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verschiedene: Die Gartenlaube (1854)

„Dann fahren wir Beide nach den Tuilerien, mein Sohn – Gott sei gedankt, so geht es, nicht wahr, Major? Guter François, ich bin entsetzlich aufgeregt, bringe mir ein Glas Chambertin!“ –

Als am andern Tage François in Begleitung der Dame Garnier in den Tuilerien erschien, wurden die Beiden von dem Großmarschall selbst nach den Zimmern des Kaisers geführt. Napoleon saß lesend auf einem kleinen Sopha, und trat der dicken Dame, die sich eben zu einem Fußfalle vorbereitete, rasch entgegen.

„Ah, Madame Garnier, unsere vortreffliche Wirthin!“

„Sir, die unglücklichste Frau in Frankreich, welche durch das Incognito - - Ew. Majestät - -

„Lassen Sie das, Madame,“ lächelte der Kaiser – „Sie waren ganz in Ihrem Rechte, als Sie zwei Abenteuern, die ihre Börsen vergessen hatten, nicht creditiren wollten.“

„Sir, vergeben Sie einer armen elenden Frau“ und Madame Garnier weinte heiße Thränen.

„Genug, Madame, ich vergebe Ihnen aus vollem Herzen – wollen Sie mir aber auch eine Bitte gewähren?“

„Mein Leben, Sir, wenn es Ew. Majestät verlangen.“

„Ueberlassen Sie mir den Garçon François - - er wird heute nach den Tuilerien kommen, Großmarschall?“

„Er ist bereits im Vorzimmer, Sir!“

Napoleon schellte. „François Duprès!“ rief er dem eintretenden Kammerdiener zu.

Der Garçon trat ein.

„Duprès,“ sagte der Kaiser, „Sie werden Ihre Stellung bei Madame Garnier aufgeben. Durch Ihr Betragen im Hotel dieser Dame bin ich Ihnen eine Verpflichtung schuldig. François, ich ernenne Sie zum ersten Kammerdiener der Kaiserin Josephine – Sie treten Ihren Dienst sofort an. Melden Sie sich bei dem Hofmarschall! – Die Kaiserin interessirt sich bereits für Sie!“ –

Halb betäubt von seinem Glück kam François nach Hause. Zwei Jahre war er jetzt in Paris, und hatte schon durch die Gunst des Schicksals eine Stellung erlangt, die seine kühnsten Hoffnungen übertraf. Auch der alte Onkel Brassin war hoch erfreut, und stolz auf seine Verwandtschaft mit François schulterte er jetzt den Portierstab mit ungleich mehr Würde als früher. François aber versah seinen Dienst mit aller Treue eines Mannes, der die ihm wiederfahrenen Wohlthaten dankbar anerkennt, und manches freundliche Wort der engelguten Kaiserin Josephine war sein Lohn. So ging denn das dritte Jahr seines Aufenthaltes in Paris zu Ende, und die Erinnerung an Alice und das gegebene Versprechen trat mit aller Stärke vor seine Seele. Eines Morgens näherte er sich der Kaiserin, und beugte das Knie.

„Ah, sieh da, Duprès, haben Sie endlich auch einmal eine Bitte? Was ist es? Gewiß wünschen Sie Anstellung für einen Verwandten?“

„Nein, Ew. Majestät, ich bitte nur um einen kurzen Urlaub nach meiner Heimath.“

„Sie sollen ihn erhalten, Duprès. Leben Ihre Aeltern noch?“

„Alle meine Verwandten in dem Dörfchen Carillon sind todt – es ist ein Versprechen, was mich nach der Heimath zieht, ein Versprechen, das ich vor drei Jahren einem jungen Mädchen gab“ – und François erzählte der Kaiserin dir Geschichte seiner Liebe zu Alice Meunier.

„Sie ist Ihnen treu geblieben, Duprès, ein Weib, das wahrhaft liebt, wird nie untreu!“ rief Josephine mit einiger Aufregung. „Reisen Sie unverzüglich nach Carillon, ich ehre Ihre redlichen Gesinnungen, und nehmen Sie diese Rolle mit Napoleonsd’ors als Beitrag zu den Reisekosten. Ich werde mit dem Kaiser sprechen, daß er Ihnen die Erlaubniß zur Heirath ertheilt, und sagen Sie Alice Meunier, daß die Kaiserin für ihre Ausstattung sorgen werde.“

„Ach, Ew. Majestät, womit habe ich diese überschwengliche Gnade verdient?“

„Sie sind ein treuer, guter Mensch, Duprès, reisen Sie mit Gott, und hier,“ fuhr die Kaiserin fort, indem sie ein Fach ihres Schreibtisches hervorzog – „hier ist ein Armband – finden Sie Ihre Alice mit treuem, reinem Herzen – so geben Sie ihr das Band als Geschenk einer glücklichen Frau.“

In einem eleganten Reisewagen eilte François dem heimathlichen Dörfchen zu, und bald tauchte dieses mit seinen freundlichen Häusern und der altehrwürdigen Kirche aus der grünen Landschaft hervor. Thränen des Glücks und der Dankbarkeit drangen aus François’ Augen, als er auf der Anhöhe ausstieg, wo er, vor drei Jahren das letzte Mal nach dem Dörfchen zurücksah. Alle seine Hoffnungen waren zu herrlicher Ernte gereift – aber Alice, um deren Besitz er die Heimath verlassen, war sie ihm treu geblieben? - - Er schickte den Wagen voraus, und wanderte nach dem Pfarrhause von Carillon. François trat in das Studirzinmer des alten Pfarrherrn, der sich überrascht erhob und dem Ankömmling entgegenging.

