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verschiedene: Die Gartenlaube (1854)

„Ich bitte Euch, Onkel, laßt uns nach Eurem Zimmer gehen, damit ich mich und meine Kleider reinige, dann will ich Euch die Geschichte meiner Abenteuer erzählen, so daß Ihr vor Verwunderung erstarren sollt.“

Onkel Brassin schloß seine Loge auf und schob den Vetter hinein. „In einem Stündchen werde ich dienstfrei sein,“ sagte er, „und dann magst Du mir erzählen. Jetzt bringe Deinen äußeren Menschen in Ordnung, François, und gelüstet es Dir nach einigen Bissen Speise und einem Glase Wein, so findest Du Beides in jenem kleinen Schranke.“ Damit schulterte der wackere Portier seinen Stab, und pflanzte sich wieder vor dem Thorwege des Hotels Garnier auf.

Am folgenden Tage stellte Brassin seinen Neffen der Besitzerin des Hotels vor. Diese war eine dicke Dame mit rothen Hängebacken, und ihre Feinde behaupteten, die bläuliche Farbe ihrer Nase rühre von einiger Vorliebe zu Chambertin her. Dabei stand Madame Garnier in dem Rufe, ebenso reich als geizig zu sein, doch ließ man ihr die Gerechtigkeit wiederfahren, daß das Hotel eines der wohleingerichtetsten sei. Wohlgefällig betrachtete die Dame den hübschen, frischen Burschen, und engagirte ihn sofort mit einem Gehalte von hundert Franken jährlich als Garçon für ihr Etablissement. Noch hatte der neue Kellner das Zimmer seiner Gebieterin nicht verlassen, als ein Polizeicommissar angemeldet wurde und bei Madame Garnier eintrat.

„Befindet sich in Ihrem Hause François Duprès, Neffe Ihres Portiers Brassin, Madame?“ fragte der Beamte.

Die erstaunte Dame wies auf den Jüngling, dessen Augen vor Freude strahlten.

„Haben Sie dieses Billet geschrieben, Duprès?“ fuhr der Commissar fort, indem er diesem ein solches vorhielt.

„Das habe ich, mein Herr! Sind die Schurken gefangen worden?“

„Wir haben das ganze Nest ausgenommen, mein Freund, durch Ihre Benachrichtigung sind vier der gefährlichsten Verbrecher in die Hand der Gerechtigkeit gefallen. Jetzt habe ich ein Protocoll aufzunehmen, wie Sie zur Kenntniß des beabsichtigten Raubmordes gekommen sind.

Der Beamte zog sein Schreibgeräthe hervor, und nahm an einem Tische Platz. François erzählte seine Erlebnisse der letzten Tage und mit Entsetzen vernahm Dame Garnier, daß auch ihr ein Besuch der Räuber zugedacht gewesen war.

„Dich hat Gott nach Paris geführt, mein Sohn,“ rief die erschrockene Dame, „und damit Du siehst, daß ich die Wichtigkeit Deiner That anerkenne, sollst Du eine jährliche Gehaltszulage von fünfundzwanzig Franken haben.“

„Die Räuber waren bis an die Zähne bewaffnet,“ sagte der Commissar, „und wehrten sich auf’s Heftigste. In Folge dieser Verwegenheit wurde einer der Kerle, mit dem Diebsnamen Leichenfinger, getödtet und ein anderer, der erst kürzlich von den Galeeren entwichene Mörder Piston, der Sergeant genannt, stark verwundet.“

„Und die Bewohner des Hauses Nr. 27, wurden sie gerettet?“

„Wir kamen im entscheidenden Augenblick, als schon die Schlinge um Herrn d’Alignes Hals gelegt war,“ erwiederte der Commissar. „Uebrigens, François Duprès, werden Sie morgen drei Uhr auf das Stadthaus kommen, Sie finden dort alle Ihre Bekannten aus dem Hause der alten Mabel, und haben Ihre Aussage zu wiederholen. Dabei können Sie sogleich dreitausend Franken in Empfang nehmen, welche Herr d’Alignes für den Retter seines Lebens deponirt hat, sowie tausend Franken für Ihre Mitwirkung zur Verhaftung eines entsprungenen Galeerensklaven.“

Wer war fröhlicher als François. – Während Madame Garnier den Commissar einlud, ein Glas Chambertin mit ihr zu trinken, lief der neue Garçon zu seinem Onkel und erzählte ihm sein Glück. – –

Der Proceß der gefangenen Diebsbande war bald beendigt. Der Sergeant, Blutauge und der Todtengräber starben unter dem Beile der Guillotine, die Weiber aus der pvelunke wanderten in’s Zuchthaus.


Es war wohl ein Jahr vergangen nach den eben erzählten Ereignissen. François war ein hübscher, stattlicher Garçon geworden, sein bäuerisches Wesen hatte einer zierlichen Gewandtheit Platz gemacht, und er stand in großer Gunst bei Dame Garnier, die seine unermüdliche Thätigkeit für ihr Geschäft, sowie seine geprüfte Ehrlichkeit hoch zu schätzen wußte. Da traten spät Abends, als eben ein heftiges Schneewetter durch die Straßen tobte, zwei Herren in den Salon, und nahmen an einem Tischchen im Halbdunkel einer Saalecke Platz.

