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verschiedene: Die Gartenlaube (1854)

was ihm bei der Bühnenpraxis, die er früher erworben, nicht gar schwer fiel.

Bald nachher kam der Brief und das Buch aus dem goldnen Wolf für ihn an.

– „Es wäre doch fatal,“ dachte er, „wenn mich noch Jemand erkennen sollte, z. B. der Wirth, der mich zu genau gesehen hat. Vielleicht wär’s klüger gewesen, ich hätte mich in eine Dame verwandelt; dann durft’ ich auch beim Publikum auf größere Nachsicht rechnen – wenn ich etwa als die Schwester oder die Braut des Dr. Schmidt erschienen wäre, als liebenswürdige Dea ex machina! – Doch, sei’s denn so darauf gewagt!“ schloß er diese Erwägung, indem er zugleich seine Toilette am Spiegel beendigte; „ich denke, so bin ich sicher genug!“

Eine halbe Stunde vor dem Beginne der Vorlesung traf er im goldnen Wolf ein, und verlangte den Wirth zu sprechen, der ihn zu seiner Genugthuung als einen Wildfremden empfing.

– „Ist Herr Doctor Schmidt schon abgereist?“

– „Abgereist? Der Vortrag des Herrn Doctors soll ja erst beginnen. Es ist außerordentlich! Wir haben noch eine Menge Personen ohne Karten zulassen müssen. Kein Apfel kann im Saale zur Erde.“

Darauf erklärte Herr „Magister Müller“ dem unendlich staunenden und anfangs sogar höchlich erschrockenen Wirthe, was ihm geschrieben worden. Er legitimirte sich durch den Brief, dessen Außenseite der Wirth gar wohl wieder erkannte, und erklärte, daß er gekommen wäre, um das an ihn gerichtete Verlangen zu erfüllen.

Der Wirth mußt’ es schon geschehen lassen, obwohl ihm nicht ganz wohl bei der Sache zu Muthe war, zumal wenn er das etwas einfältige Gesicht des Herrn Magisters in Erwägung zog. Dieser aber schien nichts zu besorgen, und nachdem er zur Stärkung noch ein Glas Wein zu sich genommen, begab er sich in den Saal, und nahm den für den Vortragenden hergerichteten Platz ein.

Von Herren und Damen war die Elite der nicht umfangreichen Stadt versammelt, und im Ganzen mochten gegen fünfhundert Personen im Saale sein. Damit waren die kühnsten Erwartungen überflügelt. Drei oder vier Personen ausgenommen, war Jedermann des Glaubens, den Doctor Schmidt vor sich zu sehen. Es erregte daher kein geringes Erstaunen, als er zunächst eröffnete, daß man keineswegs jenen Herrn, sondern nur den Magister Müller, auf der Durchreise begriffen, im silbernen Lamm wohnend, in seiner geringen Person erblickte. Er wußte diese einfache Meldung jedoch in einer Weise vorzutragen, daß das Staunen wenigstens kein Unangenehmes war, sondern sich mit einem gewissen Behagen verband. Sodann berichtete er, daß er erst Tags vorher mit Herrn Doctor Schmidt bekannt geworden und erlaubte sich desgleichen, die schriftliche Bitte desselben vorzulesen.

Daran knüpfte er die Frage, ob die geehrten Anwesenden überhaupt geneigt sein möchten, den Tausch gelten zu lassen und ihn an der Stelle des vergebens Erwarteten zu hören. Er vernahm, Dank einem sehr zu Herzen gehenden Humor, mit welchem er sich ausdrückte, durchaus kein Zeichen der Ablehnung. Er erwähnte nun ferner, daß sein Freund ihm zu viel zugetraut, denn er wäre keineswegs so gründlich unterrichtet in dem betreffenden Punkte, um darüber vor einer so ansehnlichen und ohne Zweifel sehr kundigen Versammlung sprechen zu können. Er hielt den mitgebrachten Band des Lexicons empor, erklärte, zu welchem Zwecke ihm dieser Band gesendet worden wäre, wie selbiger aber leider blos bis zum Artikel „Spanferkel“ reichte. Da nun dies Buch einmal die ihm angewiesene Quelle wäre, so müßte er auch daraus schöpfen und über das sprechen, was darin dem Artikel Spanien noch am Nächsten käme, nämlich über das Spanferkel, und er bedürfe dazu nur noch der Genehmigung von Seiten der Versammlung.

Der Redner bewegte sich jetzt in der That ganz in seinem Elemente, und seine Worte, die ganze Art und Weise, wie er das Obige dargestellt hatte, verriethen eine so unwiderstehliche komische Kraft, daß die Versammlung, vielleicht ein halb Dutzend verhärteter politischer Kannegießer ausgenommen, gar nichts Besseres verlangte, als ihn so fortfahren zu hören, wie er begonnen, und als er nach den letzten Worten, wie Erlaubniß erwartend, eine kleine Pause machte, hatte er die Versammlung bereits so weit gewonnen, daß ihm nur ein rauschender Beifallssturm antwortete.

