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verschiedene: Die Gartenlaube (1854)

liegt, wie wir solchen auch in der tellurischen Organisation vom Infusionsthierchen bis zum Menschen zu entdecken vermögen. Allein, wenn wir schon auf der Erde sehen, wie ungemein verschieden sich derselbe vom Korallenthiere bis zum Käfer, vom Fische bis zum Menschen darstellt und ausbildet, wer will dann wohl wagen, wissenschaftlich nachzuweisen, wie sich der allgemeine Urtypus auf andern Planeten und Monden dargestellt und ausgebildet hat!



Dies unserm Aufsatze beigegebene Mondbild zeigt den Mond zwei Tage nach dem Neumond, also im Zunehmen begriffen. Wir erblicken einen Theil der Mondscheibe vom Sonnenlichte erhellt, während der übrige Theil dunkel abschattet. Dieselbe Erscheinung bietet auch bei reiner, klarer Luft und namentlich in südlichen Gegenden die Mondscheibe einige Tage vor und nach dem Neumonde. Aber wir erklärt sich dieses Phänomen? Woher jene, wenn auch nur schwache Erleuchtung desjenigen Theiles der Mondscheibe, der von den Strahlen der Sonne nicht berührt wird? Es ist die Beleuchtung des Mondes durch unsere Erde. Unser eigenes Erdlicht erblicken wir auf jener dunkeln Mondfläche. Also das doppelt gebrochene Sonnenlicht. Da die Erde den Mond vierzehnmal stärker beleuchtet als dieser die Erde, so ist es uns möglich, dieses Erdlicht zu erkennen. Uebrigens zeigt sich dieses Licht im Herbste des Morgens stärker als im Frühlinge des Abends. Im ersteren Falle sind nämlich dem Monde Asien und das östliche Afrika zugekehrt; im anderen der atlantische Ocean und ein Theil von Amerika. Da nun das Land entschieden mehr Licht zurückwirft als das Wasser, so erklärt sich die bald stärkere, bald schwächere Beleuchtung.

Schließlich noch ein Bauernsprüchwort, wodurch man sogleich erkennen kann, ob die Mondessichel im Zu- oder Abnehmen begriffen ist: „Kann man die Mondsichel in die rechte Hand nehmen, so ist es zunehmender, braucht man aber die linke Hand dazu, ist es abnehmender Mond.“




Londoner Schriftsteller-Leben.

