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verschiedene: Die Gartenlaube (1854)

um etwas zu leisten, woran auch Andere Freude hätten. Um das zu erreichen, fehlte ihm schon die Ausdauer, oder vielmehr jene Kraft des Willens, die kleine Hindernisse besiegt, um einem bestimmten Ziele zuzujagen. Bei ihm entschied stets die Neigung des Augenblickes und leicht ließ er sich hierhin und dorthin bewegen, wie gerade die Umstände es wollten, denen er zu allen Zeiten unterthan war. Er besaß dabei die glückliche Blindheit, diese Schwäche nie in sich zu gewahren. Seine Gattin, die, wie die meisten Frauen, gerne die Herrscherin spielte, erhielt ihn in dieser glücklichen Selbsttäuschung durch die übertriebendsten Schmeicheleien, mit denen sie seine Talente bis in den Himmel erhob, und dafür ganz, ganz stille das ganze Haus nach ihrem Kopfe gehen ließ. Sie war klug und listig, und verstand es, seine Schwächen zu benutzen; der Herr Pastor Sommer war daher auch noch nie im Stande gewesen, ihr gegenüber einen Wunsch durchzusetzen, den sie nicht billigte. Durch die Gewohnheit bereits vertraut mit dieser Eigenthümlichkeit seines Ehelebens, versuchte er es nun schon nicht mehr, selbständig aufzutreten, Wie groß ihre Gewalt über ihn war, hatte sie ja bewiesen, als sie ihn gegen seinen Willen und seine Absicht zu ihrem Gatten machte. Sie waren in derselben Stadt geboren und aufgewachsen und der Knabe hatte sich dem Kinde spielend verlobt und Ringe mit ihr gewechselt. – Seine Laufbahn rief ihn dann in eine ferne Gegend, und erst als ihm ein Amt geworden, sah er den Ort wieder, wo er seine Kindheit verbracht. – Leonie Starke war jetzt bereits der ersten Blüthe beraubt; während er eben erst zum Manne reifte, hatte sie schon das Alter überschritten, das man mit dem Worte „jugendlich“ bezeichnet. Er sah sie wieder, aber ohne sie zu mahnen an vergangene Tage, ohne scheinbare Erinnerung ihrer kindischen Beziehung. Das entsprach ihren Plänen nicht. – Eine Fluth von Thränen erwiederte seine kalte Begrüßung, Klagen und Vorwürfe folgten, die ihm ein Bild ihrer wahrhaft rührenden Treue entwarfen, einer Treue, die in den vielen Jahren, die er abwesend war, nimmer wankte und keiner der vielen Versuchungen wich, die ihr in den Weg getreten sein sollten, bis er endlich erweicht, den Ausdrücken ihrer Verzweiflung dadurch ein Ende machte, daß er ihr seine Hand zu erneuertem Bündnisse bot. Sie hatte nun erreicht, was sie wollte und war nicht Willens, das schwer errungene Gut wieder fahren zu lassen. Sie versicherte, keine Stunde mehr ohne ihn leben zu können, und beharrte darauf, ihn sogleich zu begleiten, obgleich an seinem neuen Bestimmungsorte noch keine Art von Vorrichtung getroffen war zu dem Empfange einer Frau.

Diese Ehe wurde mit einem einzigen Kinde gesegnet, einem Mädchen, das nach ihrer Mutter den Namen Leonie erhielt. So wie die Kleine geboren war, begab sich der Pastor in sein Studierzimmer, setzte sich in sehr erregter Stimmung an seinen Schreibtisch und machte ein Gedicht auf das Vatergefühl beim Anblick des erstgeborenen Kindes, dessen Dasein ihm ernste Verpflichtungen auferlegte, deren Bedeutsamkeit er mit großem Verständniß schilderte. Als er es vollendet, ging er damit zu seiner Gattin, und sobald dieselbe im Stande war, ihm zuzuhören, trug er ihr es mit vielem Ausdrucke vor. Sie war von dem Inhalte tief ergriffen, pries ihr Kind glücklich, daß es einen solchen Mann „Vater“ nenne, und gelobte schließlich auch, in ihren Mutterpflichten das Höchste zu leisten, und der Kleinen selbst die erste Nahrung zu reichen. Leonie war gesund und stark und gedieh zusehends. Eine gute Wärterin war für sie besorgt und diese ließ es dem Kinde in den schönen Sommertagen nicht an Luft und Bewegung fehlen. Kam die Zeit der Mahlzeiten heran, die die kleine hungrige Erdenbürgerin mit lauter Stimme sehr häufig begehrte, so kehrte sie mit ihr bei irgend einer gutmüthigen Bürgersfrau ein, die auch ein Kind hatte, und bat diese, der kleinen Leonie die Brust zu reichen. Die Frau Pastorin mochte ohnehin nicht so oft gestört sein, sie war auch mitunter gar nicht zu finden, hatte eine Freundin besucht, eine Einladung zum Kaffee angenommen, eine Promenade auf das Land gemacht, und war recht froh darüber, daß die Wärterin so gute Auskunftsmittel zur Beköstigung der Kleinen auffand. – Es blieb am Ende fast keine Mutter übrig in ganzen Orte, die das Kind nicht nähren geholfen. Dem Vater war dies unbekannt. Die Frau Pastorin kam häufig mit der Kleinen auf dem Arme in sein Studierzimmer, hieß ihn das wundervolle Kind herzen, und verfehlte nie, das Gedeihen desselben auf ihre Rechnung und die sorgsame Erfüllung ihrer Mutterpflicht zu setzen.

