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verschiedene: Die Gartenlaube (1854)

No. 14. 1854.
Die Gartenlaube.
Illustrirtes Familienblatt. – Verantwortl. Redakteur Ferdinand Stolle.
Wöchentlich 11/2 Bogen. Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 121/2 Ngr. zu beziehen.

Die Candidaten-Braut.
Von Amely Boelte.

An den Ufern der Ostsee liegt in einer Fläche das Städtchen R…a. – Sandfelder umgeben es ringsum, auf denen der Roggen spärlich gedeiht, ein Flüßchen schlängelt sich bescheiden durch dieselben, dessen seichte Ufer Binsen dicht beschatten, hinter denen verborgen ein rohes Steinbild des alten heidnischen Gottes Radegast zu schauen ist. – Kein Punkt bietet sich in der ganzen Umgebung, auf dem das Auge gefesselt weilte, kein Hügel und kein See bildet hier eine Gruppe, die man mit dem Worte „schön“ bezeichnen könnte. Das Städtchen selbst, mit seinen rothen Dächern, und dem geraden hohen Thurm, der sich oben wie plötzlich abdacht, und mit einer mit einem Kreuze versehenen goldenen Kugel verziert ist, steht da, als wäre er von Knabenhand, gleich einer Spielerei, dort aufgestellt. Die Straßen, deren es nur drei zählt, sind still und einsam. – Geht Jemand über dieselben, rollt ein Wagen, verläuft sich ein Kind, so blickt sogleich aus jedem Fenster ein Auge, um die ungewohnte Begebenheit nicht unbeachtet zu lassen. – Der Eingang eines jeden Hauses hat eine Glocke, die das Eintreten eines Fremden verkündet, der dann unaufgehalten an die Thüre des Wohnzimmers klopft und eines Hereins gewärtig ist.

Von Handel und Verkehr ist in einem solchen Orte keine Rede. – Was hätte man hier wohl auf den Markt zu bringen? – Jeder Handwerker arbeitet, was sein Genosse von ihm entlehnt und baut daneben ein Stückchen Ackerland an, das für seine Familie die hinreichenden Feldfrüchte liefert. Nach Außen hin gehen seine Produkte nicht, es sei denn in die umliegenden Dörfer, die allerdings, da sie kein Zunftrecht haben, auf den Städter angewiesen sind. Still und ruhig leben die Leute von Tag zu Tag hin, das Jahr vergeht wie die Stunde, das Treiben der Welt kümmert sie wenig, ihre Interessen reichen meistens nicht über die Feldmarken hinaus.

Aber wie abgeschieden auch eine solche kleine Stadt liegen mag, so bedarf sie doch immer der ganzen Regierungsform, deren ein größerer Ort theilhaftig wird, und auch hier konnte man sich in dieser Hinsicht über keinen Mangel beklagen. Der Ort hatte einen Bürgermeister nebst drei Senatoren, einen Stadtrichter, einen Amtmann, der die Bauern verurtheilte, und zwei Prediger. – Dies waren die sogenannten Honoratioren, die vornehme Welt, die mit einander umging und ihren Kindern erlaubte, sich zu kennen. Auch ein paar Aerzte wurden diesem Kreise zugerechnet; denn sie waren ja auch Studierte, und nur die Unstudierten konnten hier auf keinen Zutritt rechnen.

Ein so kleiner Cirkel von gebildeten Menschen, der so ganz auf einander angewiesen ist, muß nothwendig in sehr nahe Berührung gerathen, und diese bringt nicht immer Segen. Die Frauen besonders, die für den Rang ihrer Männer einzustehen haben, und außerdem noch Vergleiche über ihre gegenseitige Kleidung anstellen müssen, finden es oft sehr schwierig, hier die rechte Mitte zu halten. Die beiden Prediger des Ortes lebten fast unter einem Dache, so nahe grenzten ihre Wohnungen an einander, und ihre Gärten, die an dieselben stießen, waren nur durch eine niedrige Dornenhecke geschieden. Der erste Geistliche, der Herr Präpositus Liebig, war schon ein bejahrter Mann und hatte bereits seine vierte Gattin heimgeführt. Er wollte nicht aus der Gewohnheit kommen, sagte er, und entschloß sich darum nach dem Absterben einer jeden, rasch zu einer neuen Heirath, wobei von einer eigentlichen Wahl auch nicht viel die Rede war; denn sich lange umzusehen, das wäre unbequem gewesen. Irgend ein Mädchen seiner Bekanntschaft, das nicht zu anspruchsvoll war, und eine sogenannte Versorgung um jeden gebotenen Preis annahm, genügte, und die Sache wurde ohne Verzögerung abgeschlossen. – So hatten sich denn im Laufe der Zeit vier Familien unter seinem Dache gebildet, und der Herr Präpositus Liebig fand es mitunter schwierig, seinen Kindern die Mittel zu einer Erziehung zu gewähren, die dennoch das einzige Kapital war, welches sie aus dem älterlichen Hause hinwegführen konnten. Wurde für die Söhne nur noch einigermaßen gesorgt, erhielten sie wenigstens den nothwendigen Schulunterricht, um sie sowohl zum Studiren, als auch zu irgend einem sonst von ihnen zu wählenden Stande zu befähigen, so geschah dagegen für die Töchter um so weniger. Verheiratheten sie sich, so wußten sie ja lange genug; denn dort im Norden erwartet man von einer Frau eben nicht mehr, als daß sie Mutter werde, und ihre Kinder selbst nähre. Fand sich aber keine solche Versorgung für sie, so mußten sie auf dem Lande die Wirthschaft lernen und dadurch ihren Unterhalt gewinnen. Ob darin eine Aussicht für ihre spätern Lebensjahre begründet lag, das war eine Sache, die man im Schooße der Zeiten ruhen ließ.

Der zweite Prediger, Herr Sommer, war ein Mann in seinen besten Jahren und gehörte damit seiner ganzen Richtung nach schon einer andern Aera der Bildung an. Er war hager und schmächtig gebaut, und die hochrothen Flecken auf seinen spitz hervortretenden Backenknochen deuteten den prekären Zustand seiner Gesundheit an. Er hatte ein Auge für alles Schöne, er dichtete und malte und beschäftigte sich mit der Literatur, aber immer nur in Dilettantenweise, um müßige Stunden auszufüllen, und nicht,

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verschiedene: Die Gartenlaube (1854). Ernst Keil, Leipzig 1854, Seite 155. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1854)_155.jpg&oldid=- (Version vom 17.10.2016)