Nunmehr ließ er sich nach Herzenslust gehen, und wußte über das Thema Spanferkel einen Vortrag zu halten, in welchem sich der köstlichste Humor, der glänzendste Witz von Satz zu Satz fortwährend steigerten. Er hatte sich nur einige flüchtige Hauptzüge und Umrisse zuvor entworfen gehabt. Aber während er sprach, strömten ihm die ergötzlichen, durch treffende Satyre und Persiflage gewürzten Einfälle, die schlagenden Witzspiele fort und fort in einer Fülle zu, daß sich selbst das halbe Dutzend Kannegießer bald gewonnen und hingerissen fühlte. Es war das nun eben sein Talent; in andrer Weise würde er vielleicht sehr wenig geleistet haben. Auch möchte der Vortrag, wär’ er aufgezeichnet worden, wohl manche schwache Seiten und matte Stellen gezeigt haben, wie es bei allen Improvisationen der Fall ist; allein beim mündlichen Vortrage wirkte des Redners hierin trefflich begabte Persönlichkeit, sein Mienenspiel, sein Organ, seine Betonung. Er sprach wohl dreiviertel Stunde lang, ließ dann eine Pause eintreten, und sprach hierauf noch ebenso lange mit unverminderter Frische. Als er endlich mit einer gloriosen Wendung schloß und sich zurückzog, war er selber innig gerührt über die Begeisterung, mit welcher man den lang anhaltenden Applaus erschallen ließ. Die heitere Lust hatte aber auch zum wenigsten mehr Thränen erpreßt, als es die erschütternste Schilderung der Scenen in Saragossa vermocht haben würde. –

Als der Redner aus dem Saale trat, wurde er von einem Herrn, in dessen Gesellschaft sich der Wirth befand, ersucht, in ein benachbartes Zimmer einzutreten. Dieser übrigens sehr artige Herr hatte für den gefeierten Redner etwas Unheimliches, was er sich nicht gleich zu erklären wußte, was ihm jedoch bald klar wurde, als er mit jenem Herrn in das bezeichnete Zimmer getreten war. Hier bat der Unbekannte, indem er sich näher zu erkennen gab, Herr Magister Müller möchte entschuldigen, wenn er ihn von Amtswegen mit einigen Fragen hinsichtlich des Dr. Schmidt belästigen müßte. Der Herr war nämlich ein Polizeibeamter.

Die vorgelegten Fragen vermochte der Herr Magister Müller nur zum Theil zu beantworten. Man wünschte zu wissen, woher Herr Dr. Schmidt gekommen, wohin er sich gewendet, was seine rasche Abreise veranlaßt, ob und wann er zurückkehren würde, welche Bekannte er etwa hätte u. dgl. mehr. Der Gefragte erklärte, den Doctor am vorhergehenden Abend zum ersten und einzigen Mal im Kaffeehaus gesehen und gesprochen zu haben, im Uebrigen durchaus nichts von ihm zu wissen; aus eigener Liebhaberei habe er sich bestimmen lassen, in der bekannten Weise heute an Jenes Stelle zu treten. Er wies des Doctors Brief vor und versprach, sobald er im Besitz der darin verheißenen Adresse sein würde, dieselbe der Behörde schleunigst mitzutheilen.

Dabei bewendete es. Der Beamte entschuldigte sich abermals sehr artig wegen der Bemühung, und ging.

Nun hielt Herr „Magister Müller“ Abrechnung mit dem Wirthe und nahm, nach Abzug aller Kosten und Berichtigung der Rechnung des verschwundenen Dr. Schmidt immer noch über vierhundert Gulden in Empfang.

„Warum forscht man aber wohl so eifrig nach dem Doctor Schmidt?“ fragte er nach Beendigung jenes angenehmen Geschäftes.

„O!“ sagte der Wirth, nachdem er sich zuvor überzeugt, daß nicht etwa ein Lauscher an der Thür wäre. „Dr. Schmidt hat sich gerade noch zur rechten Zeit entfernt. Es mußt’ ihm wohl eine geheime Warnung zugegangen sein. Sein Verschwinden bedarf jetzt keiner Erklärung mehr.“

„Aber was vertrieb ihn denn?“

„Lieber Herr Magister, schon die Anzeige im heutigen Blatte hat, wie ich erfahren habe, sogleich die Aufmerksamkeit der Polizei erregt, weil darin vom spanischen Heldenkampfe gegen die Fremdherrschaft, vom Einflusse dieses Kampfes auf Europa u. s. f. die Rede war. Ich hatte mir nichts dabei gedacht, bin aber belehrt worden, daß es mindestens dem Hochverrathe gleichkäme. Sie wissen ja, daß wir jetzt hier so gut wie französisch sind. Der Besitzer und Censor des Blattes, welche die Sache zufällig übersehen haben, werden auch große Ungelegenheit erleben. Dann soll Dr. Schmidt auch gestern Abend schon öffentlich sehr scharf gegen die Franzosen gesprochen haben, und da hat es solche Horcher gegeben, woran es jetzt nirgends fehlt. Sie hatten sich heute kaum in den Saal begeben, als der Beamte mit einigen Gensd’armen erschien, um den Dr. Schmidt zu verhaften. Ich theilte ihm mit, was inzwischen geschehen war. Er hörte nun an, was Sie vortrugen,

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