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verschiedene: Die Gartenlaube (1854)

schützen; endlose einförmige Zucker- und Baumwollenfelder; Santa Fé ganz in einen Maulbeerbaumwalde versteckt; links den schmalen Wald am Gebirge und die Höhenzüge desselben bis zu dem Punkte, wo die Spitzen mit der goldflüssigen Atmosphäre in einen breiten, blendenden Glanz verschwimmen.

In der Verandah sieht’s einigermaßen unordentlich aus. Die Teppiche auf dem Boden sind defect; eine lange Reihe von Polsterstühlen an der Glaswand erscheinen altmodisch und lebenssatt; die vielen kleinen Tische sind gleich alten Kaffeebrettern vergoldet und mit chinesischen Figuren, Papageien verziert gewesen, wie man durch aufmerksame Beobachtung noch ermitteln kann. Ein ganz neues prächtiges Sopha und ein Acajoutisch und ein gewaltiger, französischer Spiegel an der „Damenseite“ stimmen schlecht zu den alten Möbeln, und an der „Herrenseite“ zeigt ein langes, lederbeschlagenes Kanapee seine abgesessene Herrlichkeit.

Hier hatte der Herr des Hauses Platz genommen und suchte zwischen einer Menge von Zeitungen ein noch ungelesenes Blatt. Vor ihm dampfte die Chocoladetasse und lagen Dutzende von angerauchten Cigarren auf dem Tische. Dies war Don Felipe de Tegijo, der sich rühmte, von den alten Azteken, den edlen Ureigenthümern Mexico’s. abzustammen und deshalb nie vergaß, seinem spanischen Namen denjenigen seines heimischen Geschlechts, Tlamoras, hinzuzufügen, wenn er sich unterzeichnete – der reichste Ranchero oder Gutsbesitzer der einsamen Gegend. Don Felipe war ein schöner schwarzbärtiger Mann mit nußbräunlichem Teint, vornehmen Zügen, großen klugen Augen und entschiedenen, raschen Bewegungen. Sein Haar war sorgfältig geordnet, seine Hände wohlgepflegt und ohne Ringe; die Wäsche, die hellfarbige Binde, die pariser Seidenweste und die Glanzstiefel hätten einen Lord geziert. Uebrigens trug er eine Nankingjacke und weite weiße Beinkleider.

Am andern Ende des Zimmers saß Donna Manuela, eine Vera-Cruzana aus altem Blut; eine Dame mit reichfrisirtem Haar, zartem Teint und sammetschwarzen, großen Augen, mit einem schmollenden Zuge um den Mund. Donna Manuela war kaum zwanzig Jahr, aber bereits sehr fleischig. Sie schien sehr eigensinnig werden zu können, denn ihr Blick war fest, wenig beweglich, hatte aber oft einen devoten, schwärmerischen Ausdruck. Die kleine Frau trug einen ungeheuer weiten Mousselinrock mit kurzen Ärmeln, dessen Taille einfach durch eine seidene, unter dem Busen zusammengebundene Schnur gebildet wurde.

Neben ihr saß ihre Schwester, Josita de Esconnez, ein Mädchen von höchstens vierzehn Jahren, aber bereits höher, als ihre Schwester, die Dame vom Hause oder die Padronessa, gewachsen. Der Kopf des Mädchens mit dem einfach gescheitelten, schwerem goldbräunlichen Haar, erinnerte auffallend an die Madonnenbilder, die der Spanier Murillo zu malen pflegte; dazu besaß Josita tiefblaue Augen, das Erbtheil ihrer altcastilischen väterlichen Familie, die nie maurisches Blut aufgenommen hatte.

Josita’s entblößten Arme und Hände waren mager, knochig, die ganze Gestalt war noch ungerundet, eckig, der Busen dürftig.

Man mußte ein Kenner sein, um die zukünftige Schönheit des Kindes aus den vorhandenen bloßen Grundformen zu erkennen.

Mitten in dem Raume der Verandah stand eine dicke alte Mulattin, Inesilla und arbeitete sich an einer Eisbüchse an, indeß sie den Teppich reichlich mit Wasser tränkte.

Endlich hatte Inesilla einen Teller voll Gefrornes von ziemlich verdächtigem Ansehen zu Stande gebracht und Don Felipe stand auf, um selbst der Sitte gemäß der Padronita zu präsentiren.

Manuela faltete die glatte Stirn und schob den Teller zurück.

„Ich danke Ihnen, Tegijo…“

Der Edelmann unterdrückte eine ungeduldige Bewegung.

„Warum nennst Du mich seit acht Tagen.“ sagte er sanft, „nicht mehr Felipe? Immer diesen Namen, den Du stets falsch sprichst. Warum nicht Tlamoras? Iß Eis – Du glühst, Manuela!“

„Sie wissen, daß ich gelobt habe, zu fasten,“[1] erwiederte Manuela, an die Decke blickend, „bis Sie meinen Wunsch bewilligen. Ich werde sterben ohne Eis – gewiß, und Sie werden nicht allein die Sünde auf dem Gewissen haben, daß Sie mich an der Erfüllung eines feierlichen Gelübdes hinderten, sondern Sie werden auch meinen Tod verschulden.“

Felipe brannte eine neue Cigarre an und steckte, sich auf dem Absätze drehend, die Hände trotzig in die Hosentaschen. Aber der Mann litt augenscheinlich im Innern.

