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verschiedene: Die Gartenlaube (1854)

No. 6. 1854.
Die Gartenlaube.
Illustrirtes Familienblatt. – Verantwortl. Redakteur Ferdinand Stolle.
Wöchentlich 1 bis 1 1/2 Bogen. Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 10 Ngr. zu beziehen.


Die neue Geisterwelt.

Eine Geschichte aus dem 19. Jahrhundert von Friedrich Gerstäcker.

Beim Maurermeister Brummhuber war Gesellschaft gewesen und es verstand sich von selbst, daß die Tische, als sie sonst ihre Dienste geleistet, und um ebenfalls etwas mit zur Unterhaltung beizutragen, sich drehen mußten zuletzt, wie es jetzt einmal Mode ist. Die Versuche mit den eben auftauchenden Klopfgeistern gelangen dabei so vollkommen, daß ein Theil der Gesellschaft, je mehr die Tische mit ihren Beinen klopften, desto mehr mit den Köpfen schüttelte und ein anderer Theil vor Staunen und innerem Grausen starr wirklich nicht wußte, was er sagen und denken sollte.

Nur einige junge Leute, besonders Anna, die Tochter vom Haus, die den schwersten Tisch blos zu berühren brauchte, um ihn ihrem Willen zu unterwerfen, waren übrigens wirklich aktiv bei dem ganzen Versuch geblieben, von dem alle Anderen bald als „störende Kräfte“ zurücktreten mußten.

Nur ein kleiner Spiegeltisch und ein Nähtisch ließen sich nicht, selbst durch sie, in Gang bringen, während dagegen ein schmaler, sehr elegant gearbeiteter Mahagoni-Theetisch mit einer Säule und vier unten auslaufenden Füßen ihrer leisesten Berührung auf unbegreifliche Weise folgte.

Die Aufregung der Gesellschaft stieg dadurch zu einem immer höhern Grad.

„Ich wollte, ich hätte jetzt den Geheimrath Nurnorden hier oben,“ rief der Maurermeister Brummhuber aus, „den könnten wir jetzt schön überführen mit seinem ewigen Schimpfen auf’s Tischrücken – aber wo’s Brei regnet, hat er gewiß keinen Löffel – jetzt könnt’ er sich überzeugen.“

Der Mann war ganz außer sich, so hatten ihn die unerwarteten Erfolge gepackt und er schwelgte in einem förmlichen Meer von unheimlicher Wonne.

Selbst die Dienstmädchen vergaßen fast Küche und Aufwartung, sich nur immer, wo sich die mindeste Gelegenheit bot, zur Thüre drängend, und Fanny, das Stubenmädchen, ein niedliches, blauäugiges Kind von siebzehn oder achtzehn Jahren, brannte ordentlich vor Verlangen, Theil mit nehmen zu dürfen an dem wunderlichen Spiel, und ihre Kraft zu versuchen an den Tischen. Aber das arme Mädchen durfte es nicht wagen, sich zwischen die Honoratioren zu drängen und nur verstohlen durfte sie zuschauen und sich mit hinanwünschen an den Tisch.

Bis um eilf Uhr etwa dauerte der Lärm, und wie die Leute endlich selber ermüdeten, schienen auch die Tische lässig zu werden und die Fragen lau zu beantworten. Hier und da brach schon Einer oder der Andere der Gäste nach Hause auf, und einmal begonnen, fanden bald Alle, daß es Zeit sei, zu Bette zu gehen.

Eine Viertelstunde später kam das Mädchen, das die Hausthüre hinter den Gästen geschlossen, langsam die Treppe herauf – unten auf dem ersten Absatz blieb sie stehen, setzte das Licht auf den Eckständer und zählte die Zwei- und Viergroschenstückchen, die sie eben eingenommen, schob, vorsichtig nach oben sehend, einen Theil in ihre Tasche, den Rest mit den Uebrigen zu theilen, und verschwand dann in der Küche, an die anschließend sich ihr Zimmer befand.




In dem großen, vor kaum einer halben Stunde noch so lebhaften Saale war es indessen gar still und öde geworden. Unordentlich standen noch die Tische und Stühle umher, wie sie von den Gästen verlassen worden – morgen früh mußte ja doch aufgeräumt werden, was sollte sich die Christel da noch heute Abend bemühen – nur der Mond stahl sich durch die nachlässig offen gelassenen Gardinen in den unheimlich öden Raum, und blitzte von der hellen Politur des Theetisches wider und blinzte nach dem breiten Spiegel hinüber, der ihm gerade gegenüber, über dem Sopha hing. –000000000000000000

„Ach,“ seufzte da eine leise feine Stimme, und sie klang klar und deutlich durch den ganzen Saal. Wohl eine halbe Stunde hatte tiefes, auch durch keinen Laut unterbrochenes Schweigen auf dem düstern Raum gelegen, und selbst dieser leise Seufzer schien sich zu scheuen, den fast unheimlichen Frieden zu stören, und stahl sich nach allen vier Ecken hinauf, einen heimlichen Schlupfwinkel zu finden und Niemandem ahnen zu lassen, daß er es gewesen, der eben solch einen entsetzlichen Spektakel in dem Heiligthum vollführt.

Alles war wieder ruhig geworden, und nur das regelmäßige Ticktack der großen Bronzeuhr und das leise Bohren eines Holzkäfers klangen durch die Nacht, und es war fast. als ob der Käfer nach dem Takt der Uhr seine Arbeit fortsetzte, so genau hielt er das Zeitmaaß nach den scharfen abgemessenen Tönen.

„Ach,“ tönte da noch einmal derselbe Seufzer, lauter fast als vorher, und der Ton kam augenscheinlich von dem schön polirten Theetisch her, der noch, wie ihn die Gesellschaft verlassen, mitten in der Stube stand.

„Na, was ist denn das für ein Gewinsel da drüben,“ brummte da plötzlich eine etwas derbere Stimme von dem Secretair herüber, „soll man denn heute Nacht auch nicht einen Augenblick Ruhe haben? Gebt’s jetzt einmal Frieden da unten!“

„Ach,“ seufzte es vom Tische aus wieder, dem Gebot zum Trotz, und im Mondenstrahl war es, als ob eine klare, wunderliche

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verschiedene: Die Gartenlaube (1854). Ernst Keil, Leipzig 1854, Seite 59. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1854)_059.jpg&oldid=- (Version vom 20.4.2020)