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verschiedene: Die Gartenlaube (1854)

„Tio! Onkel!“ wagte Josita zu sagen.

„Du meinst, Du bist stets gegenwärtig gewesen? Allerliebst! Wo hast denn Du sehen und hören gelernt, mi hermosura, meine Schönste?“

Josita richtete einen festen, durchdringenden Blick auf Don Felipe, der allerdings bewies, daß sie mit Geist zu sehen verstand. Felipe setzte brusque, so ziemlich auf allen Punkten geschlagen, seinen Sonnenhut, den leichten Sombrero von Vigognewolle, auf und ging durch den Speisesaal und hinunter in den Hof, Hier pfiff er auf eine besondere Weise und sofort kam eine kleine, kohlschwarze Tia, ein Andante (eine Tante, ein „Langsam-Vorwärts“) wie der Mexicaner sein Roß nennt, daher galoppirt und machte vor dem Herrn Capriolen. Der in einen Majo, in einen altspanischen Stutzer verwandelte braune Bursch, von Natur ein Jarocho, ein Bauer aus dem Gebirge, brachte einen Sattel und wollte satteln, als ihn ein Ausruf Don Felipe’s erschreckte.

Ueber den Hof kamen zwei Fremde: ein junger, sehr blasser Mensch mit schwermüthigem Blick, den Jesuitenhut und das Ordenshabit tragend und ein Jüngling in einem hellblauen Röckchen, mit einer Mappe und einem armdicken, langen Instrumente in der Hand, von welchem man nicht einsah, was dasselbe eigentlich war. Felipe’s Lippen waren geöffnet, seine Brust hob sich krampfhaft – da war er, Pater Isidor und der Maler Hector Martigues … Felipe fühlte, daß er nicht im Stande war, die Fremden jetzt zu empfangen. Er eilte durch die große Casa und ging zwischen dem Gebüsch von Lorbeer- und Bogenholz fort, um sich unter der Nacht der Pinien zu verbergen und nach Fassung zu ringen. Die Cobra de Cabelo, die Klapperschlange beißt nicht schärfer und tiefer, als der giftige Rachen des Dämons, Eifersucht. Jetzt mußten die Fremden oben in der Verandah sein, jetzt küßte Manuela dem ascetischen Priester die Hand und ließ ihre schönen Finger von dem Maler küssen, wofür ihm Felipe die Zähne einschlagen zu dürfen wünschte. Sollte er jetzt hinaufeilen und sich schützend vor seine Gemahlin stellen? Wie lächerlich! Wie entehrend für Manuela! Was durfte er ihr vorwerfen? Und dennoch hatte ihm Manuela nie, wie er glaubte, die innersten Falten ihres Herzens erschlossen; er hätte einen Dolch besitzen mögen, dem die Kraft innewohnte, die unsichtbaren, unnahbaren Pforten den wahren, geheimsten Wesens eines Weibes zu zersprengen …

Indeß waren Isidor und Hector Martigues oben bei den Damen angekommen. Der Jesuit schien dem Tone seiner Sprache, so wie seiner Bewegungen und Mienen nach die vollständigste, leidenschaftsloseste Ruhe selbst zu sein, er war höflich, ohne verbindlich zu sein; er schien, nachzugeben und schloß sich seiner Umgebung dennoch auf’s Genaueste an, gleich dem Wasser, in welches man die Hand steckt; er schien nach seinen Mienen gar nichts zu fragen und doch war die Gesellschaft stets beschäftigt, ihm zu antworten. Dies Alles war ein so lautloses Wesen gleich wie in einer verzauberten Landschaft, wo die Vögel blos den Schnabel aufsperren ohne zu singen, wo die Bäume sich bewegen, ohne zu rauschen, in jenem gedankenbeschwichtigenden eintönigen und doch hundertstimmigen Murmeln … Nur dann, wenn Pater Isidor die braunen Augen aufschlug, oder blitzschnell einen Blick auf Manuela richtete, der gleichsam ihr Herz zu suchen schien, ahnte man das verborgene Feuer des Vulkans unter der anmuthigen, blumenbesäeten Oberfläche des sanftgewölbten Hügels. Das war der Blick, der Don Felipe fast wahnsinnig gemacht hat.

