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verschiedene: Die Gartenlaube (1854)

Gestalt von kaum sechs Zoll Höhe auf der Platte säße, und das lockige Köpfchen gar schwermüthig in die Hand gestützt hielt.

„Und Sie haben ganz recht, Herr Secretair,“ sagte da die Chiffonniere, „das ist jetzt gerade zum Politur verlieren, was das seit den letzten sechs Wochen hier für eine Wirthschaft im Hause geworden“ – auf der Chiffonniere wurde eine runde winzige Frauengestalt in einem braunen Röckchen mit gelben Knöpfen, die an beiden Seiten wie Schubladenzieher saßen, sichtbar – „ich will nichts von mir selber sagen, ich weiß, zu welcher Klasse der Gesellschaft ich gehöre, und daß wir nicht „verrückt“ werden können, aber es ist auch schon ein Skandal, das nun in einem fort mit ansehen zu müssen, und der Schreibtisch sollte sich da alles Ernstes einmal hineinlegen und die alte Ordnung wieder herstellen.“

„Ganz Ihrer Meinung, Frau Base, ganz Ihrer Meinung,“ flüsterte der eine Rohrstuhl, der rechts neben ihr stand. „ich habe mich auch schon lange gewundert, daß der Herr Secretair, der so lange geduldig zugesehen hat, wie sie’s hier trieben und noch treiben; ich bin zwar nur ein Stuhl, aber die Galle ist mir wahrhaftig schon ein paar Mal übergelaufen, und ich genirte mich nur selber mit allen vier Beinen dagegen aufzutreten, so lange der Herr Secretair und die Frau Base zu dem ganzen Schwindel schwiegen.“

„Prosaische Gestelle!“ rief da endlich der Tisch, und das kleine Wesen sprang in der Erregung des Augenblicks empor, es war eine schlanke, zierliche Jünglingsgestalt mit braunem Teint wohl, aber lebendig blitzenden Augen und einem eigenen seelenvollen Ausdruck in den schönen, zartgeformten Zügen – „nüchterne Alltagsgebilde, die Ihr zürnt und grollt, daß die ertödtende Monotonie Eurer Existenz endlich einmal aufgerüttelt wurde zu That und Leben. Die Hand, die Euch hinsetzt, wohin es ihr beliebt, die Euch benutzt, wie sie es für gut findet, und Euch nur sauber und blank hält und vor Nässe oder Sonnenstrahlen bewahrt, duldet Ihr und lobt sie, lehnt Euch dann in starrem Hochmuth an die Tapete und blast aus allen Schlüssellöchern Eure Zufriedenheit heraus – aber dieselbe Hand, die Euch Gefühl und Seele geben will, die den Geist über Euch bringt, und Eure Poren mit zuckendem Leben füllt, die stoßt Ihr zurück, rümpft die Leisten und schreit über Revolution und Aufruhr.“

„Ei seht doch den Gelbschnabel,“ zürnte der Secretair, und auch auf ihm regte es sich, daß die dunklen Umrisse einer kleinen Figur in recht hochfahrender Stellung und mit sehr weißem Busenstreif und Manschette, mit Brille und Goldkette sichtbar wurden, „weil ihn jede neue Bewegung mit fortreißt, glaubt er sich das Recht herausnehmen zu dürfen über andere – vernünftigere Leute, die Gott sei Dank Gewicht in der Welt haben, loszuziehen, und ihnen am Ende gar vorzuwerfen, daß sie nicht auch seinen Tarantellewahnsinn theilen.“

„Das würde sich wohl von unser Einem schicken, wenn er mit den Beinen klopfte oder hinten ausscharrte,“ sagte die Chiffonniere.

„Ich bin überzeugt, ich bräche,“ lispelte der Glasschrank.

„Laß sie reden,“ wandte sich aber jetzt der Spieltisch, eine untersetzte breitkräftige Gestalt, zu seinem also plötzlich angegriffenen Kameraden, „sie verstehen uns doch nicht, wenn wir es ihnen auch erklären wollten, was für ein eigenes seliges Gefühl es ist, das neue kaum früher geahnte Wesen in sich überströmen zu fühlen, laß sie reden, sie sind doch nur arm, mit all ihrer Breite und Höhe, denn sie werden das nun und nimmer begreifen.“

„Ach geahnt hab’ ich es wohl schon in früherer Zeit,“ seufzte der Theetisch wieder, „wie eine Erinnerung an den alten rauschenden Wald ist es mir schon manchmal durch die Poren gezogen, wenn sie ihre Hand auf meine Fläche legte, oder ihr kleines Köpfchen sinnend gegen mich gelehnt, darin stützte.“

„Na nu bitte ich aber zu grüßen,“ knarrte ein dreiwinkliger Eckschrank, der sich zwischen zwei Blumentische eingezwängt hatte, und jedesmal, wenn er aufgemacht wurde, mit der linken Klappe – denn die rechte war festgeriegelt – nach den Epheuzweigen hinüberschlug, die an ihm hinaufranken wollten (er konnte die Blumen nicht leiden), „da möchte man ja wahrhaftig gleich aus dem Leime gehen über solchen Unsinn. Ich habe außerdem den schlechtesten Platz in der ganzen Gesellschaft und alle Klappen voll zu thun, das Schmarotzerzeug hier von mir abzuwehren, und dann auch noch solch ein langweiliges Geschmachte mit anhören zu müssen – es ist zum Verzweifeln.“

