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verschiedene: Die Gartenlaube (1854)

Kriege, wie die vornehmsten Familien des Landes, deren Häupter sich alle gleich zur Herrschaft berufen glauben und alle gleich lüstern darnach sind, die Nation in gewisse Unruhe versetzen und zu ihren verschiedenen Zwecken zu stimmen suchen. Von jenen Familien dienen die Einen russischen, Andere östreichischen Interessen; nur Wenige türkischen. Am zahlreichsten ist die Nationalpartei, welche jeden auswärtigen Einfluß bekämpft und ein durchaus freies unabhängiges Serbien will.

Bisher hat Serbien in dem Kampfe zwischen Rußland und der Türkei eine strenge Neutralität behauptet, obwohl von der einen wie andern Seite Manches versucht wurde, das Land in den ausgebrochenen Streit hineinzuziehen. Gelänge dies, so erschiene in diesem kriegerischen Volke, wo alle Männer Waffen tragen müssen, eine Streitmacht auf dem Kampfplatze, die schwer in die Waagschale des Krieges fallen würde.

Mit gespannter Erwartung sieht man jetzt in Belgrad der Veröffentlichung zweier großherrlichen Fermane entgegen, welche demnächst aus Konstantinopel eintreffen sollen, wenn dies nicht bereits geschehen ist. In dem einen Ferman soll Serbiens Verhältniß zu Rußland aufgehoben werden, das heißt, der Sultan erklärt darin, Serbien bedürfe des russischen Schutzes nicht mehr, da er in dem andern Ferman alle bisherigen Freiheiten Serbiens als Souverän bestätigt. Es wird durch den ersten Ferman Alles, worüber die Pforte bisher mit Rußland bezüglich Serbiens übereingekommen, aufgehoben, und das Fürstenthum hat hiermit unmittelbar und ausschließlich blos den Sultan als Oberherrn zu betrachten. In dem zweiten Ferman werden in Hinsicht auf die bisherige Treue und Anhänglichkeit den Serben auf’s Neue alle jene Freiheiten derselben bestätigt, in deren Besitze sie bisher waren, sie sollen in demselben alle aufgezählt sein. Da der Sultan nun Alles „aus eigener Gnade und Huld“ bestätigt, was er früher den Serben gewährt, so bedürfen sie jetzt keinerlei Schutzes mehr und keiner weitern Garantien.




Lebens- und Verkehrsbilder aus London.

Weihnachten in London.


Weihnachten! Es liegt eine Weihe in diesem Worte, die sich an kalten Tagen und öden Nächten warm über die ganze Christenheit ausbreitet mit Engelsfittigen, aber in London zunächst in der Gestalt von Preismastochsen und Falstaffs von Schweinen. Es ist eben ganz vollenglisch, daß in London die Weihnachtsfreuden mit der großen aristokratischen Thierschau in Bakerstreet anfangen, wo Lords und Herzöge (der von Richmond an der Spitze) über die lebendige Mastkunst, über die thatsächliche Fleisch-Poesie Englands, in der man Shakspeare und Milton längst überwunden hat, zu Gericht sitzen und den künstlerischsten Meistern animalischer Pädagogik goldene Preise zuerkannt werden. Diese Thierschau ist jedesmal ein nationales Fest, zu welchem die Omnibusse besondere Zettel drucken lassen und Mitglieder des Oberhauses mit Familie Hunderte von Meilen weit herkommen, damit die feinste, zarteste Hand der höchsten Lady gemeinschaftlich mit der fettigen, feisten Faust des Fleischers und Farmers das ehrwürdig in seinem Fette schlummernde Preisschwein liebkose und mit dem gekrönten Kurzhorn-Mastochsen verliebte Blicke wechsele. Doch „vorüber, ihr Schafe, vorüber!“ wir haben mehr zu sehen.

