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verschiedene: Die Gartenlaube (1854)

Eine Jagd auf entlaufene Neger.

Die Sonne verschwand hinter den Bergen und die Neger, die unser Gepäcke trugen, entledigten sich ihrer Last wie Leute, die sich darauf einrichten, Halt zu machen. Wir hatten jene Stelle erreicht, wo die zwei Bäche sich vereinigen, denen der Fluß Marsau, eines der breitesten und klarsten von allen jenen wunderlichen Gewässern, die die Insel Bourbon befruchten, seine Entstehung verdankt. Vor uns gegen Westen erhob sich jenseits des Coteau-Maigre eine vulkanische Gebirgsmauer, über welche der Piton-de-Fournaise seine lange Rauchsäule emporschwingt. Wenn wir uns gegen Osten wendeten, sahen wir im Gegensatze zu dieser rauhen drohenden Natur zwischen zwei runden, waldbewachsenen Gipfeln das Meer, das so still war, wie ein schöner See. Ein großes Schiff, das in der Richtung gegen Isle-de-France fuhr, reflectirte in seinen Segeln die letzten Farben des Tages und die unaufhörlich der Küste entlang bewegten Wasser schäumten, indem sie sich an den Vorgebirgen brachen.

„Wenn es beliebt, meine Herren,“ sagte der Doctor, „so gehen wir heute nicht weiter; bevor wir in die kalten Gegenden der Insel dringen ist es gut, wenn wir diese Nacht noch einmal im gemäßigten Lande zubringen. Das heißt nämlich, wenn wir hier ein passendes Unterkommen finden.“

„Das ist meine Sache,“ bemerkte der creolische Führer; „ich weiß in der Nähe eine berühmte Höhle, nach der ich lange gesucht habe. Wenn ich mich nicht täusche, müssen wir ziemlich nahe daran sein; lassen Sie mich einmal sehen, ob dieser Pfad nicht hinführt.“

Und er verschwand mit seinem Hunde im Gebüsche.

Der Doctor, der es nicht erwarten konnte, seine am Tage gepflückten schönen Pflanzen zu mustern, nahm seine über die Schulter eines Schwarzen hängende Büchse, öffnete sie und betrachtete eine Zeit lang seine reiche Ausbeute; dann tauchte er die von der Tageshitze schon welken Stengel in den Bach.

„Wer weiß,“ rief er seufzend, indem er die Ueberbleibsel der Blätter und Wurzeln, die in seiner Büchse aufgehäuft waren, in die Strömung des Wassers warf, „wer weiß, ob die Vulkane nicht für immer verlorene Varietäten und Species unter der Lava begraben haben? Mit den Verheerungen des unterirdischen Feuers vereinigen sich die einer immer räuberischen Cultur; die Oertlichkeiten ändern sich …“

Ein Flintenschuß, der in einiger Entfernung von dem Orte, wo wir saßen, abgefeuert wurde, unterbrach die Reflexionen des Botanikers und setzte die kleine Schaar in Schrecken; das Geräusch der Feuerwaffe, das sich in den Echos der Gebirge wiederholte, rollte von Fels zu Fels und tönte dumpf in den Wäldern wieder, die sich staffelförmig unter uns hinabsenkten. Jedermann eilte der Gegend zu, von wo man die Explosion gehört, und nachdem man ein dichtes Gehölz durchstreift hatte, befanden wir uns am Gipfel einer Abdachung, die einen wahren Abgrund begrenzte. Der Führer wischte seinen Karabiner ab und pfiff seinem Hunde.

„Nun, Moritz!“ rief ihm der Doctor zu, „was für einen Feind trafen Sie auf diesem Striche?“

„Es ist nichts,“ erwiederte der Creole. „Bevor ich in die Grotte trat, wollte ich mich nur vergewissern, ob sie nicht besetzt ist. Mein Hund spürte was; er hörte nicht auf zu bellen. Ich lud meine Flinte und schoß in dem Momente, wo ein flüchtiger Schwarzer sich in die Schlucht versenkte, indem er sich an den Schlinggewächsen hinunterließ. Sie können eintreten, meine Herren, von nun an wird Niemand Ihre Ruhe stören. So weit dieser Schuß widerhallte, ist das Raubgesindel benachrichtigt, daß Weiße auf der Höhe sind; sie werden sich ruhig verhalten.“

Ein Vorhang von Schlinggewächsen verdeckte den Eingang zur Höhle vollständig; nichts konnte vermuthen lassen, daß es nicht ein grün bekleideter Felsen sei und diese einsame Zufluchtstätte konnte nur von einem Flüchtlinge entdeckt werden, der in allen Gebüschen nach einem Asyle suchte. Wir zündeten eine Lampe darin an, die sich in reizenden Reflexen auf den gezackten Blättern abspiegelte, und streckten uns auf das feine Moos nieder, das der Doctor sich wohl hütete, zusammenzudrücken, bevor er nicht mit der Lupe eine Hand voll geprüft hatte; er versicherte sogar, denn er war ein wenig weichlich, daß dieser frische Teppich ihm weicher dünke als Sammet. Was mich betrifft, so fürchtete ich, daß der Creole den flüchtigen Schwarzen, den er aus seinem Lager verjagte, verwundet oder vielleicht getödtet habe; aber er beruhigte mich vollständig.