„Nein, die Arroganz ärgert mich nur, das Geschmachte möchte noch angehn,“ sagte die Chiffonniere, „ganz auf einmal klüger sein zu wollen als der Herr Secretair und selbst der Schreibtisch und andere ältere Stücken – der Schreibtisch hat doch eine Menge geheime Gefache und er sagt nichts; da sieht man’s, wie sich Leute zu verhalten haben, die etwas in der Welt gelten und auf ihre Würde zu sehen wissen.“

Jetzt nahm sich aber der Spieltisch wieder seines Nachbars an, denn dieser schien auf das Zanken der übrigen Meubeln gar nicht zu achten und wirklich ganz in seinem Schmerz versunken zu sein.

„Was Schreibtisch und Secretair,“ sagte er verächtlich, „leere Gefache sind’s, die er hat, höchstens mit der Weisheit Anderer gefüllt – der mag recht nützlich sein, etwas nachzuerzählen oder aufzubewahren, was man ihm aufgeschrieben hat, aber was um ihn her vorgeht und was in der Welt passirt, davon weiß er Nichts. Geht mir mit seinem gelehrten Meubel.“

„Das ist recht, der Grünschnabel muß auch sein Maul dabei verbrennen,“ sagte die Chiffonniere, „glaubt, weil er inwendig und auswendig polirt ist, sei er allein klug, aber die Fußbank selbst hat gelacht, wie Ihr Euch da im Kreise herumgedreht und geknarrt, geschnarrt und geklopft habt.“

„Als ob etwas daran läge, wenn eine Fußbank lacht,“ sagte der Spieltisch.

„Der Spieltisch thut jetzt auch so, als ob er prophezeihen könnte,“ ließ sich jetzt noch eine neue Stimme hören, „und dann verlangt er auch noch, daß man es glauben soll“ – es war der Spiegel, der über einem kleinen Säulentisch zwischen zwei Fenstern stand.

„Und hab’ ich Euch nicht den Beweis gegeben, daß ich es kann?“ rief der Spieltisch, ärgerlich zu ihm aufblickend.

„Ich habe gesehen, wie der eine Student gedrückt hat“ sagte der Spiegel.

„Wenn Du noch einmal solch eine Lüge weiter erzählst,“ brummte dieser aber, „so laufe ich das nächste Mal in Dich hinein.“

„Das ist die Art aller gemeinen Naturen, gleich mit Zerstörung zu droben,“ sagte der Glasschrank, „die Stärke thut’s freilich nicht; und wenn ich von Eisenblech wäre, ich würde keinem Schwächern drohen; alles Schwache ist edel.“

„Sein Sie nur ruhig, Jungfer Glasschrank,“ nahm aber hier ein kleines Pfeilertischchen die Partie des Spieltisches, „Ihr Edelmuth ist auch nicht so weit her, denn wie wir vor einem Jahr hier einzogen, und das Hausmädchen unten in der Flur eine arme entfernte Verwandte von Ihnen, die Stalllaterne, zu Ihnen hinsetzte, wollten Sie gar nichts von der wissen, und bließen sich so auf, daß zwei Scheiben sprangen.“

„Nun ich drehe mich nicht,“ sagte der Glasschrank.

„Ja, das glaub’ ich,“ lachte aber der kleine Pfeilertisch ein wenig boshaft zurück, „die Leute, bei denen der ganze Glanz und Flitter draußen sitzt – ich will auf Niemanden anspielen – und die hinten eben nur weißes Tannenholz haben, die drehen sich Alle nicht, so viel haben wir bis jetzt herausbekommen.“

„Es ist schändlich, einem sittsamen Frauenzimmer so etwas in’s Gesicht zu sagen,“ rief der Glasschrank.

„Sie sorgen wenigstens dafür, daß man nicht hinter Ihrem Rücken von Ihnen reden kann,“ sagte der Pfeilertisch.

„Laßt sie gehen,“ legte sich aber hier der Theetisch, der durch den Zank der Uebrigen erst auf den um ihn her immer lauter werdenden Lärm aufmerksam geworden war, in das Wort, „sie verstehen uns doch nicht, und es wäre deshalb auch vergeblich, ihnen das ganze Selige unserer Empfindung begreiflich machen zu wollen. Wir aber haben das Bewußtsein einer erstehenden Existenz in uns; nicht mehr nur die seelenlosen Träger der Lasten unserer Herren, sind wir plötzlich ihre Freunde, ihre Rathgeber geworden, von ihrer eigenen Kraft, ihrem Lebenstrieb theilen sie uns mit, die schon fast vertrockneten Poren saugen es gierig ein, und wir Geister des Waldes, die wir den liebgewordenen Aufenthalt unserer alten Stämme selbst dann nicht verlassen wollten, als wir niedergeworfen und verstümmelt in die Welt hinaus gestreut wurden, jauchzen in bebender Lust dem kaum mehr gehofften und doch o so heiß ersehnten neugewonnenen Dasein frisch und fröhlich entgegen“

„Es ist zum Verzweifeln.“ sagte der Secretair.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1854). Ernst Keil, Leipzig 1854, Seite 60. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1854)_060.jpg&oldid=- (Version vom 2.4.2020)