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verschiedene: Die Gartenlaube (1854)

die Waare dafür verkauft wird, was sie ist; und daß dies auch geschehe, irgend eine Sicherheit gegeben sei. Man erlasse uns hier Vorschläge dazu! Daß sich aber eine Fabrikation vor dem öffentlichen Verdachte hütet: Lumpenwolle zu verarbeiten, muß Jedermann billigen. Welche Wunden sind der deutschen Leinwandmanufaktur dadurch geschlagen worden, daß man Baumwolle unter die Leinwand mischte und es nicht sagte!

Die Vernichtung haben wir also besiegt in der Wolle. Es handelt sich jetzt um die Seide. Trotz unserem Geschick stehen wir darin den Chinesen nach. Diese kleben einzelne Lappen mit dem Firniß Sit-si wieder zu ganzen Stücken zusammen und bedrucken sie dann auf’s Neue.




Bilder aus dem Pariser Leben.

Von einem deutschen Arzte.
Die Morgue.

Wer von den Höhen des lateinischen Viertels herab und aus seinen schmutzigen, engen, dunklen Gassen an der Seine heraustritt, schreitet gewöhnlich unbekümmert um seine nächste Umgebung, die Blicke auf die graziösen, träumerischen Thürme von Notre-Dame geheftet, über die steil aufsteigende Brücke von St. Michel und weiß, an den ersten Häusern wieder angekommen, gewiß nicht, daß er an dem alten Marché neuf und an der Morgue vorbei, an einem, der schauerlichsten, seltsamsten und zugleich praktischesten „Institute“ neuer Polizei vorüber geeilt ist.

Er hat sich nicht gefragt, was das nicht allzugroße, dunkle, massive Häuschen vorstelle, das knapp am schmalen Seine-Arme angeklebt, wie die Wachthütte des Polizeipostens schweigend dasteht, gleichsam, die doppelte Reihe grüner Regenschirme commandirend, welche die ewigen Buden des Neumarktes repräsentiren. Er hat vielleicht nicht die großen Wunder von Paris bemerkt, die sich auf der Brücke unter seinen Blicken offenbarten, einen Pariser Schuhflicker, jetzt Mineralienhändler, der ohne Hammer und Löthrohr, ein Kind des Pariser Pflasters, die Wunder Gottes in den Steinen kennt und um zwei bis fünf Sous verkauft, klassifizirt, rubrizirt, etikettirt und putzt … oder der Mann mit den drei Schub langen besenartigen Haaren, der seine Pommade verkauft, oder den Kaninchenhändler, oder aber den Bajazzo, der täglich um vierzig Sous mehr Witz und Geist verschleudert, in Wind und Wetter und in dumme Ohren, als mancher Humorist, oder endlich die Schaaren der Neugierigen, die über die Brüstung der Brücke gelehnt stundenlang einem langweiligen Angler zusehen, der unten am Flusse sitzend, seinem Weibe entfloh.

Paris ist so reich an abwechselnden Unterhaltungen, daß selbst die überall gewesenen Menschen vor Wonne zerfließen, wie sollte man also Angesichts von Notre-Dame noch Zeit und Augen haben, auf All’ das zu achten, was die Brücke St. Michel und der Marché neuf enthalten! – – – Und doch steht hier die Morgue, jenes dunkle, massive Häuschen, nach welchem der Pariser zuerst eilt, noch bevor er sich bei der Polizei Raths erholt, wenn ihm ein theures Wesen, ein Bruder, eine Schwester, oder Vater oder Geliebter plötzlich verloren gegangen, der in das Gewirre der Stadt ging und nicht heim kehrte; das Häuschen, worin ein Theil von Paris vor Schauer nie den Fuß setzt und der andere, wie in’s Schauspielhaus täglich eilt, um sich gerade jene Dosis Schauer zu holen, der diesen nach Aufregung lechzenden Gemüthern zur nothwendigen Labung geworden ist.

Die Morgue ward an dem Arm der Seine in die arme Cité gesetzt, am Eingange vor den gleich armen Quartieren St. Jacques und Marceau, von denen es eben die Brücke St. Michel trennt, zwischen der Polizeipräfektur und ihren Gefängnissen, dem Justizpalaste und dem großen Spitale Hôtel-Dieu. Hier werden die Leichen oder die Leichentheile von Personen aufgenommen, deren Namen oder Familien unbekannt geblieben sind. Was man aus der Seine an unbekannten Körpern fischt oder in den Gassen, Cloaken und Spelunken der Stadt aufliest, alle Leichname von Menschen, welche Laster, Elend oder Verzweiflung oder der Mörderdolch aus der Welt geschafft und auf die Straße geworfen – sie kommen in diese Hallen, deren Wände schon Scenen des Jammers und des Wiedererkennens gesehen, wir kein anderes Gebäude der Erde.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1854). Ernst Keil, Leipzig 1854, Seite 43. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1854)_043.jpg&oldid=- (Version vom 20.4.2020)