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zu übergeben. Bei dem Kundigen walteten durchaus keine Zweifel ob, wonach hier zu suchen sei. Die von Staè angegebene Methode wurde befolgt, die Gegenwart des Nicotins unzweifelhaft bewiesen und dadurch die Ursache des plötzlichen Todes genügend erklärt. Aus 21/2 Loth der Flüssigkeit selbst wurde 1/3 Quentchen reines Nicotin dargestellt und dies ist noch nicht der ganze Gehalt, denn bei der Darstellung geht stets etwas verloren.




Pariser Bilder und Geschichten.

Die pariser Polizei.

Eine wunderbare Gewalt, heilsam und gefährlich, nothwendig und mißbraucht; eine Schlange die lauert und ein Löwe der ausfällt, ein Drachen der verschlingt, ein Riese der erdrückt; tausendarmig, tausendäugig wie die Ungeheuer Briaräus und Argus, wie sie die griechische Phantasie erfunden und dargestellt. Das und noch mehr ist die pariser Polizei.

Ihre Einrichtungen haben sich durch Jahrhunderte nach Bedürfniß und Erfahrung ausgebildet und erweitert, ihre Verzweigungen und Abtheilungen sind endlos, wie die Laster, Uebelstände, Auskunftsmittel und Auswege von Paris, das sie fortwährend in Athem erhält, ihr vollauf zu thun giebt. Sie ist furchtbar die pariser Polizei; sie muß überall hin eingreifen; denn der Franzose erträgt nicht nur die Einmischung der Polizei in seine Lebensverhältnisse, sondern er verlangt sie; sein unstätes regelloses Wesen, die Haltlosigkeit seines Charakters, die wilde zügellose Hingebung an den ausschweifenden Drang des Augenblicks, die kein Gebot des Anstandes, kein Gesetz der Würde berücksichtigt, erheischen eine polizeiliche Beaufsichtigung. Ich zweifle, daß man sich in St. Petersburg so ausgedehnte Funktionen der Polizei gefallen ließe, wie in Paris. Auf jedem öffentlichen Balle hier, sieht man Polizeidiener in ihrer Uniform, auf die Anordnung der Reihen, was bei uns dem Tanzmeister überlassen bleibt, kraft ihres[WS 1] Amtes einwirken. Nicht davon zu reden, daß sie mit Strenge über die gebührende Züchtigkeit der Damen und Herren beim Tanze wachen und die Uebertretung dieser Regel mit einer handgreiflichen brutalen Entfernung des sich Vergehenden, ohne Rücksicht auf Geschlecht und Stand bestrafen, was nicht etwa zu den seltenen Vorkommnissen gehört. Die Franzosen sind polizeilich so gut geschult, daß selbst Soldaten in Uniform, wie ich es mit meinen eigenen Augen gesehen, sich diese Behandlung öffentlich gefallen lassen.

Die Gegenstände, welche die pariser Polizei zu überwachen theils verpflichtet ist, theils sich herausnimmt, sind kaum zu zählen. Sie regelt die Bewegung auf den Straßen, sie führt über öffentliche Reinlichkeit und Moralität die Aufsicht. sie prüft die zum Verkauf dargebotenen Nahrungsmittel, um für die Gesundheit der Käufer zu sorgen, welche die pariser Gewinnsucht nicht besonders zu berücksichtigen sich sonst geneigt fühlte. In Theatern und auf öffentlichen Plätzen, überall wo Schaulust oder irgend eine Unterhaltung eine Anzahl von Menschen versammelt, waltet die Polizei. Sie macht sogar die Eintracht im Innern der Familie zum Gegenstand ihrer Ueberwachung und schreitet ein, wo sich die Natur und das Gefühl der Pflicht ohnmächtig erweisen. Sie richtet zwischen Vater und Sohn, zwischen Mann und Frau, sie regelt Alles. Was sie jedoch am meisten beschäftigt und ermüdet, ist die Politik.

Zunächst sorgt sie für die Sicherheit der Person des jeweiligen Staatsoberhauptes. Pietri oder wer sonst den Posten des Polizeipräfekten einnimmt, muß Richtung und Ziel jeder Fahrt, jedes Ganges des Kaisers wissen, um für dessen Wohlergehen, insofern es von äußern abzuwehrenden Unfällen bedroht sein könnte, zu bürgen. Es ist eine Thatsache, daß der seither bei Seite geschobene Polizeiminister Maupas dem jetzigen Kaiser Napoleon, der es sich aus Vergeßlichkeit oder Muthwillen beikommen ließ, bei Gelegenheit einer Spazierfahrt von der vorherbestimmten Richtung abzuweichen, dieserwegen die lebhaftesten Vorstellungen machte, indem er sich auf seine Verantwortlichkeit berief, der durch solche Unvorsicht Werth und Grundlage genommen würden.

