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verschiedene: Die Gartenlaube (1854)

übrige Drittel mit der Büchse in der Hand wach bleiben mußte, um einen etwaigen heimlichen Ueberfall der Kabylen zu verhüten. Gerade solche von starken Märschen und großer Hitze erschöpfte Mannschaft heimlich zu überfallen und dann ohne Weiteres niederzuhauen, pflegen die Kabylen gar sehr zu lieben, und führen solche That häufig mit nicht geringer Schlauheit und Schnelligkeit aus. Gar viele französische Soldaten in Algerien sind auf diese Weise schon der Rachsucht ihrer unermüdlichen Feinde zum Opfer gefallen.

So wie die Mannschaft Halt gemacht hatte, war es das erste Geschäft aller Chasseurs, sich der von Schweiß triefenden Uniformen und der Wäsche zu entledigen und solche zum Trocknen in der Sonne auf dem Boden auszubreiten, während sie selbst, sonst fast ganz nackt, nur die langen dicken Mäntel anbehielten. Solche Trocknung der Kleider ist fast die einzige Behaglichkeit, die sich der Soldat bei den Streifzügen in Algerien verschaffen kann, und wenn irgend Zeit oder Umstände es erlauben, pflegt man dieselbe nie zu unterlassen, da es nicht allein sehr unbehaglich, sondern für die Gesundheit auch schädlich ist, sich gänzlich naß zum Schlafen hinzulegen. Während nun ein Drittel der Soldaten dies Geschäft besorgte, ein anderes Drittel, die Büchsen in der Hand, als Postenkette um den ganzen Lagerplatz ausgestellt wurde, war das letzte Drittel beschäftigt in aller Eile möglichst viele grüne Büsche und Sträucher, die an der Bergwand wuchsen, mit den Hirschfängern abzuhauen. Kaum einige Minuten dauerte es – denn französische Chasseurs, die bereits mehrere Jahre in Algerien stehen, sind in allen solchen Verrichtungen ungemein gewandt und schnell – so kamen die Ausgeschickten schon, mit ganzen Armen voll solcher grünen Sträucher wieder daher. Kleine Hütten, eben groß genug, daß zwei Mann mit Kopf und Brust darunter kriechen und so Schutz vor den Sonnenstrahlen finden konnten, wurden nun schnell zusammengeflochten, und so wie dies geschehen, legte sich die gesammte Mannschaft, mit Ausnahme der Wachen, zum Schlafen nieder. Förmlich in Reih und Glied, nach den Compagnien geordnet, standen diese kleinen grünen Hütten, in denen immer zu zwei und zwei Chasseurs zusammen bis an die Brust sich verkrochen, während sie die Beine lang daraus hervorstreckten. Der Tornister wurde zum Kopfkissen genommen, ein Sacktuch noch über das Gesicht gebreitet, um solches besser gegen die Sonnenstrahlen, die sich durch die einzelnen Löcher der Laubgeflechte hindurchdrängten, zu schützen, und alle Vorbereitungen zum Schlafen waren fertig. Nicht über zehn Minuten dauerte es, nachdem die Glieder auseinandergetreten waren, und im festen Schlummer versunken, lagen schon Alle lang ausgestreckt auf dem harten Felsboden, der ihnen jetzt eine mehr ersehnte Ruhestätte darbot, wie es das beste Bett je gethan hatte. Nur die armen Doppelposten, die unablässig in bestimmter Weite auf und niederschritten, mußten wach bleiben, und warfen oft mit müden Augen gar neidische Blicke auf ihre schon so sanft schlafenden Kameraden. Wollte aber ein solcher Posten auch nur einen Augenblick stehen bleiben, so trieb sogleich der laute, gerade nicht allzu freundliche Zuruf der wachhabenden Offiziere ihn wieder zur munteren Bewegung an. Es ist das einzige Mittel, um solche sehr ermüdeten Soldaten, die auf Posten sind, vor dem Einschlafen zu schützen, daß man ihnen nie gestattet, auch nur eine Minute stehen zu bleiben, sondern sie unaufhörlich in Bewegung erhält. Von dem Munterbleiben und der beständigen Aufmerksamkeit dieser Posten hängt aber die Sicherheit der ganzen Mannschaft ab, denn auf dem Bauche im Gebüsche fortkriechend und mit der Schnelligkeit und Geräuschlosigkeit einer Schlange sich nähernd, suchen die Kabylen oft heranzuschleichen, um die sich unbesorgt der Ruhe hingebenden Soldaten niederzuhauen. Jede und auch nur die allergeringste Vernachlässigung bei diesem Wachdienst wird daher in Algerien ungemein hart bestraft und selbst die Offiziere, die zur Aufsicht commandirt sind, trifft nicht geringe Verantwortlichkeit, sobald sie ihre Pflicht nur im Allermindesten vernachlässigen. So ein Felddienst auf den äußersten Grenzen Algeriens, in der Nähe der Kabylen, ist weder für die Offiziere noch Soldaten eine Kleinigkeit, sondern erfordert nicht geringe Anstrengungen aller Art.

