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verschiedene: Die Gartenlaube (1854)

kommenden Geläufigkeit seiner Zunge, so wir seiner sehr lebendigen Phantasie vertrauen, um den Zuhörern glänzende Schilderungen von den spanischen Scenerien und Volkssitten, von den unermüdlichen, kühnen Guerillaschaaren in den Gebirgen und von den wilden Gefechten in den Städten aufzutischen. Allein, er hatte noch gar viel mehr in Aussicht gestellt, und was wußte er im Grunde von Spanien? Daß einst die Römer dort gewesen, daß Hannibal daher gekommen, daß später auch Araber da gewohnt, daß zu allen Zeiten mancherlei Südfrüchte und Maulthiere, sowie verschiedene andere Dinge bei gehöriger Pflege, wilder Fanatismus, Mönche und Inquisition aber auch wild daselbst wuchsen, daß es das Vaterland des berühmten Don Quixote, des Marquis Posa und vieler anderer berühmten Personen gewesen: diese und noch einige andere Dinge kannte er ungefähr, wie sie Jedermann kennt; aber sein Publikum wollte natürlich etwas Gründliches und was nicht jedes Kind schon weiß, vernehmen. Einige Vorstudien waren unerläßlich, das ließ sich nicht verkennen; allein sein gutes Gedächtniß und seine treffliche Redegabe ließen ihn nicht zweifeln, daß für den speciellen Zweck die Studien eines Nachmittags völlig ausreichend sein würden, und es kam ihm daher nur darauf an, sich ein Buch zu verschaffen, welches einen Abriß der spanischen Geschichte und einige andere nöthige Notizen über dieses Land enthielte. Das nur flüchtige Durchlesen einer solchen Schrift mußte ihn genugsam ausrüsten, um sein Schiff am Abend glücklich und glänzend an’s Ziel zu steuern. Also ein Buch! Ein Königreich für ein Buch!

Es war indeß recht gut, daß er keine sehr tiefen Studien zu machen beabsichtigte, denn dazu würden die Hülfsmittel gefehlt haben. Er erfuhr nämlich auf Befragen, daß sich keine öffentliche Bibliothek am Orte befand; ebensowenig eine Sortimentsbuchhandlung. Möglich, daß sich im Privatbesitz, etwa bei einem Gelehrten, etwas finden möchte, was Herr Schmidt hätte brauchen können; allein an solche Leute mocht’ er sich nicht wenden, denn es hätte ihm dies leicht eine Blöße geben und den Kredit seiner Vorlesung im Voraus ruiniren können. Die einzige Zuflucht war eine Leihbibliothek, von welcher der Wirth einen Katalog besaß. Dieser Katalog wurde denn sofort vorgenommen und durchgesehen. Allein, außer zwei Romanzensammlungen, dem Cid, dem Don Quixote, etlichen Dramen und mehreren Rittergeschichten enthielt der Katalog auch rein gar nichts, was auf jenes gesegnete Land einen Bezug gehabt hätte. Indeß fand sich doch darin ein Herrn Schmidt nicht unbekanntes, sehr umfangreiches Lexicon verzeichnet, in welchem er sicher sein konnte, wenigstens das Nothdürftige, zwar gedrängt, doch vollständig, zu finden. Dies war ihm ganz gelegen. Er brauchte da um so weniger zu lesen und konnte den Stoff um so bequemer zurecht legen und übersehen. Hatte er nur das nothwendig Geringe zum Ganzen, so war er sicher, den Vortrag selbst gewiß anziehend und befriedigend zu machen.

Es wurde also auf der Stelle nach der Leihbibliothek geschickt, um den oder diejenigen Bände des fraglichen Lexicons zu erlangen, welche den Buchstaben S oder Sp enthielten.

Herr Schmidt war soeben vom Mittagstisch aufgestanden, und hatte sich nach seinem Zimmer begeben, als ihm der verlangte Band gereicht wurde. Zufrieden legte er sich damit auf sein Sopha, um nun endlich die nöthige Vorbereitung anzustellen. Aber ach, der Band, welchen er erhalten, schloß gerade mit dem Artikel „Spanferkel.“

Er zog die Klingel und erfuhr von dem eintretenden Kellner, daß eben nur dieser Band vorhanden und der folgende bereits ausgeliehen gewesen war. Kein Wunder; es wollten damals vermuthlich auch andere Leute etwas über Spanien lesen. Aber die Mittel waren jetzt in der That erschöpft, und Herrn Schmidt blieb nur der Trost, daß er bei seinen Studien nun zum wenigsten keine herkulischen Arbeiten zu verrichten und keine Berge mehr umzureißen haben würde.

Er brütete einige Zeit, während ihn doch eine gewisse Unlust befallen hatte, die ihm sonst fremd war. Da erschien abermals der Wirth und berichtete, daß jetzt, zwei Uhr Nachmittags, bereits der bei weitem größte Theil der Eintrittskarten verkauft wäre; man risse sich förmlich darum, und wenn es so fort ginge, würde der Vorrath vielleicht nicht zureichen. – „Ich bin soeben im Begriff,“ sagte der Mann, „die Stühle im Saale anders stellen zu lassen, um mehr Raum zu gewinnen. Wie Schade, daß Sie kein höheres Eintrittsgeld festgesetzt haben. Ich denke, Sie dürfen schon auf vierhundert Gulden Einnahme rechnen.“

Wieder allein, setzte Herr Schmidt sein Nachdenken fort. Er hatte, offen gestanden, bis jetzt noch nie vierhundert Gulden auf einmal in seinem Besitze gehabt.