Wie in London Alles durch seine Massenhaftigkeit unendlich groß und unübersehbar erscheint, so sind auch die englischen Schriftsteller, die sich fast alle in London zusammendrängen, eine Welt, deren Anfang und Ende mit dem besten Fernrohr nicht entdeckt werden kann. Ebenso ist’s mit dem Büchermarkt, der Literatur und den Zeitungen. Von dem bedruckten Papiere, das alle Morgen in London erscheint, könnte man einen Drachen machen, so groß wie das schwarze Meer; könnte man die ganze russische Flotte dran hängen, ohne daß er verweigern würde zu steigen. Man kann sich also denken, was geschriftstellert werden muß, um dieses Papier alle 24 Stunden sehr eng und ohne Absätze, wie das hier so Mode ist, besetzen zu können. Die Zeitungsschreiber sind denn auch ohne Zweifel der erste und mächtigste Stand in Großbritannien, was auch die Millionäre und Lords mit ihren Privilegien, Ländereien und Einkünften (bis zu 7000 Thalern täglich, wie der Herzog von Bedford) und das ganze Oberhaus zusammen dagegen einwenden mögen. Die Minister selbst greifen zur Schriftstellerei, wenn sie sich nicht mehr anders zu helfen wissen. Es ist bekannt, daß Aberdeen und Palmerston selbst verschiedene Leitartikel für die Times schrieben, als ihnen die russische Frage zu nahe an die Kehle kam. Daß Palmerston nur unter der Bedingung, einen Leitartikelschreiber für die Times zu halten, um Weihnachten wieder in’s Ministerium trat, ist allein ein hinreichender Umstand, die Macht der Presse anschaulich zu machen. Ober- und Unterhaus, Regierung und Hof sind nichts ohne die Presse. Sie fühlen sich durchaus von ihr abhängig und jede auch noch so mächtige Partei beschäftigt eine Menge Köpfe und Federn, um sich zu halten. Fast jede Zeitung wird von einer Partei bezahlt und gehalten, damit die Zeitung sie halte. Die Presse wird dadurch allerdings, trotz ihrer Macht, auch abhängig und unfrei, aber im Ganzen ist und bleibt doch der öffentliche Meinungs-, Interessen- und Parteikampf ein nirgends durch äußerliche Gewalt und Willkür demoralisirter Streit mit Worten, Ideen und Bestrebungen. Jede kann sich vollständig entwickeln und aussprechen, insofern sie nicht so tief im Abgrunde des Lasters stecken sollte, kein Geld zu haben. Geld haben, d. h. sehr viel Geld haben, ist in England überall die erste Bedingung für eine einflußreiche Stellung. Der Schriftsteller allein macht davon eine Ausnahme, insofern er kein Genie ist, sondern ein geschickter, feinnasiger, offener Kopf, der jedes ihm vorgelegte Thema schnell und flüssig in einen 3/4 Ellen langen Leitartikel für einen bestimmten Zweck verwandeln kann, wobei ein gewisses ironisches Lächeln – das die große heutige Tagespresse und gute Gesellschaft charakterisirt – durchschimmern muß. Unter solchen Umständen wird der feine Kopf ein Leitartikelschreiber. Weiter kann es ein Mensch auf dieser Erde nirgends bringen, denn der englische Leitartikelschreiber gehört zur Regierung der Welt und kann in Petersburg und Peking, in Delhi und Capstadt, in Melbourne und Sebastopol Freude und Furcht erregen, um die größten Ereignisse zu vertilgen oder zu fördern.

So viel schien wenigstens nöthig, als Rahmen und Vordergrund für das Bild eines englischen Leitartikelschreibers. Unter ihnen stehen zwei Deutsche ganz oben an. Der eine ist Otto Wenkstern, den Namen des Andern hab’ ich vergessen. Wenkstern wurde einmal gefragt, wie es käme, daß die Deutschen ein besseres Englisch schrieben, als die Engländer? Ich glaube, er wußte es nicht. Die Deutschen haben mehr Logik, einen schärfern, wissenschaftlicheren, kritischeren Geist. Wer jemals englische Leitartikel gelesen, wird sich selten erinnern, etwas logisch Scharfes, etwas durch Entwickelung seiner inneren Wahrheit Mächtiges gelesen zu haben. Die Sache wird eben beleitartikelt d. h. auf eine feine, diplomatische Weise „besprochen“ und durch ironisches Lächeln, plausible Ansichten und „Räsonnements“ so gedreht, wie sie für den Tag dem Leser am Bequemsten sein mag. Braucht die Times einmal kritische und logische Kraft, müssen Deutsche schreiben.

Die ganze Kraft der englischen Presse wird in den Leitartikeln concentrirt, alles Uebrige ist Fabrikarbeit. Der Leitartikelschreiber erfreut sich deshalb äußerlich der beneidenswerthesten Lage. Er wird so fabelhaft bezahlt, daß ich es gar nicht zu sagen wage, aus Furcht, daß man mich für einen Aufschneider halten möchte. Aber so viel ist gewiß, daß die Times ausnahmsweise einen einzigen Artikel mit funfzig Pfund (350 Thaler) honorirt. Die Leitartikelschreiber erster Klasse wohnen größtentheils in einer neuen Straße in Camden Town, vielleicht der schönsten von ganz London. Die Paläste stehen hoch

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verschiedene: Die Gartenlaube (1854). Ernst Keil, Leipzig 1854, Seite 122. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1854)_122.jpg&oldid=- (Version vom 21.4.2020)