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verschiedene: Die Gartenlaube (1854)

mit dem Genever auf den Tisch zu stellen, da er bei seiner glücklichen Rückkunft die alten Freunde zu bewirthen gedenke.

„Aber, wo sind Grace, Jeanette und die andern Kanaillen?“ rief einer der Männer.

„Sie putzen sich noch, Blutauge!“ antwortete Mutter Mabel.

„Nun trink, François,“ sagte der Sergeant, indem er dem Jünglinge ein Glas Branntwein hinschob. „Erinnere Dich, daß Du in Paris bist, wo man ungenirter lebt, als auf Euern Dörfern. Stoßt an, Ihr Herren! Auf das Wohl unseres jungen Freundes, eines wackern Oekonomen aus Cardenon!“

„Carillon!“ verbesserte François.

„Oder Carillon, es thut nichts nur Sache,“ fuhr der Sergeant fort. „Aber austrinken müßt Ihr allesamt, ein schlechter Kerl, wer nicht sein Glas leert!“

„Er lebe hoch!“ schrieen die Männer; „aus! aus!“

Mit Mühe trank François den Branntwein, er fühlte, wie ihm das starke Getränk nach dem Kopfe stieg, aber der Sergeant füllte ihm wiederum das geleerte Glas.

Während die Männer dem Genever zusprachen, öffnete sich eine Fallthüre, welche an der Decke der Stube angebracht war, eine Leiter wurde herabgelassen und drei Frauenzimmer, häßlich wie das Laster, stiegen in das Zimmer nieder, laut begrüßt von den zechenden Männern.

„Komm hierher, holde Grace!“ rief Blutauge. „Lange schon habe ich nach Dir geschmachtet, aber Mutter Mabel sagte, Du hättest den letzten Rausch noch nicht ausgeschlafen.“

„Ich danke für Deine Aufmerksamkeit, Blutauge,“ entgegnete das Mädchen, „aber ich werde mich jetzt zu dem kleinen, schüchternen Fremdling setzen, welcher heut zum erstenmale in unserem Hotel wohnt. Mache Platz, hübscher Junge, die schöne Grace will an Deiner Seite sitzen, und wenn Du mir gefällst und mich im Rausche nicht, zu sehr mißhandelst, will ich Dich zu meinem Geliebten erheben.“

„Ich danke Ihnen, Mademoiselle,“ antwortete François erschrocken, „ich habe bereits eine Geliebte, ein kleines, schönes Mädchen, Alice Meunier heißt sie.“

„Schäm Dich, hübscher Landmann, Du bist ungalant, und zur Strafe für Deine Grobheit sollst Du mir einen Kuß geben; vorher aber uns ein Glas Genever auf das Gedeihen unserer jungen Liebe trinken!“

Mit diesen Worten ergriff Grace ein gefülltes Glas und leerte es mit einem Zuge. Der Sergeant zwang François ein Gleiches zu thun.

„Ha, ha, Ihr seid lustige Leute, Ihr Pariser,“ lachte der halbtrunkene Jüngling, „wenn mich Alice hier sähe oder der Herr Pfarrer! – Grace, laß ab, Du beißt mich ja in die Wange!“

„Immer setze ihm zu, Grace, damit er das Heimweh verliert. Trinkt flott, Kinder, Mutter Mabel mag noch eine zweite Flasche bringen,“ rief der Sergeant. „Halloh, Todtengräber, auf Dein Wohl, alter Maulwurf!“ –

„Wir freuen uns herzlich, Sergeant, daß Du wieder da bist. „Wenn doch ein Wettersturm alle Galeeren zertrümmerte, die der Teufel selbst erfunden hat. Weißt Du noch, wie wir die kleine, alte Frau in der Straße Bissiere – – es war ein schönes Geschäft!“ –

„Halte Deinen Mund, Todtengräber – solche Dinge muß man vergessen. Aber trink doch, François, komm her, Alice soll leben, das schönste Mädchen in Carillon!“

„Ich thue Bescheid, Sergeant, sie mag leben, das süße Kind!“ erwiederte der berauschte François, sein Glas austrinkend. „Ach Grace, wie häßlich bist Du, bei Gott, eine wahre Nachteule!“ –

Eine fürchterliche Ohrfeige war Grace’s Antwort, in deren Folge der junge Landmann vom Stuhle fiel und unter den Tisch rollte. Die Gesellschaft lachte, und Grace, nachdem sie ihren unhöflichen Nachbar noch einige Fußtritte versetzt, nahm neben Blutauge Platz.

„Ist der Bauer fertig?“ fragte halblaut der Sergeant.

„Er ist toll und voll!“ sagte der Todtengräber.