„Caramba, welche Pein!“ murmelte er, indeß er die Cigarre zwischen den Zähnen zerquetschte. „Diese unglückliche Idee aller Weiber, in Compagnie mit den Priestern mit dem Himmel Augenverdrehen zu spielen… Denkst Du denn, Manuela, daß ich es glaube, ich, Du wolltest Dich nur malen lassen, um der Hundehütte, der Kapelle da in Santa Fé ein Altarbild zu schenken? Meinetwegen magst Du die Kapelle beschenken; ich habe in Vera-Cruz ein Bild bestellt – aber Du sollst Dich nicht malen lassen!“

Infortunada de mi! Ich Unglückliche!“ seufzte Manuela.

„Ist’s nicht etwa genug,“ fuhr Felipe heftiger fort, „daß Pater Isidor sich jeden Tag mit Euch beiden Frauenzimmern Stunden lang einschließt, um Euch um den Verstand zu beten?

Kannst Du es leugnen, daß Du Dich am Abende mit seiner Peitsche mißhandelst, mit welcher ich meinen Jagdhund nicht schlagen möchte?“

„Die heilige Jungfrau wird Mitleid haben,“ sagte Manuela fest; „sie wird mir bescheeren, was ich aus Liebe zu Ihnen, Tegijo. erbitte – einen Sohn, einen Erben!“

„O, Manuela!“ rief Tegijo mit leidenschaftlichem Ausdruck der innigsten Liebe. Aber ein düsteres Gefühl schien die Oberhand zu gewinnen, indeß er sagte: „Ich mag keinen Sohn, wenn Du ihn nur durch Deine Missions-Exercitien erreichen kannst. Unsinn! Dies muß endigen, oder es endigt mit Unheil! Einen bösen Dämon, diesen blassen Jesuiten, habe ich bereits auf dem Nacken… Fahren Sie fort. Madonna! Bringen Sie auch noch den landstreicherischen Maler in’s Haus, Sangre de Dios, Blut Gottes! Freilich, ein solcher Adonis, ein schwarzer Kakadu, ein weißer Rabe an Schönheit, der zweiundzwanzig Jahre zählt, statt vierunddreißig, gleich mir, – der Paris gesehen hat… Hat die kokette Närrin Donna Rama Huertaz sich von ihm angaffen und abconterfeien lassen, so würden ja die Melonen verschneien, wenn Donna Manuela Tlamoras nicht denselben Genuß hätte.“

Manuela erhob sich würdevoll und ging mit dem schwankenden Tritt ihrer Landsmänninnen nach dem Kanapee, auf welchen sich Felipe geworfen.

„Sicher!“ sagte sie. „Ich will mein Bild sehen; alle Damen haben sich in der Audienzia von Hector Martigues malen lassen – auch ich werde nicht unporträtirt bleiben, wäre es auch nur, um aller Welt zu beweisen, daß der Felipe nicht der krankhafte Eifersüchtige ist, der Niemand gestatten will, seine Frau zu betrachten.“

„Du? Mußt auch Du dem Maler nicht fortwährend in’s Auge sehen, Manuela?“ keuchte Felipe, die Schweißtropfen von der Stirn wischend, mit einem Tone, als schäme er sich, seine innersten Geberden zu offenbaren, während er doch zu schwach war, sie zu unterdrücken.

„Ich werde die heilige Madonna ansehen. .“

„Wen?“

„Die Mutter Gottes werde ich in Gedanken sehen und auf dem Bilde werde ich sie in der That anblicken und ihr ein Kind zeigen, das so aussieht, wie ich mir einbilde, daß Dein Sohn aussehen soll, Felipe!“ rief Manuela, große Thränen im Auge.

„Und wenn das Bild Tag und Nacht am Altar steht, auf den die Mutter des Sohnes Gottes herabschaut, so wäre sie keine Mutter gewesen, wollte sie mich nicht erhören.“

Felipe schloß seine Frau inbrünstig in seine Arme.

„Du liebst mich!“ flüsterte er. „Warum nur mußt Du stets einen Weg finden, mir Deine Liebe zu beweisen, der mich zur Verzweiflung treibt!“

„Du wirst gegenwärtig sein, wenn mich Hector de Martigues malt …“ sagte Manuela sanft und freudig.

„Du willst mich auf dem Rost braten, gleich dem heiligen Lorenzo.“

„Und bist Du nicht gegenwärtig, wird Pater Isidor Deine Stelle einnehmen …“

Felipe sprang auf.

„Wieder der Pater! Dieser Perro, dieser heuchlerische Hund? Meine Stelle? Ich Schwachkopf, Tölpel, der ich bin! Die Weiber haben Betstunden und dem Mann wird folgerecht die Thür vor der Nase zugeschlossen.“


  1. In Mexico, dessen Bewohner durchschnittlich Katholiken sind, gehört die Enthaltung von Eis oder eisgekühlten Getränken zur Verschärfung der Fasten.
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verschiedene: Die Gartenlaube (1854). Ernst Keil, Leipzig 1854, Seite 128. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1854)_128.jpg&oldid=- (Version vom 11.6.2017)