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verschiedene: Die Gartenlaube (1854)

No. 19. 1854.
Die Gartenlaube.
Illustrirtes Familienblatt. – Verantwortl. Redakteur Ferdinand Stolle.
Wöchentlich 11/2 Bogen. Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 121/2 Ngr. zu beziehen.

Der Bürge.
Ein Zeitbild aus der Mitte des sechszehnten Jahrhunderts.

Wenn im Jahre 1558 in Bautzen, der alten Hauptstadt der damals zum Königreiche Böhmen gehörigen Oberlausitz, irgend ein toller Streich ausgeführt worden war, der nicht allein öffentliches Aergerniß gegeben, sondern oft auch die Bewohner der Stadt in Angst und Schrecken versetzt hatte, so konnte man sicher darauf rechnen, daß ein Mann dabei mit thätig gewesen war, der unter dem Namen des tollen Barthel oder auch des polnischen Studenten im Munde des Volkes lebte, und als solcher in allen Chroniken der Stadt zu finden ist. [1] Nun gab es zu jener Zeit, wo nach Heimathsschein und Vermögensverhältnisse nicht gefragt wurde, in allen reichen und mächtigen Städten – und zu diesen gehörte auch Bautzen vor dreihundert Jahren – eine Menge Abenteurer und Parteigänger, die bei den fortwährenden Fehden, welche Fürsten, Bischöfe und Städte unter einander führten, stets bereit waren, zu Lanze und Schwert zu greifen, und für die Stadt, in welcher sie auflagen, in’s Feld zu ziehen, dabei vor Allem aber zuerst sich selbst zu bedenken, und aus den Truhen und Schränken der Bürger und Landleute, zu deren Schutz sie ausrückten, ihre Säckel zu füllen. Diese Art Glücksritter fanden vorzugsweise in der Lausitz am Längsten Aufnahme und Duldung, denn während in allen übrigen Gauen Deutschlands die Macht des rauflustigen Adels längst gebrochen war, trieben, von den Streitigkeiten begünstigt, in welchen die Städte der Lausitz fortwährend mit den Königen von Böhmen, mit den Churfürsten und Herzögen von Sachsen und mit den Bischöfen von Meißen lebten, die böhmischen und lausitzer Junker nach wie vor das Faustrecht, und niemals ärger als in der Zeit, in welcher die Sechsstädte bei dem Kaiser Ferdinand I., der zugleich König von Böhmen war, in Ungnade gefallen waren, eine Zeit, die unter dem Namen des Pönfalles genügend historisch bekannt ist, und über welche wir nur wenige Worte erläuternd hier einschalten wollen.

Schon längst war die Macht und der Reichthum der lausitzer Städte dem Kaiser Ferdinand I. ein Dorn im Auge gewesen, so wie die katholische Geistlichkeit denselben bitter wegen der immer mächtiger in der Lausitz sich verbreitenden neuen Lehre grollte, und es bedurfte daher nur der wiederholten Beschwerde der dem Kaiser ergebenen Ritterschaft, daß in den Sechsstädten das Werben für den schmalkaldischen Bund, trotz kaiserlichen Verbotes, stark betrieben werde, sowie der Klage, daß dieselben dem Befehle des Kaisers, Söldner und Geschütz zur Entsetzung des von den protestantischen Truppen belagerten Klosters Dobrilugk zu senden, nicht Folge geleistet hätten. – Nun war allerdings für den schmalkaldischen Bund und für den geächteten Churfürsten Johann Friedrich von Sachsen in der Lausitz offen und ungescheut geworben worden, aber trotzdem hatten die Städte sich nicht geweigert, dem Kaiser zu drei verschiedenen Malen Mannschaften und Geschütz zu senden, welche jedoch stets nur auf zwei Monate gedungen waren, und zurückberufen wurden, als das barbarische Hausen der spanischen Hülfsvölker in der Niederlausitz die Sechsstädte nöthigte, ihre Kriegstruppen zur eigenen Sicherheit in ihren Mauern zurückzubehalten. Als aber jene mord- und beutegierigen Horden Spaniens sich aus der Lausitz entfernt hatten, war auch das städtische Contingent von Neuem wieder ausgerüstet und nach Dobrilugk gesendet worden, um dort mit der kaiserlichen Armee sich zu vereinigen. Allein dort hatten Kaiser Ferdinand’s Kriegshauptleute dieselben mit dem Bedeuten zurückgesendet, man bedürfe ihrer nun nicht, die Strafe aber werde den Städten wegen deren trotzigen Ungehorsams auf dem Fuße folgen. Und diese Strafe bestand in nichts Geringerem, als daß sämmtlichen Städten der Oberlausitz durch einen Gewaltstreich des Kaisers all’ ihre Privilegien und Freiheiten für null und nichtig erklärt wurden, daß ihnen all’ ihre Stadt-, Lehn- und Landgüter entzogen, ihre Kirchen, Kleinodien, Geldbriefe und Stiftungseinkünfte mit Beschlag belegt, ihr sämmtliches Geschütz nebst Munition an kaiserliche Feldhauptleute abgeliefert und ihnen zur Eintreibung hoher Strafgelder starke Besatzung aufgezwungen wurde. Die Deputirten, welche die durch diese grausamen Gewaltthätigkeiten ruinirten Städte nach Prag an den Kaiser schickten, um ihre Unschuld zu beweisen und um Milderung dieser harten Strafe zu bitten, wurden in die Kerker geworfen und nur nach Erlegung hohen Lösegeldes ihrer Haft nach geraumer Zeit entlassen, den Städten aber erst nach eilf Jahren nach und nach ihre ihnen entrissenen Privilegien und Güter zurückgegeben.

Während dieser Zeit des Pönfalles hatten böhmische und lausitzer Ritter die fast schutzlosen Städte ärger als je heimgesucht, und deren ohnmächtigen Grimm auf offnem Markte gespottet; [2] – als aber die Städte nach und nach wieder zu ihrer früheren Macht gelangten, boten sie all’ ihre Kräfte auf, um sich an dem übermüthig gewordenen Adel zu rächen, und dem Unwesen der Stegreifritter ein Ende zu machen.


  1. Siehe Wilken’s Chronik S. 218 f., desgl. Grossen, S. 189 u. A. m.
  2. So schoß ein Junker von Zablitz auf dem Markte zu Bautzen einen Hund des Bürgermeister Loche nieder und feuerte ein zweites Pistol auf den Bürgermeister selbst ab, welches jedoch versagte, und als das Volk sich zusammenrottete und ihn vom Pferde reißen wollte, gab er diesem die Sporen und sprengte hohnlachend, mehrere Bürger überreitend, zum Thore hinaus. (S. Wilken’s Chronik S. 219.)
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verschiedene: Die Gartenlaube (1854). Ernst Keil, Leipzig 1854, Seite 215. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1854)_215.jpg&oldid=- (Version vom 11.8.2016)