„Gut, so laßt ihn ruhig liegen,“ fuhr der Sergeant fort, „ich brauche mich jetzt seinethalben nicht zu geniren. Ihr wißt also, meine Freunde, daß ich gestern Nacht frisch und gesund in Paris angekommen bin, nachdem ich mich aus dem hölzernen Palaste in Toulon ohne Erlaubniß meiner Hüter entfernt hatte. Es gehörte Entschlossenheit dazu, Kinder, aus dem Bagno zu entkommen – aber es gelang. Wir wollen nun unsere Arbeiten wieder gemeinschaftlich beginnen, und damit Ihr seht, daß ich noch der Alte bin, so werden wir schon morgen Nacht ein Geschäft machen. Die Vorbereitungen sind bereits getroffen, ich habe blos noch einen kurzen Besuch zu thun, um mich von der Lebensweise eines reichen Dummkopfs zu unterrichten, und bald darauf können wir um Ducaten würfeln.“

„Du bist ein Juwel, Sergeant, und wir haben erst Deinen unersetzlichen Werth erkannt, als Du uns fehltest. Keine einzige Arbeit von Wichtigkeit kam zur Ausführung. Einige Uhren, seidene Tücher und magere Geldbörsen waren der Ertrag aller Bemühungen, so daß wir fast hungern mußten. Jetzt aber, wo der alte entschlossene Führer wieder an der Spitze steht, der wegen eines raschen Messerstichs oder der Anwendung einer guten Hanfschleife nicht große Bedenklichkeiten äußert, wird unser Geschäft wieder blühen, und unsere Finanzen werden eine günstige Umgestaltung erfahren,“ sagte der Todtengräber.

„Und wem werden wir einen Besuch abstatten, kommende Nacht?“ rief Blutauge.

„In der Straße St. Honorè wohnt ein alter, reicher Mann, einsam und zurückgezogen mit seinem Diener – aber der betrunkene Bauer da unterm Tische schläft doch auch wirklich?“ fragte der Sergeant.

„Er schläft süß!“ erwiederte Grace, indem sie François einen Fußtritt versetzte.

Der junge Bauer hatte zwar viel Branntwein getrunken, jedoch nicht soviel, daß er der Besinnung gänzlich beraubt gewesen wäre. Als ihn daher das aufgebrachte Mädchen mittelst einer heftigen Ohrfeige unter den Tisch warf, blieb er scheinbar vollkommen betrunken liegen, einmal um Grace’s ekelhaften Zärtlichkeiten auszuweichen, und dann auch um den Aufforderungen zum Trinken zu entgehen. Mit Entsetzen hörte er aus den Gesprächen der Gauner, in welche Gesellschaft er gerathen war, und einsehend, daß sein Leben von seiner Klugheit abhing, nahm er sich vor, die Rolle des Trunkenen fortzuspielen.

„Aber weshalb habt Ihr den Bauer hierhergebracht, Sergeant? Hat er Geld bei sich?“

„Das nicht, Blutauge, aber den Kerl können wir brauchen. Er soll als Kellner in dem Hotel der alten, reichen Madame Garnier angestellt werden. Können wir durch Wein und Mädchen den hübschen, unverdorbenen Jungen liederlich machen, wird er der Unsere, dann ist uns die schwere Geldcasse der alten Dame gewiß – bleibt er aber ein ehrlicher Bauerjunge, so werde ich, sein väterlicher Freund, bald Gelegenheit haben, das Haus und die Lebensweise der alten Garnier hinreichend kennen zu lernen, um die Dame der Sorge für ihre Reichthümer zu überheben. Mutter Mabel, ich mache Euch verantwortlich, daß nichts aus dem Bündel des Bauers entwendet werde, auch müßt Ihr ihm diese Nacht ein gutes Bett einräumen.“

„Alles wie Ihr wollt, Sergeant!“ krächzte die alte Wirthin.

„Nun hört also, Blutauge und Todtengräber, was ich für nächste Nacht bestimmt habe,“ fuhr der entsprungene Galeerensträfling fort. „Mit dem Schlage der Mitternacht seid Ihr in der Straße St. Honorè, vor dem Hause, welches mit der Nummer 27 bezeichnet ist. Ihr werdet auf unser bekanntes Zeichen herantreten und die Beute in Empfang nehmen, welche wir an einem Stricke aus dem Fenster herablassen. Während Leichenfinger und ich noch ein Weilchen in Kisten und Kästen herumstöbern, tragt Ihr das empfangene Gut zu Mutter Mabel. Das ist Euer Amt für die folgende Nacht; mit dem alten Herrn und seinem Diener werden der Leichenfinger und ich leicht fertig sein.“

„Dann wird aber der Leichenfinger einen größeren Antheil an der Beute haben, als wir!“ – brummte der Todtengräber.

„Allerdings,“ erwiederte der Sergeant, „dafür werden wir aber auch größere Gefahr ausstehen, denn ich glaube nicht, daß wir diesesmal ohne Schlinge und Messer fertig werden.“

„Der Sergeant hat Recht,“ rief Blutauge. „Was kommt es jetzt auf einige hundert Franken an, seit unser alter, kühner Führer zurückgekehrt ist. Die Zeit der Noth ist nun vorüber! Uebrigens braucht auch der Leichenfinger Geld, weil er eine seiner Töchter verheirathen will!“

„Versprichst Du mir eine neue Haube, Blutauge, wenn Ihr morgen glücklich seid?“ fragte Grace.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1854). Ernst Keil, Leipzig 1854, Seite 69. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1854)_069.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)