„Was steht zu Befehl, mein Herr?“ fragte der Greis den gerührten François.

„Und Sie kennen mich wirklich nicht mehr, mein alter, theurer Lehrer?“

Wie? Was? François? Nein, ich irre mich nicht, das ist ja François Duprès“ versetzte der alte Pfarrer. „Willkommen in Carillon. François, oder vielmehr Herr Duprès, denn Sie sind ein stattlicher Herr geworden, der durchaus nicht mehr dem kleinen Bauerknaben gleicht, welcher vor nunmehr drei Jahren nach Paris ging.“

„Und wir geht es Alice Meunier?“ fragte mit bebender Stimme der Angekommene.

„Sie ist wohlauf, das wackere Kind, und hängt noch mit der alten Innigkeit an Ihnen. Jeder Bewerbung um ihre Hand hat sie Trotz geboten. Und dann noch eine herrliche Nachricht, François – der alte Meunier hat sich ernstlich entschlossen, Ihnen seine Tochter zur Ehe zu geben. Meunier wird alt, und die Bewirthschaftung seines nicht unbedeutenden Gutes kann er allein nicht mehr besorgen, da hat er denn meinen und Alice’s Bitten nachgegeben, und wollte nächstens selbst nach Paris, um Ihnen die frohe Kunde zu bringen, und Sie herzuholen. Aber Herr Duprès, Sie sehen nicht aus, als ob Sie in unserem kleinen Carillon leben wollten!“

„Gott hat mich gesegnet, mein theurer Lehrer, ich bin ein glücklicher und angesehener Mann geworden, und kann dem alten Meunier mehr als die verlangten zwölftausend Franken aufweisen.“

„Das kleine Vermögen, welches Sie in meiner Verwahrung ließen, hat auch Früchte getragen und sich um dreihundert Franken vermehrt,“ sagte der Pfarrer, „aber Herr Duprès, was sind Sie denn in Paris geworden?“

„Erster Kammerdiener der Kaiserin von Frankreich!“ sagte François, nicht ohne einen leichten Anflug von Selbstgefälligkeit in seinem hübschen, fröhlichen Gesicht.

„Kam – Kammerdiener der Kaiserin von Frankreich?“ rief der überraschte Pfarrer, indem er aufstand, und seine Hand das schwarzsammetne Käppchen lüftete. „Da haben Sie ja ein ungeheures Glück gehabt, Herr Duprès!“

„Der liebe Gott war mit mir, Herr Pfarrer, ich habe Ihre Lehren treulich befolgt, und der Segen ist nicht ausgeblieben.“ François erzählte dem Geistlichen seine Erlebnisse in Paris, und dem alten Herrn standen vor Freude und Rührung die Thränen in den Augen.

„Lassen Sie uns zu Meunier´s gehen – Babet, meinen Sonntagsrock und die neue Perrücke!“ rief der gute Priester. „Gott, welche Freude zieht in des Maire’s Hause ein, und mein altes Herz muß daran Theil nehmen! François Duprès, nicht wahr der alte Priester, der Sie und Alice getauft, er wird auch den Segen über Eure Ehe sprechen?“

„Gewiß Herr Pfarrer!“

„Nun kommen Sie, mein junger Freund, wir gehen hinter dem Dorfe weg, und durch Meunier’s Garten, damit die Nachricht nicht vor uns in die Familie kommt. Sie warten in der Jelängerjelieberlaube bis ich die Meunier’s auf Ihre Ankunft vorbereitet, und nach wenigen Minuten können Sie dann Ihre Braut in des alten Maire Gegenwart küssen.“

Der heitere Greis ging in Meunier’s Haus und François verbarg sich in der Laube, derselben Laube, worin er vor drei Jahren Abschied von Alice nahm. Die Sehnsucht nach dem geliebten Wesen trieb ihn aber schon nach wenigen Minuten hinaus in den Garten, dem Hause zu, worin der Geistliche verschwunden war. Da bemerkte er ein offenes, dicht von Weinlaub umzogenes Fenster – es ging nach Meunier’s Wohnzimmer – und leise hinantretend vernahm er die Stimme des alten Pfarrers.

„So ist es, mein lieber Maire, und Du, mein Kind! Ich habe Nachrichten über François Duprès, aber leider sind es nicht die günstigsten, und Eure Güte wird für ihn sehr wohlthätig sein,“ rief der Geistliche.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1854). Ernst Keil, Leipzig 1854, Seite 82. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1854)_082.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)