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verschiedene: Die Gartenlaube (1854)

„Die sollst Du haben, und die schönste obendrein, mein Engel! Aber wir vergessen ja zu trinken – füllt Alle die Gläser, es lebe unsere kühne lustige Zunft!“

Jetzt begann eine Orgie, welche die Feder nicht schildern kann, und die bis zum anbrechenden Morgen dauerte. François war ruhig auf seinem harten Lager geblieben und erst als die Wirthin der Diebsspelunke auf den hereinbrechenden Tag aufmerksam machte, faßte der Sergeant den Jüngling beim Arme, um ihn wach zu rütteln.

„Hoho! Was wollt Ihr? Wer seid Ihr?“ rief François emporfahrend. „Wo bin ich denn? Auf den Dielen einer Stube – wie komme ich denn hierher?“

„Du hattest etwas zu tief in’s Glas geguckt, mein munterer Junge!“ lachte der Sergeant. „Na, das schadet nichts, bist ja ein Mann und ein hübscher obendrein!“

„Aber warum habt Ihr mich nicht zu Bett gebracht?“ sagte François. „Fürwahr, ich fühle meine Glieder kaum von dem harten Lager!“

„Dafür magst Du jetzt in’s Nest gehen, lustiger Gesell, und tüchtig ausschlafen. Nach einigen Stunden werde ich Dich aufwecken, um Dir Paris zu zeigen.“

„Wißt, Sergeant, mir wäre es lieber, ich könnte ein Stündchen in der frischen Morgenluft wandeln, hier ist es auch gar zu dumpf. Laßt mir das Haus öffnen, in einer Stunde bin ich wieder hier.“

„In Paris giebt es keine frische Morgenluft, mein Sohn. Lege Dich nur in’s Bett, und pflege einige Stunden der Ruhe, dann wollen wir einen Spaziergang machen und später bei Mutter Mabel zu Mittag speisen – ich habe die fette Gans schon gesehen, welche die ehrwürdige Frau heute auf die Tafel bringt!“

François wurde von Mutter Mabel in ein kleines Zimmer geführt, in dem ein Bett stand, und die Alte wünschte dem Jünglinge sanfte Ruhe, indem sie ihn zärtlich in die Wange knipp. François warf sich auf das Lager, aber kein Schlaf kam in seine Augen, das Verbrechen, welches in kommender Nacht begangen werden sollte, stand in schrecklichen Bildern vor seinem Geiste und er zerbrach sich den Kopf, was er beginnen solle, um die Raubmörder unschädlich zu machen. Daß der Sergeant ihn mißtrauisch beobachtete, hatte er wohl bemerkt, und ebenso war er überzeugt, daß ihn dieser auf einige Tage in der Spelunke festhalten und nicht aus den Augen lassen werde. Während er also sinnend auf dem Bette lag, fiel sein Blick aus ein breites Gesims, welches sich an der Wand hinzog, und mit alten Töpfen, Schachteln und sonstigem Geräthe bedeckt war, worunter sich auch ein zerbrochenes irdenes Schreibzeug befand. Hastig sprang François auf, nahm das Schreibzeug herab, erweichte durch einige Tropfen Wasser die vertrocknete Tinte und war so glücklich, nach einigem Suchen in einem alten Buche auch ein Blatt weißes Papier zu finden.

„Gott segne Dich, wackerer Pfarrherr, daß Du mich schreiben lehrtest!“ rief der Jüngling. „Durch diese Kunst werde ich mit des Himmels Hülfe im Stande sein, ein blutiges Verbrechen zu vereiteln und die Raubrotte in die Hände der Gerechtigkeit zu liefern.“ Dann schrieb er folgende Zeilen:

„In der heutigen Nacht werden Raubmörder in das Haus der Straße St. Honorè, welches die Nummer 27 trägt, einbrechen, um einen alten, reichen Herrn, der da allein mit seinem Diener wohnt, zu ermorden. Den Raub wollen sie um Mitternacht an einem Strick auf die Straße herablassen, wo ihn zwei Helfershelfer in Empfang nehmen und nach ihrer Diebshöhle bringen sollen.
François[1] Duprès aus Carillon,
zu erfragen im Hotel der Madame Garnier.“

François faltete das Papier, schob es in die Tasche, und nachdem er das Schreibzeug an seinen Ort gebracht, legte er sich vergnügt zur Ruhe und schlief sanft, bis er von dem Sergeanten geweckt wurde.

„Wach’ auf, Jüngelchen!“ rief der Gauner, „wir wollen einen kleinen Spaziergang machen, damit Du die Pariser Luft athmen lernst.“

„Wenn ich Euch bitten darf, Sergeant, so führt mich nach dem Hotel der Madame Garnier, ich habe große Sehnsucht, meinen Verwandten zu sehen,“ bat François.

