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verschiedene: Die Gartenlaube (1854)

„Sie haben Beide die Börsen vergessen? Das ist in der That ein eigener Zufall. Da es nun aber oft vorkommt, daß Herren, die wir nicht kennen, in gleicher Verlegenheit sich an mich wenden, wodurch ich, ohne Ihnen eine Sottise sagen zu wollen, mein Herr – schon um vieles Geld gekommen bin, da die Herren später zu zahlen vergaßen, so bitte ich – aus Grundsatz – mich auf irgend eine Art sicher zu stellen, vielleicht durch einen Gegenstand von Werth, der als Pfandstück hierbleiben kann,“ sagte Dame Garnier.

Duroc war in schrecklicher Verlegenheit. Er wandte sich von der Garnier ab, und bemerkte nahe beim Büffet den Kaiser, welcher mit kurzen Schritten hin und herging, und die Hände auf den Rücken gelegt, leise einen Kriegsmarsch vor sich hinpfiff. Der Großmarschall sah, daß der Kaiser, der jedes Wort, was zwischen ihm und der Hotelbesitzerin gewechselt wurde, gehört hatte, sich über seine, des Großmarschalls, peinliche Lage köstlich amüsirte.

„Aber Madame, ich versichere Ihnen, daß wir ehrliche Leute sind, die blos eine Unvorsichtigkeit in diese Verlegenheit gebracht hat – Sie werden uns doch nicht compromittiren wollen?“ rief der unglückliche Duroc.

„Gut, mein Herr! So mag denn einer meiner Garçons Sie nach Ihrer Wohnung begleiten und dort das Geld in Empfang nehmen – nicht so?“

„Das geht auch nicht!“ rief der Großmarschall.

„S–o? Auch nicht? Nun, mein Herr, so bitte ich ein für allemal um ein Pfandstück oder genügende Bürgschaft!“

„Mein Herr,“ sagte François. „ich sah Sie noch nie in diesem Hotel, aber ich glaube, Sie sind Offizier des französischen Heeres?“

„Und was weiter?“ fragte Duroc.

„Wenn ich mich nun bei Madame Garnier für Ihre Redlichkeit verbürgen wollte, würden Sie einem armen Teufel von Garçon in den nächsten Tagen das Geld zurückerstatten?“

„Ganz gewiß, mein Freund!“ rief aufathmend der Großmarschall.

„Nun wohl, mein Herr,“ versetzte François, „ich halte Sie für einen braven Soldaten. Madame Garnier, ich bin Ihr Schuldner für dreißig Franken!“

„Ein Thor bist Du, François,“ sagte die Dame, laut genug, daß es Duroc hören konnte. „Für Offiziere hältst Du die Schlucker? Gauner sind es! Dort sitzt Major Duverrier und nicht weit von ihm Capitain Lasalle, erkundige Dich bei ihnen und Du wirst bald hören, daß die sauberen Vogel vielleicht Baumstämme, nie aber Epauletten auf den Schultern getragen haben.“

„Noch einmal, ich bürge für die Herren!“ erwiederte unmuthig der Kellner – „und ich zweifle nicht, daß durch diese kleine Gefälligkeit ich zwei Männer von Ehre aus einer peinlichen Lage befreit habe.“

„Braver Junge!“ rief der Kaiser, indem er rasch am Büffet vorüberschritt, gefolgt von Duroc, der sich den Angstschweiß von der Stirne trocknete.

Napoleon liebte es, von Duroc begleitet, des späten Abends bisweilen kleine Ausflüge durch die Straßen von Paris zu machen, wobei er sich scherzhaft Harun und Duroc Giafar zu nennen pflegte. Der Kaiser hatte zwar manches kleine Abenteuer bei diesen Spaziergängen gehabt, aber keines, was ihm so viel Vergnügen gemacht, wie der Auftritt im Hotel Garnier, so daß er selbst der Kaiserin Josephine davon erzählt hatte.

Es waren seit jenem Erlebniß bereits einige Monate vergangen, als der Kaiser an der Seite des Großmarschalls die Straße Richelieu, in der sich das Hotel der Madame Garnier befand, herabkam, und lachend vor dem erleuchteten Hause stehen blieb.

„Nun, Giafar, wollen wir ein Glas Champagner trinken?“ rief Napoleon.

„Wenn Sie befehlen, Sir?“

„Apropos, Duroc, wie haben Sie denn unsern Bürgen, unsern Freund in der Noth belohnt?“

„Den Garçon – wahrhaftig, Sir, es ist nachlässig von mir, ich habe dem armen Teufel noch nicht einmal die Bürgschaftssumme zurückgegeben. Doch soll er morgen sogleich – –“

„Nein, Herr Großmarschall von Frankreich, sogleich soll der brave Mann bezahlt werden! Nicht blos Ihre Ehre, auch die Ihres Kaisers ist an den Burschen verpfändet. Wie viel Geld tragen Sie bei sich, mein Herr!“ rief streng der Kaiser.

