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verschiedene: Die Gartenlaube (1854)

„Warum nur der Spiegel- und Nähtisch sich nicht rühren wollten?“ frug der Pfeilertisch.

„Der arme Nähtisch ist taubstumm,“ sagte der Theetisch, „ich kannte seine Aeltern in Mittel-Amerika, eine muthwillige Axt hatte ihn frühzeitig verstümmelt und er ist jetzt auch, trotz des glänzenden Aeußern, durch und durch wurmstichig, und der Spiegeltisch darf nicht,“ flüsterte er dann dem Pfeilertisch unter die Platte, „der Spiegel hat ihn einmal unter dem Daumen und läßt ihm seinen freien Willen nicht; aber ich bin darum dem Spiegel nicht gram, er ist zwar grob, aber doch ehrlich, und sagt’s frei vom Quecksilber heraus, wie es ihm gerade vor das Glas kommt.“

„Das eben ärgert mich so an dem Glasschrank,“ erwiederte der Pfeilertisch, „die Mamsell möchte am liebsten allen Andern Sand in die Augen streuen. Was sie hat, rückt sie vorn zur Schau und mit dem Spiegelglas dahinter thut sie, als ob’s gerade noch einmal so viel wäre, und faßt man sie nur an, so klirrt und klappert die ganze Bescheerung.“

„Ich bin furchtbar angegriffen heut’ Abend,“ sagte der Theetisch und knarrte, „ich fürchte fast, ich habe mir Schaden gethan.“

„Das geschieht Dir ganz recht, mit Deiner albernen Aufregung,“ brummte der Spiegel, „s’ist ja zum Zerspringen, nur so etwas mit ansehen zu müssen.“

„Ach, wenn es nur erst wieder Abend wäre,“ seufzte aber der Theetisch, ohne ihn weiter einer Antwort zu würdigen, „daß ich die weiche Hand wieder auf meiner Fläche fühle. Schon als Baum draußen kannte ich solch ein süßes liebes braunes Kind, das lag auch so gern in meinem Schatten, und ich flüsterte ihm aus den Zweigen manch holdes Liebeswort herunter und streute ihm Blüthen und Blätter über Stirn und Schläfe, es ist aber nun lange todt,“ setzte er seufzend hinzu, „und Jahre lang vorher, ehe der gierige Zahn der Axt meinen Stamm angriff, gruben sie ihm ein Grab zwischen meinen Wurzeln. O, die liebe, liebe Zeit!“

„Pst, da kommt Jemand!“ flüsterte der Pfeilertisch, der ein sehr feines Gehör hatte, und die Geister der Meubeln horchten einen Augenblick und glitten dann schweigend unter ihr Fournier zurück; nur der Mond lag auf den blitzenden Flächen und warf breite wunderliche Schatten in das stille Gemach.

Da öffnete sich leise und vorsichtig die Thür, und Fanny steckte schüchtern und ängstlich den Kopf herein. Die Tische standen noch alle wie sie verlassen worden. Kein Laut ließ sich hören und unschlüssig blieb sie auf der Schwelle stehen. Es sah auch gar so still und unheimlich aus in dem weiten Raum, und kein Wunder war’s, wenn das arme Kind den Ort zu betreten fürchtete, der noch vor kurzer Zeit der Schauplatz so geheimnißvollen, unbegreiflichen Lebens und Schaffens gewesen. Es ist wahr, nichts Feindseliges, Drohendes oder Gefährliches ließ sich irgendwo entdecken. Dort stand noch derselbe Theetisch auf allen vier Beinen, wie jeder andere harmlose Tisch auf der weiten Gotteswelt und nur die krankhaft erhitzte Einbildungskraft eines tollen Menschenkindes wäre im Stande gewesen, Unheimliches aus der blanken polirten Fläche des Mahagoni herauszulesen – und doch, doch lag eben jenes unheimliche Schweigen, jene sprechende Stille über dem Gemach, die das Herz des jungen Mädchens ängstlich klopfen machte. Endlich aber bezwang sie doch das Grauen, das ihr fast unwillkürlich die Brust beengen wollte, und mehr fast noch eine Ueberraschung von außen fürchtend, warf sie scheu den Blick über die Schulter zurück, den weiten, düstern Gang entlang, den sie eben gekommen, und dann, als sie dort alles ruhig sah, heimlich und still in’s Zimmer schlüpfend, drückte sie vorsichtig und geräuschlos die Thür wieder hinter sich in’s Schloß.

Es war, als ob das arme Mädchen etwas Böses begangen, und doch schaute das von der Angst wohl etwas gebleichte aber liebe und freundliche Gesichtchen so vertrauungsvoll und unschuldig in das milde Licht des Mondes auf; man hätte ihm, nicht um’s Leben, etwas Unrechtes zutrauen können.

Jetzt schien sie sich auch endlich von ihrer ersten Befangenheit erholt zu haben, denn plötzlich blieb sie stehen, strich sich das dunkelbraune volle Haar aus der Stirn und ging dann mit festem Schritt gerade auf den in der Mitte des Zimmers stehenden ovalen Theetisch zu.