Aber plötzlich sprang er vom Sopha auf, schlug sich vor die Stirn und rief: „Ich Thor, ich Narr! Mich da um solche Dinge zu quälen! Ich sollte doch gleich erwägen, daß das Pathetische eigentlich nie mein Fach war, und wo ich erst studiren soll, da vergeht mir vollends Geist und Lust bei der Sache, wie dem Koche der Appetit. Ich muß mich ganz auf eigenem Grund und Boden, in meinem eigenen Revier ergehen, wenn ich etwas leisten soll. Ich müßt’ also einen ganz freien Vortrag halten, reines Gespinnst aus mir selbst heraus. Und wie könnt’ ich mir Sorge machen, während bereits Alles so gut geht, und das Publikum oder das Schicksal so ausgezeichnet für mich sorgt!

Nur sehr schlimm, daß die Leute für ihr vorausbezahltes Geld etwas ganz genau Bezeichnetes und fest Bestimmtes erwarten. Ich müßte einer schlechten Aufnahme, vielleicht einer schmachvollen Niederlage gewärtig sein, falls sich das Publikum widerhaarig zeigen sollte.“

Er sann weiter nach, während er mit starken Schritten auf und ab ging. Die Aussicht lichtete sich mehr und mehr vor seinem Blicke. Ein Plan arbeitete sich aus, und seine Miene ward immer zufriedener und zuversichtlicher, was ihm selbst nicht entging, so oft er vor dem Spiegel vorüberkam.

So brachte er wohl ein Paar Stunden zu. Es fehlten deren noch drei an der Zeit, wo die Vorlesung beginnen sollte.

Herr Schmidt machte sich jetzt fertig zum Ausgehen. Zuvor jedoch schrieb er folgendes Briefchen:

„Geehrter Herr!
„Seit gestern erst hab’ ich die Ehre, Ihnen bekannt zu sein. Ich glaube jedoch, unser kurzen Beisammensein genügte, um uns gegenseitig zu mehr als nur flüchtigen Bekannten zu machen. Meinerseits kann ich Ihnen diese Versicherung geben, und das große Vertrauen, welches Sie mir eingeflößt haben, ermuthigt mich, eine Bitte an Sie zu richten, zu welcher mich eine außerordentliche Verlegenheit veranlaßt. Ich erhalte so eben eine Familiennachricht, welche mich zu augenblicklicher Abreise zwingt. Indeß kennen Sie jedenfalls die Verpflichtung, welche ich für diesen Abend hier übernommen habe. Darf ich Sie bitten, darf ich Ihnen zumuthen, meine Stelle heut’ Abend einzunehmen? Ich muß um diesen Freundschaftsdienst bitten, die Umstände haben mir jeden andern Ausweg abgeschnitten und mir bleibt keine Secunde Zeit. Ich weiß, daß Sie weit besser als ich im Stande sind, das Publikum auch ohne besondere Vorbereitung zu befriedigen. Sollten Ihnen einige nöthige Notizen nicht zur Hand sein, so sende ich beifolgend das Lexicon, wo Sie unter den Artikeln Spanien, Spanisch u. s. w. alles Erforderliche beisammen finden werden. In Betreff der Einnahme werden wir uns leicht arrangiren; inzwischen ersuche ich Sie, den ganzen Betrag in Empfang und Verwahrung zu nehmen; sollte ich nicht schon in den nächsten Tagen zurückkehren können, so werd’ ich dafür sorgen, daß Sie meine Adresse erhalten. Im Voraus sag ich Ihnen meinen unendlichen Dank für Ihren Liebesdienst. Sie werden mich bei den Zuhörern zu entschuldigen wissen. Ihr u. s. w.
Dr. Schmidt.“ 
„An Herrn M. Müller, im silbernen Lamm,
  hierselbst.“

Diesen Brief nebst dem vorhandenen Bande des Lexicons gab er dem Wirthe mit der Weisung, beides nach einer Stunde, nicht früher und nicht später, im silbernen Lamm abgeben zu lassen.

Darauf verließ er das Haus und nahm seinen Weg sehr vorsichtig, um von Niemand auf der Straße bemerkt zu werden. Zum Glück hatte ihm seine kaum zweitägige Anwesenheit auch erst wenig Bekannte erworben. Er begab sich in eine Barbierstube, ließ sich den Schnurrbart, den er damals trug, abnehmen, und sein etwas langes Haar sehr kurz schneiden. Darauf setzte er auch noch eine Brille auf, und begab sich so nach dem silbernen Lamm, wo er sich Magister Müller nannte und sich ein Zimmer anweisen ließ. Hier ließ er es sich sofort angelegen sein, die schon begonnene Metamorphose noch vollständiger zu machen,

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verschiedene: Die Gartenlaube (1854). Ernst Keil, Leipzig 1854, Seite 92. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1854)_092.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)