Hector de Martigues war ein hübscher Mann mit sehr kleinem Fuß, einem Barte gleich Horace Lernet, dem französischen Parforçe-Maler und sah ziemlich albern aus. Er machte von dem Privilegium der Maler, die Damengesichter zu studiren gleich einer Hieroglyphenschrift, oder, – da die Maler selten Kufisch verstehen, gleich einem Abc-Buch, vollen Gebrauch, und da er auf Maria-Galante, der ursprünglich französischen Insel, geboren und in Paris gewesen war, so nahm er Anlaß, französisch mit Josita zu radebrechen. Manuela sprach, als Kind einer Seestadt, sehr gut diese Sprache, aber sie war, des spanischen Sprüchworts eingedenk: daß derjenige stumm ist, welcher die Sprache Castiliens nicht redet – zu stolz, um ihr klingendes, sonores Spanisch zu verleugnen. Martigues zeigte den Damen seinen Stock, ein Meisterstück eines pariser Fabrikanten und explicirte. daß dieser Stock zuerst ein Stock sein solle: dann könne man einen Sessel daraus machen – Experiment; einen Sonnen- oder Regenschirm – abermaliges Experiment; eine Staffelei – ebenso; einen Gebirgsstock mit Steighaken und Spitze, eine Angelruthe u. s. f. Jetzt probirte er den Stock als Sitz und das Ding zerbrach und Monsieur Martigues streckte die Fersen in die Höhe und, wenn man die Ostseite vorn nennt, so präsentirte er die Westseite seiner hochgeschätzten Person. Manuela lachte, daß es gleich dem Schmettern einer heitern Nachtigall klang und Josita blieb kaum ernst.

Ein unbeschreiblicher Blick des Jesuiten traf den Maler aus dem Winkel seiner Augen, indeß ein Lächeln über seine Marmorzüge flog. Was sagte dieser Blick nicht Alles? Die Summa des Ausdrucks war indeß eine höhnende Verachtung mit dem Kommentar etwa: „Dich, Narr, habe ich richtig taxirt – Du bist unschädlich, Freund!“

„Seine Herrlichkeit, Don Felipe Tlamoras,“ flüsterte der Priester Manuela zu. „haben sich vermuthlich der Ausführung Ihres Lieblingswunsches widersetzt?“

„Ja. ehrwürdiger Herr!“

„Das Bild wird also nicht gemalt und Ihr Gelübde nicht gehalten werden, Excellenza.“

Wie sanft, wie schmeichelnd klang dieser Vorwurf. Ohne seinen durchbohrenden Blick hätte man glauben sollen, der Pater Isidor füge, obgleich er schwieg, hinzu: Passons par là; lassen wir’s denn gut sein.

Manuela schwieg einen Augenblick, dann richtete sie ihr offenes Auge fest auf Isidor’s Gesicht. Seine Mienen wurden lebendig. seine Gesichtsmuskeln zuckten – er schien diesen Blick körperlich zu empfinden, obwohl er seine Augen niedergeschlagen hatte.

„Mein Gelübde nicht halten?“ fragte Manuela mit erhobener Stimme. „Ich sollte das Votivbild nicht malen lassen? Pater Isidor, dann müßte ich wahrlich meinen Gatten weniger lieben, als mir mein Herz solches mit jedem Schlage verkündigt.“

Isidor seufzte unwillkürlich und sah Manuela aus dem Augenwinkel heraus an.

„Manche Männer lieben es nicht,“ sagte er mit eisiger Kälte, „daß ihre Frauen ihr Bildniß sehen … Sie möchten sich sonst schön finden und die Häßlichkeit ist die Mutter der Bescheidenheit, des Gehorsams … “

Welche infernalische Weisheit hatte diesen jungen Priester gelehrt, bei dem unangreifbaren jungen Weibe eben diesen Punkt zu berühren und selbst ihre heiligsten Empfindungen dazu zu benutzen, um Manuela’s weibliche Eitelkeit zu wecken, um diese zur Waffe gegen sie gebrauchen zu können – eine Waffe, welche in geschickter Hand fast unfehlbar wirkt. Gewiß dieser Priester glühte für das junge Weib in verzehrender, verbrecherischer Liebe, während sie keine Ahnung besaß, wie nahe ihr der Verderber war. Manuela sollte ihre Reize bewundern lernen, um die unheilige Bewunderung des Pater Isidor nur erst verstehen zu lernen; sie sollte es lernen, sich als eine herabgewürdigte Magd ihren Gemahl zu betrachten, um sich empört gegen den eifersüchtigen Hüter eines Schatzes, gleich ihrer Schönheit, zu empören.

Martigues betheuerte indeß, daß er unglücklich sei, schon in einigen Wochen nach Vera-Cruz zurückkehren zu müssen und Pater Isidor sagte: „Excellenza wird am besten wissen, ob sie Don Felipe’s Wunsch berücksichtigen will.“

„Die Erfüllung meines Gebets wird ihn zum glücklichsten Sterblichen machen,“ sagte Manuela „und mein Gelübde habe ich ja nur geleistet, damit diese Erfüllung mir von der Madonna gewährt wird.“ Isidor sann einige Augenblicke.

„Die Missionsstunden müßten zu einer spätern Tageszeit gehalten werden,“ murmelte er, „damit Sennor Martigues unbemerkt in’s Schloß kommen kann, um in meiner Gegenwart und derjenigen Jositas eine Zeichnungen zu machen.“

(Schluß folgt.)




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