Es giebt kein Haus in Paris, wo die Polizei, wenn nicht ihre Hand, gewiß ihr Ohr hat. Hier ist es ein Diener, dort ein Stubenmädchen, bald ein vornehmer Herr, bald eine schöne Frau und sicherlich fast überall der Thürsteher, der im Dienste und im Solde der Polizei steht. Wie unter Louis Philipp der Vertraute und Leibdiener der Herzogin von Berry, der ehrenfeste Deutz, für eine Million Franken von der Polizei des Herrn Thiers gekauft war, so hat die pariser Polizei bei jeder irgendwie einflußreichen Persönlichkeit, bei allen Körperschaften ihre Organe, vermittelst deren sie häufig in das Geheimniß des vertrautesten Verkehrs eindringt, und oft von den verborgensten Familienangelegenheiten Kenntniß erlangt.

Man möchte sagen, daß der Polizeipräfect Alles weiß, was In Paris geschieht, was man in Parts denkt, fühlt und beabsichtigt. Herr Pietri, oder wer immer seine Stelle bekleidet, könnte noch andere Geheimnisse von Paris, als Eugen Sue, schreiben. Wenn sie auch vielleicht nicht so gut dargestellt wären, so wären sie jedenfalls um Vieles wahrer.

Der Polizeipräfect hält derart die Fäden des pariser Lebens in Händen, daß er nicht nur anziehen, sondern auch loslassen, nicht nur Ausbrüche unterdrücken, sondern auch hervorbringen kann. Und diese zweite Maßregel ist in der letzten Zeit nicht selten zum Vortheil der Regierung in Anwendung gebracht worden.

Carlier, ein ehemaliger Polizeipräfect unter Louis Napoleon, äußerte: „Wenn ich im Jahre 1848 unter Louis Philipp das wichtige Amt eines Präfecten bekleidet hätte, so würde ich ganz einfach von meinen Leuten als Arbeiter verkleidet einige Läden mit dem Rufe: Es lebe der Communismus! haben plündern lassen und ich hätte sehen mögen, was die pariser Nationalgarde für ein Gesicht geschnitten hätte. Ich wette eine Krone gegen eine Jakobinermütze, daß der Julithron wäre gerettet gewesen.“ Ich weiß nicht, ob Herr Carlier sich nicht zu viel zugemuthet, denn es kommen allerdings Momente, da all die Fäden, noch so fest gehalten in den Händen, dieser furchtbaren Gewalt zerreißen.

Wie weit die Kenntniß des Präfecten der kleinen und großen Vorgänge in der Hauptstadt reicht, ist kaum zu glauben.

Wenn irgend ein ansehnlicher Mann sich in eine Liebschaft einläßt, die noch ängstlich das Licht scheut und flieht, so weiß es Herr Pietri.

Wenn irgend eine reiche Wittwe die Fehltritte ihrer feurigen Jugend nun, da sie vorüber ist, bereuend, ihre Seele der Frömmigkeit und ihr Vermögen in der Person eines frommen Beichtvaters der Kirche anheimstellt, so weiß es Herr Pietri.

Wenn irgend eine reiche Erbin Herz und Eigenthum zum Aerger eines huldigenden Vetters und seiner hoffnungsvollen Aeltern einem Abenteurer von zweifelhafter Abkunft und Stellung schenkt, so weiß es Herr Pietri.

Wenn ein verschwenderischer, ungerathener Sohn an den günstigen Verhältnissen seiner arbeitsamen, sparsamen Aeltern rüttelt, so weiß es Herr Pietri.

Wenn ein Arbeiter seine Frau prügelt und diese bereit ist, sich für die Mißhandlungen zu rächen, so weiß es Herr Pietri etc. etc.

Mit der Kenntniß so vieler Schwächen und Schäden der Gesellschaft, wie sollte die Polizei nicht Alles über sie vermögen, sie nicht lenken und im Zaum halten können!

Aus all diesen Angaben, die nicht an der geringsten Uebertreibung leiden, erklärt sich die unendliche Bedeutung der Stellung eines Präfecten, der Alles für die Regierung, aber auch vorkommenden Falls Alles gegen sie zu thun vermag.

Vor Foucher, seinem Polizeipräfecten, zitterte der Kaiser Napoleon, seines Namens der Erste, und als er von Elba zurückkehrte, wagte er es nicht, den Einflußreichen, vielfach Eingeweihten, abzusetzen, ob ihm gleich dessen Abtrünnigkeit und Liebäugeln mit den Bourbons und ihrem Anhang kein Geheimniß blieb. Der Kaiser behielt sich die Bestrafung des doppelsinigen Präfecten

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: seines
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verschiedene: Die Gartenlaube (1854). Ernst Keil, Leipzig 1854, Seite 110. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1854)_110.jpg&oldid=- (Version vom 20.4.2020)