„Einiges Gold und etwa dreitausend Franken in Bankscheinen.“

„Wir werden heute bei der Garnier soupiren, und alles Geld, was Sie bei sich tragen, soll des Garçons Bezahlung sein; der Bursche soll an den Hof, Lacroix ist gestorben, ich will den jungen Mann zum Kammerdiener der Kaiserin machen, sorgen Sie dafür, Duroc, daß er mir in den Tuilerien vorgestellt werde.“ –

Der Salon war heute zahlreich besetzt, doch gelang es den beiden Ankömmlingen, Platz an dem kleinen Ecktische zu finden, woran sie bei ihrem letzten Besuche soupirt hatten.

Duroc klingelte. „Der Garçon François soll kommen!“

Der Garçon erschien, und lachte seinen Schuldnern freundlich entgegen.

„Durch meine Vergeßlichkeit haben Sie Ihr Geld noch nicht empfangen, ich werde es Ihnen sogleich mit Zinsen zurückzahlen – wir wollen speisen, François – bringen Sie Champagner!“

François ging nach dem Büffet. „Die Offiziere, für welche ich bürgte, sind eben gekommen, Madame,“ rief er triumphirend, „Sie sehen, daß ich nicht irrte, als ich die Herren für Männer von Ehre hielt.“

„Hast Du Dein Geld schon, François?“ fragte die Dame, ärgerlich, daß der Kellner mehr Menschenkenntniß gezeigt hatte als sie, die erfahrene Wirthin.

„Noch nicht, der Herr hat mir aber die Zahlung bereits zugesagt!“

„Nimm Dich vor den Schwindlern in Acht, François – sie werden schon wieder die Börsen vergessen haben, und ehe Du Dich umsiehst, aus dem Salon verschwunden sein.“

Madame Garnier war äußerst neugierig, zu erfahren, wer die beiden Gäste wären; sie erhob sich also aus ihrem Lehnsessel und watschelte nach dem Tische, an welchem Major Duverrier und Capitain Lasalle saßen.

„Bitte, lieber Major, werfen Sie einen Blick nach jener Ecke – dort soupiren zwei Herren – ich möchte wissen, ob es Offiziere unserer tapferen Armee sind?“

Die beiden Offiziere sahen nach dem bezeichneten Tische, und eine ungeheure Ueberraschung malte sich auf ihren Gesichtern. „Mein Gott!“ rief der Capitain, „ist es Wahrheit oder trügen mich meine Augen?“

„Er ist es!“ sprach halblaut der Major.

„Sie kennen die Herren, Major?“

„Aber liebe Garnier, haben Sie wirklich keine Ahnung von dem Glück, was Ihnen heute zu Theil geworden?“

„Um Gottes Willen, sprechen Sie deutlicher!“ bat bestürzt die Dame.

Major Duverrier zog ein Fünffrankenstück aus der Börse und zeigte auf das Gepräge. „Finden Sie keine Aehnlichkeit zwischen diesem Portrait und dem Kopfe des kleinen Herrn am Ecktische?“ fragte er die leichenblasse Madame Garnier.

Madame Garnier taumelte entsetzt auf einen Stuhl, ihre Lippen schnappten nach Luft, und aus tiefer Brust keuchte sie endlich: „Der Kai– der Kaiser!“

„Es ist der Kaiser!“ flüsterte der Major.

Der ungeheure Schreck der Madame Garnier und ihr Ausruf war nicht unbemerkt geblieben – im Nu war durch den ganzen Salon die Kunde gedrungen, daß Napoleon mit dem Großmarschall gegenwärtig sei. Alles erhob sich, und ein jubelndes „vive l’empereur!“ tönte aus Aller Munde.

Der Kaiser verließ freundlich grüßend den Saal, vorher aber drückte der Großmarschall dem erschrockenen François eine Börse und ein kleines Portefeuille in die Hand. „Hier ist Zahlung, François,“ sagte er, „Alles gehört Ihnen, und Se. Majestät der Kaiser befiehlt, daß Sie sich morgen in den Tuilerien melden lassen.“

Nach einiger Zeit erst gelangte Madame Garnier wieder in den Besitz ihrer Sprache und Bewegungen. „Der Kaiser!“ rief sie – „heilige Maria, wie konnte ich mich so weit vergessen! Major, Sie haben Verbindungen am Hofe, Sie müssen mir eine Audienz bei Sr. Majestät vermitteln – ich werde durch einen Fußfall – François! es ist der Kaiser gewesen, für den Du gebürgt hast, und der andere Herr war der Großmarschall Duroc, Herzog von Friaul!“

„Dreitausend Franken, Madame!“ jubelte François, indem er die Geschenke Duroc’s emporhielt, „und morgen will mich der Kaiser in den Tuilerien sehen!“

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verschiedene: Die Gartenlaube (1854). Ernst Keil, Leipzig 1854, Seite 81. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1854)_081.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)