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verschiedene: Die Gartenlaube (1854)

In ihren Blicken spiegelt sich wechselnd Zorn und Freude, Entmuthigung und Hoffnung ab. Ein Hungernder kann nicht gieriger auf Brot warten, als sie auf die Berichte, welche ihnen von Minute zu Minute die Mäkler und Commis der Wechselagenten bringen. Dies ist die Frauenbörse.

Das Wetter mag sein, wie es will, sie sind da, mit immer entflammtem Gesicht, begehrlichen Augen, heftigen Geberden, aufgeregter Stimme. Die Sprache, die sie dabei sprechen, bewegt sich nicht immer in den Schranken strenger Etiquette. So wie der Mäkler sich an dem Eisengitter zeigt, bestürmen ihn hundert Fragen.

„Wie hoch die 41/2 Procentigen? Wie hoch die Dreiprocentigen? Wie Nordbahn? Haben Sie für mich verkauft?“

„Sie haben mir keinen Auftrag gegeben.“

„Wie? keinen Auftrag?“

„Gewiß nicht. Madame.“

„Ach. Sie schlechter Kerl!“

„Beruhigen Sie sich, Madame, ich werde auf der Stelle verkaufen.“

Ohne das ihn von seinen Kunden trennende Eisengitter würde der unglückliche Mäkler häufig in sehr unangenehme Verwickelungen gerathen. – So treibt es die Pariser Börse, dies ist das Spiel in dem, dem Gotte des Geldes geweihten Tempel, der zugleich das Handelsgericht in sich schließt. Der äußere Anblick des Börsenpalastes (s. das Bild) ist wahrhaft imposant. Bei 71 Metres Länge, hält er 49 Metres Breite; auf den vier Seiten erhebt sich in majestätischer Regelmäßigkeit eine Reihe stolzer korinthischer Säulen. Zu der Fronte des Palastes, der ganzen westlichen Seite entlang, führt eine Freitreppe von 16 Stufen, der den Anblick des Ganzen noch großartiger macht. Vier Statuen prangen an den Ecken des Eisengitters, mit welchem die Börse umgeben ist: die Gerechtigkeit, der Handel, die Industrie und der Ackerbau; … im Innern des großartigen Palastes haben aber andere Götter ihre Sitze aufgeschlagen.




Der neue Krystall-Palast in Sydenham bei London.

Die sieben alten Wunderwerke der Welt und die sieben alten Weisen Griechenlands bieten zusammen bei Weitem nicht so viel Wunder und Weisheit, als der einzige Krystall-Palast in Sydenham schon jetzt vor seiner Vollendung. Er enthält die Wissenschaften und Künste aller Zeiten und Nationen in lebendigen, wissenschaftlich geordneten körperlichen Bildern. Er ist eine Universal-Bibliothek in Gestalten, statt in Worten, und zugleich ein immerwährender kosmopolitischer Weltmarkt. Deutschland hat bereits für mehr als 1 Million Gulden Beiträge in Sculpturen, Bauwerken etc. geliefert. Unter den betreffenden Künstlern nennen wir nur Professor Rietschel in Dresden, Professor Schwanthaler, die Papiermaschee-Fabrik von C. W. Fleischmann in Nürnberg (welche z. B. eine vollständige Copie des Grabmals des heiligen Sebaldus, dieses größten mittelalterlichen Kunstwerks Deutschlands, das man bisher für unnachahmbar hielt, geliefert hat) eine große Masse Kunstwerke von Veit Stoß, das Denkmal Friedrichs des Großen in Berlin. Die Directoren des Kunst-Departements im Krystallpalaste, Digley Wyatt und Owen Jones, haben persönlich eine Reise durch Deutschland gemacht, um die besten und am Meisten charakteristischen Denkmäler der verschiedenen Kunstperioden auszuwählen und copiren zu lassen. Ueber 200 deutsche, französische und italienische Künstler sind seit Jahr und Tag im Krystall-Palaste thätig, um die Arten von Ausschmückung und Dekoration zu übernehmen, für welche die Engländer nicht Geschmack genug haben. – Abgesehen von der universellen, kosmopolitischen Bedeutung dieses neuen Tempels, der sich über die ganze Erde ausbreitenden Civilisation ist es also eine Art von persönlichem Interesse, welches Deutschland mit ihm näher verbinden mag.

Die Welt-Industrie-Ausstellung von 1851 war als erste Verdichtung der industriellen Intelligenz der ganzen Erde – als der erste Völker-Congreß auf dem Boden der Bildung – vielleicht das größte und segensreichste des Jahrhunderts, vielleicht auch in architektonischer Beziehung, denn auch das ungeheure Bauwerk, von Eisen und Glas gewoben, war ein Ereigniß. Das Parlament beschloß in aristokratischer Kurzsichtigkeit, dessen Zerstörung. Sofort erhob sich die ganze civilisirte Bevölkerung, „um ihr Vaterland von der Schmach zu retten, von welcher es durch den Verlust des herrlichen Baues bedroht war,“ und der Krystall-Palast erhob sich schöner, höher, majestätischer auf dem schönsten Hügel im Süden von London zu einem Zwecke, wie ihn die Welt bisher noch nie zu verfolgen gewagt hatte, und der doch mit einer Schnelligkeit und Sicherheit ausgeführt wird, wie er früher in Jahrhunderten nicht möglich gewesen wäre. Es vereinigen sich eben hier die ausgebildetsten künstlerischen und wissenschaftlichen, industriellen und technischen Kräfte aller Nationen zu dem Wunderbaue, der als der große Gegensatz des Thurmbaues von Babel angesehen werden kann.

