so niederzulegen, daß sie sogleich ihre Waffen bei der Hand hätten.

Kaum drei bis vier Stunden mochte der Schlaf der Leute schon gedauert haben und die mitternächtliche Stunde eben herangekommen sein, da tönte das laute Halte-la-qui-vive eines Posten, womit er zwei sich ihm nähernde Menschen zum Stillstehen brachte. Als gute Freunde gaben dieselben sich zu erkennen und sagten dem Corporal, der beim ersten Anruf des Postens sogleich mit seiner Patrouille dahin marschirt war, die Losung, worauf dieser sie an das Bivouakfeuer des Commandanten, der von dem Ruf auch aus dem Schlafe erwacht war, hinführte. Zwei Eingeborene eines mit den Franzosen eng verbündeten Stammes waren es, die der Brigadegeneral mit heimlicher Botschaft an den Commandanten geschickt hatte. Kaum hatte derselbe den kleinen Zettel mit den wenigen in französischer Sprache darauf geschriebenen Worten mühsam bei dem Schein des nur spärlich noch fortglimmenden Wachtfeuers entziffert, als er erfreut aufsprang und mit Lebhaftigkeit den unterdeß auch munter gewordenen Offizieren, die mit ihm um dasselbe Feuer herumlagen, befahl, sogleich in aller Eile und Stille die Soldaten zu wecken, da man Hoffnung habe, endlich nun die Kabylen umzingeln zu können. Wie kam jetzt plötzlich neues Leben in alle Kreise der Soldaten, „Aux armes, aux armes, nous faisons une expedition“ hieß es halblaut von Seiten der die Schläfer aufweckenden Offiziere. Alle Müdigkeit schien bei diesen wenigen Worten unter den schnell aufspringenden Soldaten verschwunden zu sein, so hurtig regten und tummelten sich dieselben. Die Aussicht, jetzt endlich die ermordeten Kameraden rächen zu können, gab ihnen neue Kräfte wieder und in wenigen Minuten standen, trotz der großen Dunkelheit, die herrschte, die Glieder wieder geordnet da, und der Abmarsch konnte beginnen. Möglichste Geräuschlosigkeit war Allen anempfohlen worden wie auch das Rauchen aus Pfeifen und Cigarren verboten wurde. Bevor übrigens der Marsch angetreten ward, mußten alle Chasseurs noch einmal sorgfältig die Ladungen ihrer Büchsen untersuchen und die Zündhütchen aufsetzen, um sogleich zum Schießen bereit zu sein.

Es war eine schöne, tiefdunkle Nacht und die Sternbilder funkelten am wolkenlosen Himmel mit prächtigem Glanze. In den Myrthen- und Aloesträuchen, deren Blüthen oft einen balsamischen Wohlgeruch ausstreuten, blitzten Millionen hellglänzender Fruchtköcher gleich strahlenden Diamanten, und der leuchtende Schein derselben half wirklich oft mit den sonst sehr dunklen Pfad zu erhellen. Heiser heulten dabei die Schakals und Hyänen oft aus großer Nähe, gleichsam als witterten sie schon die fette Beute, die ihnen noch in dieser Nacht zu Theil werden sollte. Es war ein sehr beschwerlicher Pfad, den die Truppen, von den beiden Eingeborenen an der Spitze geleitet, jetzt machen mußten und nur im Bergsteigen wie auch nächtlichen Marschiren so geübte Soldaten, wie diese Chasseurs es waren, konnten denselben bei der tiefen Dunkelheit zurücklegen. Ein Bergstrom schien es zu sein, der im Sommer ausgetrocknet war, wie man deren in Algerien so häufig findet, in dessen Bett man marschiren mußte, und ganz mit großen und kleinen Steinen war der Weg bedeckt, die den Soldaten oft nicht geringe Hindernisse bereiteten. Immer steiler und steiler fing der Pfad allmälig an aufzusteigen, immer schwieriger und mit scharfen Felstrümmern übersäet ward der Weg. Oft tönte ein zwar nur halblautes, dafür aber desto ingrimmigere „sacristie“ oder „sacre mill de tonnerres“ oder ein „trente de dieu“ eines Provencalen aus den Gliedern der Chasseurs, wenn hie und da vielleicht ein Soldat über einen Stein gefallen war, oder sich etwa die Schienbeine arg zerschunden hatte.

Eine gute Stunde mochte diese angestrengte Kletterparthie vielleicht gedauert haben, als ein schwacher rosiger Saum am fernen Horizont verkündete, daß der Tag bald anbrechen werde, als man endlich auf einer kleinen Hochebene, die ganz von hohen Felsmassen eingeschlossen war, anlangte. Ein kalter empfindlicher Wind blies von den Gipfeln derselben und berührte unangenehm die Körper der Soldaten, die erst vor so kurzer Zeit so viel noch von Hitze hatten leiden müssen. An so etwas müssen dieselben beim algerischen Felddienst sich schon gewöhnen und bei Tage glühende Hitze, des Nachts aber eisige Kälte auf den Hochebenen der Gebirge kommt häufig vor. Eine kleine Rast ward hier vom Commandanten befohlen, denn er mußte erst ein bestimmtes Signal zum Weitermarsch abwarten, und fröstelnd hüllten sich die Soldaten sogleich in ihre weiten Capotemäntel und warfen sich dann der Länge nach so ohne Weiteres auf den Felsboden hin, um wo möglich eine Viertelstunde noch den Schlaf genießen zu können, so angegriffen waren Alle. Wie eine Katze so leise verschwand jetzt Einer der Eingeborenen, die bisher Beide als Führer gedient hatten, in der schon hier auf der Höhe etwas lichter werdenden Finsterniß, um die Gelegenheit zum Angriff gegen die Kabylen mit ausspähen zu helfen. Nach ungefähr einer halben Stunde kehrte er ebenso geräuschlos wieder zurück und die Meldung, die er dem Commandanten brachte, schien diesen nicht wenig zu befriedigen. Ganz leise und mit möglichster Vermeidung auch nur des geringsten Geräusches, wurde jetzt wieder aufgebrochen und eine gute Strecke noch auf der Ebene fortmarschirt, bis man hinter einer hervorspringenden Felswand nochmals Halt machte. Immer mehr begann jetzt übrigens die Dunkelheit zu schwinden und schon rötheten sich die oberen Spitzen der Berge in rosigem

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