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verschiedene: Die Gartenlaube (1854)

Lebens- und Verkehrsbilder aus London.

Das Geldmachen.
Die Seele des englischen Lebens. – Der Proceß des Geldmachens. – Dickens als Geldmacher. – Ein Beispiel. – Kein Ehrenkleid. – Noch zwei Beispiele. – Ein Party-Streich. – Die Besitzer der großen Geschäfte in London. – Die Umwandlung dieses Zustandes.

Das „Geldmachen“ ist so sehr die ganze Seele des englischen Lebens, daß man letzteres ohne ersteres gar nicht verstehen kann. Die geldmachende Gewalt ist der Kopf, das Hirn aller Hände und Maschinen. Letztere machen nicht nur die Waaren und Handelsartikel, sondern auch das Geld für den herrschenden Kopf, der es nur nicht für die producirenden Hände verwendet, sondern für sich und seine eigenen Glieder. Dieser von den „arbeitenden Klassen“ immer aufwärtsfließende Strom des Geldes ist die große Tragödie des englischen Lebens, sein dämonischer Kampf, der neuerdings wiederholt und immer massenhafter und dramatischer in „Strikes,“ in Arbeitseinstellungen sowohl der Arbeiter, als der Arbeitgeber ausbrach.

Wo das Geld Haupt und der Geist Sklave geworden, Sklave des grausamsten aller Despoten, in einer solchen Gesellschaft ist „etwas faul,“ ist die Welt aus den Fugen und jeder edlere Charakter ein Hamlet, der sich den Kopf und vielleicht noch das Herz zerbricht, diese Welt wieder in Fug und Recht zu bringen.

Sehen wir uns den Proceß des Geldmachens genauer an. Ueberall in England, wo man „a good thing“ sieht, wie’s in der Geschäftssprache heißt, steckt auch eine Partei, „a party“ dahinter, der das Geld dieses guten Dinges“ gehört. Die Partei, die Gesellschaft, die aus Aktionären und „Eigenthümern“ besteht, bildet sich überall, wo für Erfindungen, Verbesserungen, Erweiterung rentirender Unternehmungen und Geschäfte Geld gebraucht wird. Das ist gut und der eigentliche Schlüssel zu der Größe Englands. Aber was ist daraus geworden? England, Irland, Spaniens und Portugals Weinberge, eine Menge deutsche Geschäfte, hunderttausende von Meilen in Ostindien, Australien und Amerika arbeiten für diese englischen Geldmacher, ohne daß diese etwas Anderes thun, als das Geld zu nehmen und es für ihre Zwecke zu verwenden. Welch eine Welt! Da arbeiten und schwitzen rund um die Erde Millionen von Menschen, und einige Tausend, die nie arbeiten und nie schwitzen und so vornehm sind, daß der Ausdruck „Schweiß“ in ihrer Gesellschaft nie gebraucht werden darf, nehmen die Früchte dieser Millionen in täglich Hunderten, ja Tausenden von Pfunden pro Kopf ein. Die Millionen, um diesen regelmäßig und massenhaft strömenden Verlust in Erfolg und Frucht zu ersetzen, rennen und laufen und placken sich wie wahnsinnig durch jeden Tag den Lebens, während die „Parteien,“ die Geldmacher in stolzen Equipagen von Schloß zu Schloß und Land zu Land, in’s Parlament und aus dem Parlamente fahren.

Die Millionen sitzen Jahr aus Jahr ein täglich von früh bis in die Nacht in Läden oder Werkstätten, oder bei Maschinen und sind froh, wenn sie Sonnabends so viel von ihren „Früchten“ ausgezahlt bekommen, daß sie Weib und Kind ernähren können, oder auch nicht froh, so daß sie sich in ihrem Aerger mit sammt der Frau betrinken und letztere in der Nacht zum Sonntag zer- oder gar todtschlagen. Der Geldmacher sieht in seinen Mitmenschen nichts als Heerden von Thieren, die nichts sehnlicher wünschen, als von ihm gesattelt, gezäumt, angespannt und geritten zu werden. Er ist „der Böse“ des alten Glaubens, der listig umherschnüffelt, um Seelen zu kaufen oder durch Contracte so zu schnüren, daß sie ihm ausschließlich dienen müssen mit Leib und Leben.

Die Verkehrsverhältnisse Englands sind so in dieser Richtung ausgebildet, daß es Niemand mehr der Mühe werth hält, etwas Anderes zu erstreben, als eine „party“ zu sein oder zu ihr zu gehören. Ein Schriftsteller zu sein, selbst ein berühmter, heißt ein Sklave sein. Die Erfahrung machte Dickens noch in seiner Blüthenzeit und rettete sich aus einer Sklaverei nur dadurch, daß er für seine eigenen Produktionen „party“ wurde, d. h. Selbstverleger, außerdem „party“ mit den Household-Words, die dafür, daß er deren Eigenthümer und Redacteur ist, jährlich 4000 Pfund an ihn zahlen. Wenn auch diese in der Literatur unerhörte Summe übertrieben ist, bleibt sie doch im dritten und vierten Theile noch beispiellos. Was Dickens mit seinen Arbeiten erreicht hat, nämlich Arbeiter und Geldmacher in einer Person zu sein, dahin streben alle Arbeitermassen aus ihren strikes hervor, nur daß ihnen eben das Kapital dazu fehlt, welches einmal „auf der andern Seite“ aufgehäuft ist und fortwährend durch neue Strömungen genährt wird. Das Capital ist der Erden und Himmel mit seinen Brauen erschütternde und regierende Oberste der Götter im Olymp.