Wir geben hier nur die nothwendigsten Thatsachen, wie sie zur Bildung eines vorläufigen, allgemeinen Begriffes von dem Baue und dessen Inhalte gehören mögen. Den 14. Mai 1852 bildete sich ein Verein zum Wiederaufbau und der architektonischen Vollendung des Krystall-Palastes zu einem dauernden kosmopolitischen Culturtempel unter dem Namen „Krystall-Palast-Compagnie.“ Schon nach 14 Tagen waren alle Actien abgesetzt und zwar auf den bestimmt dahin ausgesprochenen Zweck hin, „der Erziehung der großen Masse des Volkes und der Veredlung ihrer Erholungsgenüsse einen Universaltempel zu bauen.“

Der Park von Sydenham, etwa 11/4 deutsche Meilen südlich von London, auf dessen höchster Erhebung sich der Krystallpalast erhebt, bildet ein Parallelogramm von 300 Ackern, sich 1300 Fuß lang von der Brigthon-Eisenbahn hinziehend und sich nördlich bis 3000 Fuß ausbreitend. Hier ist der Krystall-Palast von London und viele Meilen weit von allen Seiten des Landes aus zu sehen und macht im Sonnenschein einen unbeschreiblichen, feenhaften Eindruck. Man wird sich die kühnsten Luftschlösser und Phantasie-Feenpaläste der Mährchen kaum so schön zu denken wagen. Der Zugang zu dem Krystall-Palaste wird durch drei Eisenbahnen und eine wunderschöne Landstraße vermittelt werden. Die eine Bahn hält unmittelbar unter einem großen Portikus des Gebäudes. Die neue Lage und der neue Zweck riefen architektonische Veränderungen hervor, die alle Fehler des alten zu Schönheiten erhoben. Der Neubau wurde um 240 Fuß verkürzt, um einen Totaleindruck für das Auge zu ermöglichen. Dabei stieg er um 44 Fuß höher, nämlich zu 194 im mittleren Hauptbogen (Transept), der die ungeheuere Spannung von 120 Fuß erreicht. An beiden Enden befinden sich zwei kleinere Transepte. Außerdem ist hier das ganze Dach gewölbt.[1]

Die Einförmigkeit im Innern des früheren Baues, die Wiederholung zweier Elemente, der Säule und Strebe, in gerader Linie ist jetzt durch alle 42 Fuß um 8 Fuß hervortretende Säulenpaare gehoben. Sie geben dem Auge Anhaltspunkte für die Maßverhältnisse. Das Hauptgebäude bedeckt mit den an beiden Seiten weit hinauslaufenden Flügeln 15 Acker Landes, welche terrassirte Gärten mit Springbrunnen (bis 200 Fuß Höhe) und Pflanzengruppen, wissenschaftlich geordnet, begrenzen. In diesen Gärten wird man außerdem viele Statuen, Wasserkünste, Tempel in ganz neuen Baustilen und in entsprechenden geologischen Formationen und Gebirgsbildern die lebensgroß ausgeführten vorsündfluthlichen Thiere“[2] finden. Der Winter ist hier auch außen durch immergrüne Baum- und Pflanzengruppen verwiesen. Zwei schlanke Glasthürme an beiden Endpunkten werden


  1. Die Maßverhältnisse sind genau folgende: größte Länge ohne die Flügel 1608 Fuß, größte Tiefe im mittlern Transept. 384 und der ganze überbaute Raum 542,592 Fuß oder 131/2 acres ohne die Flügel. Das große Dach erhebt sich 110 Fuß vom Parterre, unter welchem drei Stockwerke unter ein großes Gewölbe, in der Mitte die Heiz- Wasser- und Ableitungsröhren und unmittelbar unter dem Flur Erde für die Pflanzen etc. enthalten. Die größte Höhe im mittleren Transept (das Bild giebt blos die eine Hälfte des Ganzen) ist 194 Fuß. Der alte Krystallpalast bedeckte 19 acres und seine höchste Höhe betrug blos 108 Fuß.
  2. In einem derselben, dem Iguanodon, nahmen am 9. Januar 24 Künstler ein festliches Mittagsmahl ein.
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verschiedene: Die Gartenlaube (1854). Ernst Keil, Leipzig 1854, Seite 53. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1854)_053.jpg&oldid=- (Version vom 20.4.2020)