Nach drei Stunden, von denen jeder Chasseur zwei Stunden geschlafen und eine Stunde Posten gestanden hatte, wurde wieder zum Antreten geblasen und mit der großen Schnelligkeit, welche französischen leichten Truppen eigen ist, standen die Compagnien bald wieder geordnet. Welch’ sehnsüchtige Blicke warfen manche Chasseurs noch nach den kleinen grünen Hüttchen, deren Zweige übrigens schon von der Sonnenhitze schnell verdorrt aussahen und wie gern hätten sie noch einige Stunden so fortgeschlafen, aber wehe dem noch Müden, der nicht mit der vollsten Aufmerksamkeit jetzt wieder auf den Dienst achtete oder gar noch etwas schläfrig sich zeigte, derbe Flüche, oder gar selbst einige Strafwachen würden ihm gewiß zu Theil. Mit neuer Eile ging es jetzt wieder fort, Berg auf, Berg ab, und der Commandant schien das durch die Mittagsrast Versäumte möglichst nachholen zu wollen, so unablässig konnte man sein Allons donc vite, vite, sacre dieu vorn an der Spitze der Kolonne vernehmen, sobald der Marsch nur einen Augenblick stocken wollte, da der ungebahnte Weg allzugroße Hindernisse darbot.

Schon eine Stunde war man wieder so fortmarschirt, da tauchten am fernen Horizont, wo die Thalschlucht auf einer großen Hochebene ausmündete, plötzlich mehrere Reiter auf. Mit Spannung sah die Tête der marschirenden Soldaten auf diese Gestalten, und selbst der Commandant hielt seinen Hengst eine Weile an, um das kleine Handfernglas besser vor die Augen bringen zu können. Nur fünf Reiter waren es, die in vollem Lauf ihrer Rosse über die Ebene dahergebraust kamen, und bald konnte man sie an ihren weitflatternden rothen Burnussen als Spahis in französischen Diensten erkennen. Es war gewiß eine gar wichtige Meldung, welche dieselben brachten, denn gleich Schimmeln fast, so waren ihre Rosse von Schaum weiß gefärbt und doch konnte man jetzt immer deutlicher und deutlicher erkennen, wie heftig die Reiter die scharfen Räder ihrer Bügelschaufeln den schon ermüdet scheinenden Thieren in die blutenden Flanken stießen, um solche noch immer zu rascherem Laufe anzutreiben. Beim Commandanten, der ungeduldig den Spahis entgegensprengte, um ihre Nachricht desto eher zu erfahren, angekommen, rissen diese mit heftigem Ruck ihre keuchenden Thiere fast auf die Hinterfüße zusammen, und der Aelteste derselben machte dann in schlechtem gebrochenen Französisch seine Meldung. Wahrlich, dieselbe war wichtig genug, um solche Eile zu erfordern, zugleich aber sehr unerfreulich. Ein starker Trupp Kabylen, wohl an die 200 – 300 Mann, hatte ungefähr zwei Stunden von diesem Platze entfernt, eine französische halbe Grenadier-Compagnie überfallen und auf der Stelle zusammengehauen. Die Grenadiere gehörten einem Regimente an, was erst seit wenigen Monaten aus Frankreich gekommen und deshalb noch nicht mit der eigenthümlichen Beschaffenheit der afrikanischen Kriegsführung bekannt genug war. Die starke Hitze hatte sie ermattet und zu einer Ruhe verführt, ohne daß sie dabei die nöthige Vorsicht beobachtet, sich hinlänglich durch ausgestellte Posten zu schützen. Schien die Gegend doch so ruhig und sicher zu sein, und hatten die vorher zum Rekognosciren ausgeschickten Patrouillen doch weit und breit keine Spur von irgend wie einem Feinde entdecken können, unbesorgt hatte die Mannschaft nebst den zwei Offizieren sich deshalb zum Schlafen hingelegt, und selbst die paar Schildwachen, die man ausgestellt, waren von der furchtbaren Hitze so überwältigt worden, daß sie bald nach einander auch einschliefen. Diesen Zeitraum hatten die Kabylen, die schon lange der marschirenden Truppe aus weiter Ferne nachschlichen, um womöglich die Gelegenheit zu einem heimlichen Ueberfall abzulauern, geschickt zu benutzen gewußt. Mit der ihnen eigenthümlichen Schlauheit und Geräuschlosigkeit, hatten sie sich an die Schlafenden herangeschlichen, dieselben plötzlich überfallen und dann, bevor die Ueberraschten noch rechtzeitig ihre Waffen ergreifen und sich gehörig zur Wehr setzen konnten, sie ohne Weiteres niedergehauen. So lautete die Meldung der Spahis, die den Grenadieren in einiger Entfernung nachgeritten und so dem Ueberfall glücklich entgangen waren. Uebrigens hatten die Kabylen auch sie verfolgt und zwei der Reiter bluteten aus leichten Wunden, die ihnen die nachgesandten Kugeln der Feinde zugefügt hatten, während auch das schöne, edle Roß des Einen, solche Wunde an der Brust hatte, daß es bald darauf todt niederstürzte.

Welche Aufregung brachte aber diese Nachricht unter den Chasseurs hervor! Müdigkeit und Hitze, Hunger und Durst waren auf der Stelle vergessen, nur das glühende Gefühl, die ermordeten Kameraden so bald wie möglich zu rächen, beseelte Alle. An zweihundert funfzig der kräftigsten und ausdauerndsten Chasseurs wählte der Commandant nun in aller Eile aus, obgleich fast die ganze Mannschaft sich als Freiwillige dazu meldete, und bestimmte sie, nach dem Ort des Ueberfalls hin zu marschiren,

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