Machen wir die Sache selbst durch einige Thatsachen anschaulich. Vor fünfundzwanzig Jahren entstand unter den Damen große Nachfrage für eine bestimmte Sorte von Band und Besatz, der fast ganz mit der Maschine gemacht werden konnte. Doch diese konnte blos immer ein Muster machen, so daß für verschiedene Muster verschiedene Maschinen nöthig wurden. Das war um so kostspieliger, als das Princip aller dieser Maschinen ein Geheimniß war, welches streng gehütet ward. Aber als einmal eine dieser Maschinen Schaden gelitten und Niemand zu finden war, der sie hätte wieder herstellen können, als ein Deutscher in Manchester, wurde dieser herbeigerufen und eingeschlossen, sie wieder herzustellen. Dies that er, studirte aber dabei die Maschine so genau, daß er sie nicht nur, sondern auch deren Fehler begriff, und Monate darüber nachdachte, wie sie sein müsse, um alle Muster zu machen. Endlich hatte er’s. Seine Erfindung war noch dazu viel einfacher und wohlfeiler. Wäre er eben so klug, als erfinderisch gewesen, hätte er mit seinem Pfunde gewuchert; aber er machte kein Hehl aus seinem Triumphe und so kam sie einer Gesellschaft von Capitalisten, einer „party“ zu Ohren, die vor ihm niederfiel und ihn nicht nur anbetete, sondern auch hundert blanke Sovereigns dazu legte und ihm dafür „den Gedanken“ mit allen seinen Konsequenzen abkaufte. Außerdem schmiedeten sie ihn in einen Contract, wonach er die Maschine blos für sie machen mußte und durfte. Die „party“ machte“ damit bis jetzt 1,500.000 Thaler netto, der Erfinder blieb Maschinenarbeiter bis zu seinem Tode und hinterließ seiner Familie nichts, als die Sorge, sich durch Nähen und Waschen für andere Leute zu ernähren.

Man kann hier sagen: „Nun, warum war er so dumm?“ Freilich, aber unter civilisirten Menschen will man auch mehr sehen, als Geldmacherei und bloße Vermeidung des Strafbaren. Für ein Geschenk von 1000 Pfund an den Vater der anderthalb Millionen hätte die „party“ ein Ehrenkleid bekommen, ein menschliches Ansehen. Was geht ihr die Ehre an? Was kümmert sie sich um menschliches Ansehen?

Die Menge Erfindungen, die aus der großen Welt-Ausstellung in die Hände von Geldmachern fielen, die Zahl großer praktischer Ideen, welche seit Jahrzehnden halb verhungert von Deutschland herüberkamen und der Sache und dem Namen und der Ehre und dem goldenen Erfolge nach Eigenthümer solcher „party’s“wurden, bilden eine reiche Geschichte von Elend und goldenen Bergen. Nur ein Beispiel. Ein Verfertiger musikalischer Instrumente zeigte eine ganz bedeutende Verbesserung eines sehr gebrauchten Instruments. Aber als ein armer Künstler hatte er kein Geld, die Erfindung an mehreren Instrumenten auszuführen. So fiel er in die Hände einer „party,“ welche in edelster Theilnahme ihm anboten, das Geld vorzuschießen, natürlich der bloßen Ordnung wegen, unter bestimmten Bedingungen, z. B. für die nächsten sieben Jahre jedes Instrument, bei einer Strafe von 15000 Thalern, für einen bestimmten Preis nur an die party, nur an die edelmüthigen Darleiher und jeden Monat mindestens so und so viel zu liefern. Alles wurde gesetzlich verbrieft und besiegelt. Das edelmüthige Geld zwang den Mann, der bisher im Kleinen selbstständig gearbeitet, sein Geschäft ungeheuer zu vergrößern, um den Contract erfüllen zu können. Die Sorgen sind maßlos groß, der Gewinn nicht größer geworden, während die Darleiher sechzig Procent nicht machen, sondern auch wieder von Andern machen lassen. Nach dem Maße ihres bisherigen Gewinnes, müssen sie im Verlauf der sieben Jahre 120,000 Thaler netto „gemacht“ haben. Der Erfinder und Fabrikant kann inzwischen nicht besser dran sein, als jetzt, da sein Gewinn für Leben und Erhaltung des Geschäfts drauf geht. In ähnlicher Weise wird der Erfinder eines neuen Tapetendruckes ausgebeutet. Und ein Verbesserer von

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verschiedene: Die Gartenlaube (1854). Ernst Keil, Leipzig 1854, Seite 147. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1854)_147.jpg&oldid=- (Version vom 21.4.2020)