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verschiedene: Die Gartenlaube (1854)

eine große Wolke von Federn auf den Gemißhandelten herab und klebte ihm Hände voll von Federn da auf, wo sie zu fehlen schienen. Pater Isidor war in das seltsamste Ungeheuer verwandelt, in einen in das Tragische übersetzten Papageno aus der Zauberflöte, in einen Riesenvogel mit gesträubten weißen Federn, der jetzt in der Richtung nach Santa Fé zu, dessen ersten Häuser kaum dreihundert Schritte entfernt sein mochten, zu laufen anfing. Er hielt die Arme emporgehoben, um die Federn wenigstens vom Gesicht zu entfernen und die fliegenden Hemdärmel machten daher den Eindruck eines zweiten Armpaares…

Der Uebelthäter kehrte zum Bach zurück, wusch sich das Gesicht und Don Felipe’s Züge wurden sichtbar. Er warf Sack und Eimer von sich und eilte laufend nach der Casa vieja[WS 1], beschwichtigte die Hunde und kam unbemerkt auf sein Zimmer zurück. Don Felipe legte sich mit der Gewißheit nieder, daß Pater Isidor keine vierundzwanzig Stunden mehr in Santa Fé verweilen könne, sobald sein Abenteuer bekannt werde. Die Väter Jesu in Vera-Cruz ließen einen so geschändeten Bruder in Santa Fé sicher nicht wieder vor den Altar treten, sondern würden sich beeilen, denselben so weit als möglich von dem Schauplatz seines Unfalls zu entfernen. Und wie sollte der „Vogel“ sich nicht zeigen müssen? Sein Hauswirth, der Gewürzkrämer, oder irgend ein Anderer, dessen Wohnung er betrat, mußten ihn sehen – und schweigen hat kein Mexikaner gelernt. Auch nicht nach dem Gasthaus, wo Martigues wohnte, konnte der Arme ohne gesehen zu werden …

Isidor erreichte Santa Fé und lief einem fremden Maulthiertreiber entgegen, der sich wegen der Hitze am Tage mit seinen fünf oder sechs beladenen Thieren schon um Mitternacht auf den Marsch begeben hatte, um die Straße nach Acanosika zu verfolgen. Der Arriero stutzte und erschrak vor dem seltsamen Gespenst und rief ihm: „Halt!“ entgegen, indeß er seinen Carabiner von dem Sattel seines Thieren nahm. Isidor lief vorwärts und winkte mit der Hand – um sich sofort auf der Straße zu wälzen, während ein Schuß durch die Mitte der Nacht krachte. Der Pater blieb als eine träge Masse unbeweglich, als die Menschen aus den Häusern stürzten und sich um den Getroffenen bemühten.

Hector de Martigues hatte indeß emsig gearbeitet und das Portrait Josita’s, welches er für die Madonna seines Bildes benutzen wollte, war unter seinem gewandten Crayon entstanden.

Er empfahl sich und kam, von Inesilla geführt aus dem Garten in’s Freie und traf eben in Santa Fé ein. als so ziemlich die ganze Bevölkerung sich auf der Straße um die Leiche des „getheerfederten“ Pater Isidor versammelt hatte.

Der arme Maulthiertreiber ward zuerst festgehalten und entging nur durch die Anstrengungen des Alcaden dem Schicksal, sofort aufgeknüpft zu werden. Es war einleuchtend, daß der Maultiertreiber mit den Theerfedern nichts zu thun gehabt hatte, und in fieberischer Aufregung suchte der Scharfsinn des Volks den Urheber dieser Grundursache des Mordes. Es änderte nichts an der Erbitterung der Leute von Santa Fé. daß Pater Isidor noch athmete … Die Kugel hatte die Schläfe schwer gestreift und bewußtlos lag der Arme auf seinem Lager ausgestreckt …

Da richtete sich der Verdacht auf den fremden Maler, den Begleiter des Pater auf feinen Spazierwegen. Er war spät mit Isidor fortgegangen, war nicht nach Hause gekommen und hatte sich erst dann gezeigt, als Isidor in seinem Blute lag. Wo war der Fremde gewesen? Martigues war nichts weniger als ein Held und er beging die Unvorsichtigkeit, sich am folgenden Tage in aller Stille nach Vera-Cruz auf den Weg zu machen. Es war nichts natürlicher, als daß er im Laufe desselben Tages noch von berittenen Imrocho’s eingeholt und in’s Gefängniß zu Assencion geführt wurde. Von hier aus schrieb er an Manuela folgenden Brief:

„Madame!