„Dort sollst Du bald genug hinkommen, mein Sohn, aber ich habe Dich lieb gewonnen und wünsche Dir Gutes zu thun. Zweifle nicht, François, daß ich die ernstliche Absicht habe, Dich wohlhabend und glücklich zu machen, so daß Du vielleicht schon über’s Jahr Deine Alice heirathen kannst.“

„Ihr wollt mich glücklich und wohlhabend machen?“ fragte François, indem er den Sergeanten mit verstelltem Erstaunen anblickte.

„Warum nicht, Knabe? Ich kann mehr als Du glaubst. Willst Du mir in Allem, was ich Dir rathe, Folge leisten, so kannst Du sogar noch ein vornehmer Mann werden – doch davon reden wir später, jetzt folge mir, wir gehen nach der Straße St. Honorè, wo ich einen Auftrag zu besorgen habe.“

Das Aeußere des Sergeanten hatte sich seit gestern bedeutend verändert. Er trug eine schwarze, lockige Perrücke und über das Kinn herauf zog sich eine hohe Cravatte. Sein brauner Rock war mit goldübersponnenen Knöpfen besetzt und aus der Weste hing eine goldene Kette mit zwei großen Petschaften. In der rechten Hand führte der Gauner ein starkes, spanisches Rohr mit schwerem silbernen Knopfe.

An der Seite des Sergeanten durchwanderte François mehrere Straßen, bis ersterer vor einem Hause stehen blieb und die Klingel zog. Bald darauf tönte langsamer Fußtritt die Hausflur daher, und ein alter Diener öffnete die Thür. François bemerkte, daß das Haus die Nummer 27 trug; hier wohnten also die Opfer, welche in nächster Nacht unter den Händen der Raubmörder sterben sollten.

„Ist Herr d’Aligne zu sprechen?“ fragte der Gauner.

„Mein Herr ist ausgegangen, und überhaupt und selten des Vormittags in seiner Wohnung zu treffen. Wenn Sie mit ihm zu sprechen haben, werden Sie gut thun, des Abends herzukommen,“ antwortete der Diener.

„Das thut mir ungemein leid,“ sagte der Sergeant. „Ich habe Herrn d’Aligne eine höchst angenehme Botschaft zu bringen, von seiner Schwester in Poitiers, und glaube, es wird sehr spät werden, ehe ich Ihrem Herrn meinen Besuch abstatten kann. Wann pflegt Herr d’Aligne zur Ruhe zu gehen?“

„Bald nach zehn Uhr,“ erwiederte der Diener.

„Dann melden Sie meinen Besuch zwischen neun und zehn Uhr an, denn wie schon gesagt, ich brenne vor Verlangen, mich meines angenehmen Auftrags zu entledigen. Empfehlen Sie mich Ihrem Gebieter, mein Name ist Jean Mousson, Fabrikant aus Toulon!“

„Wie nanntet Ihr Euch dem Diener, Sergeant?“ fragte François, indem er dazu ein möglichst albernes Gesicht machte.

„Ich gab mir den Namen meiner Mutter, die eine Freundin des Herrn war, und so wird er gleich wissen, daß er einen erfreulichen Besuch zu erwartet hat.“

„Ha! sehen Sie, Sergeant, diesen herrlichen Laden mit den ausgewähltesten Delikatessen. Wer doch reich genug wäre, um sich hier einmal recht satt essen zu können!“

„Wir haben noch kein Frühstück genossen, François, laß uns hineingehen und iß, was Dir beliebt; natürlich als mein Gast. Unterwirf Dich meiner Leitung, und Du sollst bald Geld genug haben, um Dir täglich den Magen mit Delikatessen vollstopfen zu können. Folge mir, Knabe!“

Der listige François war entzückt. Er hatte zwei Offiziere in dem Laden bemerkt, und glaubte diesen sein Billet zustecken zu können. Der Sergeant verlangte eine Flasche Wein, und ließ das Beste auftragen, was da war.

„Iß mein Junge, es wird Dir schmecken!“ sagte der Sergeant, die Gläser füllend.

„Sieh da!“ rief einer der Offiziere, indem er seinen Kameraden ein Journal hinreichte, „da ist wieder ein Galeerensträfling, und zwar einer der gefährlichsten, entsprungen, nachdem er den Aufseher getödtet. Hier ist sein Signalement: Haar kurzgeschoren, Nase spitz, Gesicht hager, Statur lang, – na, der wird nicht weit kommen!“

François bemerkte, daß der Sergeant über die Aeußerung des Offiziers leicht erröthete und seinen Stuhl so rückte, daß er den beiden Soldaten den Rücken kehrte; alsdann aber fuhr er fort, behaglich zu speisen und rief nach einer zweiten Flasche. Als auch diese geleert war, zog der Gauner seine gefüllte Börse, und legte ein Goldstück auf den Tisch.

(Schluß folgt.)





  1. WS: Vorlage: Francois
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1854). Ernst Keil, Leipzig 1854, Seite 70. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1854)_070.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)