„Wahrhaftig!“ rief der Kleinere der beiden Angekommenen, indem er mit dem Taschentuche den Schnee von seinem grauen, bis an den Hals zugeknöpften Oberrocke klopfte – „wahrhaftig, mein Freund Giafar, es war ein Glück, daß dieses Wetter erst in der Nähe den Hotels über uns herfiel. Bei allen Abenteuern, die er erlebt, ist Harun al Raschid wenigstens durch keinen Schneesturm von Bagdads Straßen vertrieben worden, wie wir aus denen unseres guten Paris!“

„Es ist das ein ganz ergötzliches Abenteuer, Sir, wir werden heute bei Madame Garnier soupiren, deren Küche für eine vortreffliche gilt. Garçon!“

„Meine Herren!“

„Bestellen Sie rasch ein Souper für zwei Personen, und bringen Sie Champagner,“ rief der kleinere Herr. „Wahrhaftig, ein Schneewetter kann mich immer heiter stimmen, es erinnert mich stets an die frohen Jugendjahre in Brienne. Wir bauten dort unsere Schanzen von Schnee, und Schneeballen waren unsere Kugeln. Ach, ich war ein munterer Knabe in Brienne!“

François brachte den Wein. Während er die Flasche öffnete, wandte sich der kleine Herr nach ihm, und faßte ihn am Ohre.

„Hübscher Bursche das,“ rief er lächelnd, „gäbe einen tüchtigen Voltigeur. Hast Du nicht Lust, Soldat zu werden, Kind?“

„Schönsten Dank, mein Herr! Die Conskription ist glücklich an mir vorübergegangen!“ entgegnete François.

„Sie kann wiederkommen – aber rasch, Garçon, bringe zu essen, ich habe Hunger!“

„Es ist Schade um solche hübsche Leute, Duroc,“ fuhr der Kleine fort. „Die Aushebungscommissionen sind nicht aufmerksam, sie sind wohl gar bestechlich – man muß ihnen auf die Finger sehen – das Heer verliert durch solche Nachlässigkeiten die brauchbarsten Leute!“

„Befehlen Ew. Majestät, daß der Kellner in ein Voltigeurregiment trete?“ fragte Duroc, indem ein finsterer Zug seine Stirn umschattete.

„Nein, mein Freund, lassen Sie ihn, wo er ist, ich will Sie nicht verdrießlich machen, Duroc! Ha! wenn uns jetzt die Kaiserin sähe, Champagner trinkend und Rindfleisch essend wie zwei Pächter aus der Normandie.“ Der Kaiser rieb sich die Hände und lachte fröhlich vor sich hin.

„Wissen Sie, Duroc, daß der Champagner vortrefflich ist? Wahrhaftig! ich werde heute ausarten und noch einige Gläser trinken.“ Napoleon ergriff die Klingel und schellte dem Kellner.

Keiner von den Anwesenden hatte eine Ahnung, daß der Kaiser mit dem Großmarschall von Frankreich an einem bescheidenen Ecktischchen soupire. Napoleon war äußerst heiter, er neckte Duroc und lachte dabei aus vollem Herzen. Die zweite Flasche Champagner war endlich ziemlich geleert, der Kaiser stand auf und griff nach seiner Mütze.

„Duroc, bezahlen Sie!“

Der Großmarschall von Frankreich wurde außerordentlich verlegen. Er schob die Hände suchend in die Taschen und rief mit unterdrückter Verzweiflung: „Sir, ich habe die Börse vergessen!“

„Dann compromittiren wir uns,“ erwiederte der Kaiser unmuthig. „Sehen Sie wie Sie fertig werden!“

Duroc stand einige Augenblicke in voller Verlegenheit. „Sir,“ sagte er dann, „ich werde mit der Garnier reden!“

„Aber nicht das Incognito verrathen, mein Herr!“ befahl der Kaiser.

Madame Garnier saß in ihrem Büffet auf einem eleganten Lehnsessel, von wo aus sie den ganzen Salon übersehen konnte. Der Großmarschall näherte sich der Dame, und fragte kleinlaut: „Madame, mein Freund und ich haben ein Souper eingenommen, was ist dafür zu entrichten?“ – „François!“ rief die Dame, „dieser Herr wünscht zu zahlen!“

„Ich bitte um dreißig Franken, mein Herr!“ sagte der Kellner.

„Werden Sie mir wohl auf einige Stunden Credit geben?“ versetzte der Großmarschall. „Sowohl mein Freund wie auch ich haben die Börsen vergessen, und erst nach dem Souper diese Nachlässigkeit bemerkt.“

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verschiedene: Die Gartenlaube (1854). Ernst Keil, Leipzig 1854, Seite 80. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1854)_080.jpg&oldid=- (Version vom 26.12.2022)