„Das Geschick des unglücklichen Pater Isidor ist Ihnen unzweifelhaft bekannt geworden. Ich befinde mich hier im Kerker, angeklagt, den Unglücklichen getheerfedert zu haben, und so die Ursache seiner tödtlichen Verwundung geworden zu sein. Ich berufe mich auf Ihre Herrlichkeit und auf Donna Josita des Esconnez. damit Sie mich durch Ihre Aussage befreien; denn wie furchtbar auch diese Angelegenheit ist. so würde ich doch ein Elender sein, die Ehre von Damen anders als durch ihre eigne Aussage zu gefährden. Ich werde daher bis zur Ankunft Ihrer Antwort schweigen.“

Manuela, von starrem Entsetzen über das Geschick des Jesuiten erfüllt, hatte bis zu dieser Minute keine Ahnung davon, daß Don Felipe der Frevler war, welcher dem Verwundeten jene Mißhandlung beifügte. Mit dem Briefe aber sah sie klar. Sie ging zu ihrem Gemahl, das Papier in der Hand, bleich wie eine Hostie. Felipe las und gab, keines Wortes mächtig, den Brief zurück.

„Was ist geschehen?“ stöhnte er endlich.

„Ja, so frage auch ich. Sennor! Und wir Beiden werden Antwort haben. Begleiten Sie mich und meine Schwester nach Santa Fé zum Corregidore …“

Don Felipe, betäubt, gehorchte und bald hielt das Fuhrwerk, welches die drei Menschen trug, vor dem Gerichtshause. um welches das Volk sich drängte. Als Don Felipe mit den Damen in das baufällige, düstere Gerichtszimmer trat, erblickte Felipe vor dem Corregidore aus dem Tische liegend seinen Dolch, den er am Bache in der vorigen Nacht in das Gras geworfen und später nicht wiederfinden gekonnt hatte. Auf einer Tragbahre lag, mit einem blutbefleckten Tuch zugedeckt, der Verwundete.

„Ich bin verloren!“ murmelte Felipe, als er seinen Dolch erblickte und Martigues vorgeführt wurde.

Manuela hob mit fester Hand das Tuch und heftete einen Blick voll Erbarmens auf die wachsbleichen Züge des Priesters und besah genau den Dolch, der ihr dargereicht wurde.

„Du wirst mich verderben!“ murmelte Felipe und fügte laut hinzu: „Bevor Donna Manuela und Josita ihre Aussagen für Sennor Martigues machen, verlange ich mit ihnen noch ein Wort allein zu reden.“

Mit finsterem Blicke führte der Corregidore die drei Menschen in ein vergittertes, mit Acten ausgestattetes Closet.

„Du bist’s!“ sagte Manuela fest. „Du bist schuldiger, als dieser stumpfsinnige Maulthiertreiber!“

Felipe fiel zu ihren Füßen.

„Klage Deine Schönheit an und meine Liebe; klage die verbrecherischen Gedanken dieses Priesters an; aber Du. Manuela, verdamme mich nicht …“ rief er. „Mein Leben steht in Deiner Hand und in derjenigen Josita’s. Ihr rettet mich, wenn Ihr betheuert, daß ich jene Unglücksstunde bei Euch zubrachte …“

„Du forderst unsere Seelen und diejenige Martigues;“ sagte Manuela, die Hände bewußtlos ringend. „Ich schwöre keinen Meineid. Martigues ist’s, der bei uns war und Josita malte. Unglückseliges Gelübde! Es gilt hier nur noch unsere, meine Ehre zu retten. Welche Frau würde nicht vor Schande vergehen, wenn sie genöthigt wird öffentlich zu gestehen, daß sie zur Nachtzeit einen fremden Mann, der kein Priester ist, bei sich empfangen hat? Wer wird glauben, Martigues sei nach der Casa gekommen um uns zu malen, da unser Ehrenzeuge Isidor ermordet ist? Wer wird glauben, daß Martigues von mir und Josita empfangen wurde? Ich werde eine Ehebrecherin heißen, oder Josita eine liederliche Dirne. Martigues Entschluß nur kann helfen, indeß er Josita für seine Braut erklärt und heirathet. Mit Dir, unglücklicher, geliebter Felipe, Du Abgott meines Herzens, sei ein Mächtigerer, als ich es bin … Möge Isidor genesen – er athmet noch und Gott ist allmächtig, der auch die Todten wieder erwecken kann … Aber Felipe“ – rief sie feierlich, „möge meine Schönheit ungesehen in verborgener Klosterzelle vergehen; möge das Eheband, das Dich zum Morde treiben kann, dem Bunde mit dem Himmel weichen … Nimm hier den letzten Kuß, den meine Lippen spenden, den letzten, der Dir und der Erde angehört.“

Manuela führte Martigues herein und legte seine Hand in diejenige Josita’s, um vor dem Corregidore ihre Aussage zu machen …




Isidor genaß langsam und Don Felipe ward seiner Haft entlassen und sah in Vera-Cruz Manuela’s schönes Haar unter der Scheere in der Klosterkirche der Ursulinerinnen fallen. Martigues, der Erbe von Manuela’s Gütern, war der glückliche Gemahl Josita’s geworden. Felipe litt es nicht mehr in Mexiko; er übersiedelte sich nach Brasilien. Nach langer Zeit empfing Schwester

Manuela folgenden Brief von Felipe’s Hand:

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: rieja
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1854). Ernst Keil, Leipzig 1854, Seite 141. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1854)_141.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)