„Aber wie sollte ich auch nicht gerne jedes Opfer bringen für ein Wesen, das Dich Vater nennt!“ setzte sie dann noch hinzu, und kitzelte sein Ohr mit Liebesworten und Schmeicheleien, die er, wie oft auch gehört, doch mit stets erneuertem Wohlgefallen hinnahm.

„Sie liebt mich doch ungemein!“ sagte er sich dann im Stillen, und konnte es nicht über sich gewinnen, sie durch einen Tadel zu kränken, so nahe ein solcher auch häufig vorlag; denn trotz aller dieser vorgeblichen Liebe wurde für des Gatten Bequemlichkeit und Pflege auch nicht im Geringsten gesorgt. Die Frau Pastorin schlief bis zehn Uhr, um die unruhigen Nächte einzuholen, sagte sie. So war denn das Frühstück der Fürsorge einer dummen Magd übergeben und der Herr Pastor mochte selbst mit der Kaffeemaschine umherlaufen und versuchen, wie er den Mokkatrank bereite. Da im Haushalte überhaupt jede Vorsorge fehlte, so war auch der Mittagstisch oft schlecht, ja oft gar nicht bedacht, und der Hausherr auf die erste beste Speise angewiesen, die sich eilig bereiten ließ, und seiner schwachen Konstitution gar nicht zusagte. – Es fehlte seinem häuslichen Leben auf die Art alle Behaglichkeit, und sein sinniges Hinleben unter Versuchen auf dem Kunstgebiete, fand eine unangenehme Unterbrechung durch die mangelnde Ordnung und Pünktlichkeit im Uhrwerke des Haushaltes. – Hatte er mitunter eine Vorstellung gewagt, so war eine solche Fluth von Thränen und Liebesversicherungen erfolgt, daß er endlich jedem Kampfe gegen Waffen entsagte, denen kein Mann gewachsen ist.

Die kleine Leonie fing an zu lallen; bald stammelte sie den Vaternamen, der, zum ersten Male gehört, mit so süßem Klange berührt, und endlich trugen auch die kleinen Füße sie allein zu ihm hin. Das waren Freuden, die sein Herz rein hinnahm, und die eine Stimmung zurückließen, welche er gleich in ein Gedicht übertrug. – Das kleine Mädchen spielte nun schon allein vor dem Hause und im Garten, und bald gesellte sich hier ihr kleiner Nachbar, der jüngste Sohn des Herrn Präpositus, zu ihr, der, obwohl um ein Jahr älter, doch gerne mit ihr als Spielgefährtin verkehrte; denn auch er war das einzige Kind seiner Mutter und von seinen Stiefgeschwistern um viele Jahre geschieden.

Da die kleine Leonie nun nicht mehr getragen zu werden brauchte, so entließ die Frau Pastorin die Wärterin, die sie nun eine unnütze Ausgabe dünkte, und das Kind war von da an so ziemlich sich selbst überlassen. Ihre Mutter hatte die Gewohnheit des langen Schlafens beibehalten. Um sie nicht zu stören, kroch sie daher früh aus ihrem Bettchen, rief die Hausmagd, daß sie sie ankleide und eilte dann zu ihrem Nachbar. Bald lebte sie fast den ganzen Tag dort. – Die Frau Präpositus Liebig freuete sich, wenn das geliebte Söhnchen mit seiner kleinen Freundin spielte. Der Knabe war ja ihre ganze Freude.

Nicht mehr jung, alleinstehend in der Welt, für ihren Unterhalt auf eine Mädchenschule angewiesen, der sie seit zwanzig Jahren vorstand, war ihr die Wahl des Herrn Präpositus ein Glück, das sie dankbar hinnahm. – Sie hatte nun einen Beruf gefunden, der auch ihrem Herzen etwas bot; sie konnte durch ihre Pflege und Sorgfalt den Lebensabend eines Mannes verschönern, dem sie Dankbarkeit schuldete, sie konnte hoffen, sich dadurch seine Zuneigung zu gewinnen. Mehr begehrte sie nicht, als dies zu erreichen. –

Nach einem mühseligen Leben der Pflicht, die wenig Anerkennung und weniger Lohn gefunden, war es schon ein Glück, einem Andern etwas durch das Herz zu sein, und Auguste Liebig empfand es wohlthätig, nach so langem Entbehren die Sphäre gefunden zu haben, wo das Weib in ihr seine Rechte geltend machen durfte. Ein eigenes Kind an die Brust zu drücken, darauf rechnete sie nicht, und bei der Zahl ihrer Stiefkinder durfte sie auch kaum einen solchen Wunsch hegen. Als nun dennoch ein Knabe geboren ward, legte sie ihn scheu und zögernd dem Gatten in die Arme, mit der Bitte, dem Kleinen nicht entgelten zu lassen, daß er hier unwillkommen sei.

Der Präpositus nahm die Begebenheit auf, wie etwas, durch das man seinen Frieden nicht muß stören lassen, und bald erholte sich seine Gattin auch so weit wieder, um den Haushalt auf gewohntem Fuße fortzuführen. Mehr bedurfte er nicht zu dem Maße seines Glückes. – Er war in seinem Studierzimmer unter seinen Pfeifen, kam nur zu den Mahlzeiten in das Wohnzimmer, und fand seine Unterhaltung außer dem Hause, entweder an einem Vergnügungsorte oder in einem Club. Die Frau Präpositus saß

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