Hier aber war es, als ob aufs Neue eine gewaltige innere Bewegung sie ergriff; scheu und zitternd stand sie noch einen vollen Schritt von dem Tisch entfernt, und wagte nicht, ihn zu berühren.

„Ob er mir denn aber auch wohl Rede und Antwort stehen wird, wie dem Fräulein?“ flüsterte sie da leise und wie zweifelnd vor sich hin: „ob er mir sagen wird, um was ich ihn so gerne fragen möchte?“

Hui, wie das plötzlich knisterte und knatterte in dem Holz. Sie schaute erschreckt empor, um sich her – aber Alles war ruhig, und nur Täuschung gewesen.

„Das Holz hat sich gezogen,“ sagte sie leise, wie um sich zu beruhigen, vor sich hin, „aber ich wag’s,“ setzte sie dann etwas lauter und entschlossener hinzu, „ich wag’s, und wenn ich ihn recht fest halte und warm, wird er mir ja auch wohl Kunde geben von dem, was er weiß, was er wissen muß, – wie ja fast jeder Tisch jetzt im ganzen Haus; er muß reden.“

Mit den Worten fast trat sie dicht hinan zu dem Tisch und ihre beiden warmen Hände flach und fest auf den blitzenden Mahagoni pressend, daß ein zarter Hauch unter dem Rand der Hand fort über die Fläche schoß, wie sich die Eisblumen in Winterzeit an den Fenstern bilden, stand sie und schaute still und lautlos vor sich nieder.

Da begann es wieder. Still wie festgewurzelt noch stand der Tisch, aber wie zu dem warmen Körper gehörig, der sich ihm anschmiegte, bebte er, bis in seine innersten Poren, und wie knitternde Funken sog sich der schimmernde Glanz in das Mondlicht ein.

„O mein Gott!“ stöhnte das erschreckte Kind, und in sich zusammenbrechend, sank sie auf einen daneben stehenden Stuhl und breitete die Arme aus, auf deren rechtem ihr Haupt ruhte, und Brust und Arme berührten die Platte.

Da regte und hob es sich in dem Holz, da quoll und drängte es in jenem eigenen geheimnißvollen, wunderbaren Leben durch die trockenen Fasertheile des Tisches, und des Mädchens Augen blitzten jetzt lebendiger in dem freudigen. Bewußtsein, die Kraft zu haben über jenes wunderbare Wesen, das in dem leblosen Tische da schaffe und treibe und zu dem Menschen in seiner eignen Sprache redet.

„Und willst Du mir eine Frage beantworten?“ flüsterte sie, „willst Du mir Rede stehen, jetzt, wie dem Fräulein Anna?“

„Frage nicht, frage nicht!“ tönte und zitterte es da um sie her, „tollkühnes Menschenkind, frage nicht! Du bist unser, Du bist unser, und wenn Du es wagst, und wie Du uns jetzt drängst und umspannst, umsponnen wir Dich in dem engen Haus, und Du schläfst tief, tief hinein in den sonstigen Tag.“

„Wie ist mir denn nur, träume ich denn oder wach’ ich?“ rief da das Mädchen, „das ganze Zimmer wird lebendig und regt sich und räuspert und knistert, mir fängt’s an zu grausen.“

„Frage nicht, frage nicht!“ rief’s da mit mürrischem, warnendem Ton vom Secretair nieder, und dem erstaunten Mädchen kam es vor, als ob es sich auch dort oben regte und hob, und der kleine wunderliche Geist lief auf und ab auf seinem Sims und schüttelte seinen kleinen Kopf und die Frackschöße, und rückte mit der Brille und scharrte mit den winzigen Füßen. „frage nicht, Unsinn. Tisch ist trunken, hat den ganzen Abend gesogen und gesogen, bis er toll und voll war und sich drehen mußte, frage nicht.“

„Warne Dich, warne Dich, Kind,“ knarrte es von der Chiffonniere, „hab Acht, hab Acht, bist hier in unserm Bereich, warne Dich, warne Dich, hab Acht.“

„Trauen Sie dem Tisch nicht, Liebwertheste,“ wisperte es aus dem Glasschrank herüber, „er ist falsch, er ist falsch. lange schon hat er sich um mich gedreht, aber er lügt, er lügt.“

„S’ist doch merkwürdig, wie Einem das bloße Handauflegen so durch die Nerven zuckt,“ flüsterte das Mädchen, sich ängstlich dabei nach allen Seiten umschauend, „in den Armen und Fingerspitzen kitzelt’s und dehnt’s, und vor den Ohren summt mir’s wie menschliche Stimmen und Worte, wenn er sich nicht bald dreht, lauf ich davon; aber wahrhaftig, er fängt an, ich fühl’s, ich fühl’s, er regt sich schon, er kommt.“

„Frage nur, frage nur!“ zischte und wisperte es da um sie hin, vom Spieltisch und Pfeilertisch her, „frage nur, furchtsames Kind, die Zeit ist günstig, die Geister sind wach, und wir Alle dienen Dir, helfen Dir, frage nur.“

Der Tisch fing sich jetzt mehr und mehr an zu regen und zu

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