„Ich habe ohne Kugel geschossen,“ erwiederte er mir lachend. „Zudem wollte ich nur ihn und seines Gleichen entfernen, sonst nichts; es giebt noch andere Höhlen, glauben Sie mir, die vielleicht weniger angenehm sind, wie diese da, aber immer noch gut genug für einen Neger.“

„Gott gebe, daß Sie uns auf unserer Forschungsreise in Eurem wilden Gebirge immer so angenehm logiren können!“ sagte der Doctor. „Es scheint, daß die Natur diese reizenden Asyle für diejenigen schuf, die die Liebe zur Wissenschaft von den bewohnten Ebenen in die Ferne zieht. Aber durch welchen Zufall haben Sie diese Grotte entdeckt, Moritz?

„O!“ antwortete dieser, „welcher Creole aus den Quartieren St. Rosa und St. Benedict hätte sie auf seinen Treibjagden nicht besucht? Welcher Pflanzer auf der Insel hätte nicht von der Grotte Malgache reden hören? Nur giebt es viele, die nicht wissen, woher sie diesen Namen hat. Das ist eine alte Geschichte.“

„Die zu erzählen Sie ohne Zweifel nichts hindert?“

„Nichts, außer daß Sie vielleicht auf den heutigen Weg des Schlafes bedürftig sind; morgen haben wir wieder viel zu steigen, um die Moosgegend zu erreichen, die sie durchstreifen wollen. Und dann möchte eine Negergeschichte für Sie nicht interessant sein!“

Bei Excursionen von der Art, wie wir eben eine unternahmen, hat der Führer gewöhnlich einen ziemlich hohen Begriff von seiner Wichtigkeit: er leitet die Bewegungen des Zugs so lange er auf dem Marsche ist; aber an der Haltstelle merkt er, daß sich seine Stellung geändert hat. Er wird aus einem Schwätzer, der er war, schweigsam; Fragen setzen ihn in Verlegenheit und machen ihn mißtrauisch, bis die leiseste Achtungserweisung seitens derer, die ihn begleiten, ihm seine gewohnte Sicherheit zurückgiebt. Um Moritz’s Schüchternheit zu überwinden, und ihn dafür zu gewinnen, daß er uns seine Geschichte zum Besten gäbe, bot ich ihm einige vortreffliche Manilla-Cigarren an, indem ich ihn bat, uns das mitzutheilen, was er selbst von dieser Grotte wisse, in der wir uns so bequem eingerichtet hatten. Dieses einfache Entgegenkommen hatte seine Wirkung; er setzte sich zwischen den Doctor und mich und sagte, indem er eine der Cigarren in seine Tasche gleiten ließ:

„Dank, mein Herr; ich werde das des Sonntags im Dorfe rauchen; für jetzt lassen Sie mich eine Pfeife mit Taback aus meinem Garten stopfen. Was die Geschichte betrifft, wenn Sie darauf bestehen, so verlange ich nicht mehr, als daß ich Sie erzählen darf. Wir andern kleinen Colonisten sind nicht so klug, wie die Franzosen in Frankreich; doch Sie, meine Herren, würden mich nicht zum Sprechen veranlassen, wenn Sie meiner spotten wollten.“




I.

„Ich bin niemals gereist, meine Herren,“ sagte Moritz, indem er seinen Strohhut auf seinen Flintenlauf setzte, „folglich weiß ich nicht, ob in andern Ländern die Wege sich täglich verändern; aber ich kann versichern, daß, seitdem ich auf der Welt bin, viele Neuerungen auf dieser Insel eingeführt wurden. Man macht so viel urbar, daß das Wasser bald aus unsern Flüssen verschwinden wird, und unser, für den kleinen Creolen Beruf, die nur einen Garten, ein Maisfeld und einige Fuß Vahuahs, um Zuckersäcke zu machen, besitzen, unser Beruf ist während der Woche dreimal die Fischerei, die übrige Zeit vertreiben wir uns mit der Jagd auf wilde Ziegen, die seltener werden, auf Drosseln, die bald aus den Wäldern verschwunden sein werden und auf flüchtige Neger, wenn es welche giebt. Denken Sie, daß wir, wenn alle Gehölze abgetrieben, die weitläufigen Ländereien verkauft und auf allen Plateaus Dörfer angelegt sein werden, nicht mehr leben

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