Die gekrönten Thiere sind unter einem periodischen Wahnsinnsfieber der Fleischer verkauft. Die von Falstaff persiflirte Ehre glüht unter der blauen Schürze des Thierschlächters eben so hoch, wie unter dem diamantenen Stern des Generals. Entschlossen, im bevorstehenden Carneval (das ist Weihnachten in London) eine Rolle zu spielen, kauft er für 150 Pfund ein Preis-Thier, das ihm, wie er sicher voraussieht, nicht mehr bringt als 75. Was schadet’s? Nicht blos die englische Flotte in der Türkei hat Ehrgefühl, auch Mr. Johnson oder Johnston zahlt mit Stolz 500 Thaler blos für die Freude, sein Licht, statt es unter einen Scheffel zu stellen, leuchten zu lassen vor seiner dicht mit Fleisch, Stechpalmen und Mistelzweigen behangenen Ladenthür auf einem, wenn nicht mit Blumen, so doch mit reinlichen Sägespähnen bestreuten Platze. Er weiß es wohl, was ein fetter Ochse den ausgebildetsten Fleischessern der Welt, den Engländern, ist. Seht, wie sie dort drängen um das ausgestellte Wunder, angethan mit bunten Bändern und Blumen, wie sie zu ihm wallfahrten in ungeheuern Massen, andächtiger, wie weiland die Griechen zu dem Zeus des Phidias oder die Kunstreisenden zur medicäischen Venus, wie sie das ehrwürdige Thier (ganz altägyptisch) ehrfurchtsvoll anstaunen und es hätscheln und liebkosen! Dort der musterhaft feine aristokratische Herr, der vielleicht vorgestern erst aus Italien zurückkam und 3 Minuten auf Raphael und 11/2 Minuten auf Tizian’s und Correggio’s blickte, was fesselt ihn hier mitten in der Kälte auf der Straße? Er studirt eine musterhafte Hinterkeule, wie sie dort hundertweise bis in’s zweite Stockwerk am Fleischerladen hangen, musterhafter und flammender beleuchtet, als der ganze Fackelzug zu Ehren eines deutschen Universitäts-Prorectors. Thierschau und Fleischschau sind die höchsten Freuden des Engländers und streiten sich nur mit den Genüssen Homerischen und Nibelungenschen Fleischvertilgens um den ersten Rang in seinem Herzen d. i. Magen. So nehmen auch die Geflügelhändler neben dem Fleischer die höchste Stellung ein und entwickeln um Weihnachten eine Ausstellungs-Manie, die man sehen muß, um daran zu glauben. Zunächst einen Blick auf die lebendigen Geflügelmärkte.

Seht dort den grünen Herrn im Jagdfrack. Herrscher von 50 oder 100 Enten um ihn herum, die er selbst lebendig aus der Provinz hereintrieb. Um sich ihrer Treue und Anhänglichkeit versichert zu halten, streut er dann und wann homöopathische Dosen von Gerste aus seiner Tasche unter sie, vielleicht in der Ueberzeugung jenes berühmten Staatsmannes, daß ein mäßig hungerndes Volk sich am Leichtesten regieren lasse. Seht, wie die unmäßig hungrigen Enten die ganze Welt um sich her vergessen und ihre breiten Schnäbel und kleinen runden Augen immer nach der homöopathischen Kornkammer ihres Staates richten! Und seht, was der Ernährer nun mit ihnen vornimmt. Er schlachtet sie ab je nach dem Wunsche des Käufers oder verkauft sie auch lebendig als Sklaven. Durch eine Seitenstraße, in welcher wir den millionenfach getretenen und zu Vogelleim geknetenen Schmutz der Hauptstraßen vermeiden wollten, kommt uns eine andere fleischliche Weihnachtsausstellung entgegen, eine unabsehbare Phalanx todtenstill watschelnder, von Unten bis Oben schmutziger, nach Luft gapsender Gänse. Unähnlich ihren berühmten Vorfahren auf dem Capitole von Rom wissen sie auch kein Sterbenswörtchen zu sagen. Ueber 15 Meilen müssen sie zurücklegen, um hier endlich den Weihnachtsfreuden zum Opfer zu fallen. Und dann wissen die Engländer noch nicht einmal eine Gans zu braten. Wollen Sie’s glauben, Fräulein, daß sie hier mit Salbei und Zwiebeln auf den Tisch gebracht werden? „Eene jute Jans is eene jute Jabe Jottes,“ sagt der Berliner, „aber man nich mit Bollen.“ Man kann Gänsebraten lieben, aber doch Thränen vergießen über das Schicksal dieser Zöglinge von Epping und der Hainault-Wälder, wo sie zu Tausenden für Weihnachten in London erzogen und dann auf dem Wege halb oder ganz todt getrieben werden. Der schmutzige, rohe Treiber hat seine Taille mit 8–10 Gänsen geschmückt, die unterwegs zu Tode gehetzt ihren Geist aufgaben, um vielleicht in einem der vielen Weihnachts-Gänse-Clubs (wo man 1/4 oder 1/2 Jahr lang wöchentlich einzahlt, um am „heiligen Abend“ um Gänse, Gin und dergleichen mit würfeln zu können) als Hauptgewinn zu paradiren.

Einen Blick in den nächsten Geflügelhändlerladen. Das ist kein Laden. Das ist ein durchaus buntbefiedertes Haus, ein einziger Riesenvogel. Mit scharfem Auge unterscheiden wir zwar die Composition, aber sie spottet wohl des besten Ornithologen. „Wer zählt die Völker, nennt die Namen, die gastlich hier zusammenkamen?“ Die Kraniche des Ibykus sind auch dabei und unzählige Bewohner des Sumpfes, Waldes und der Luft, alle nicht für die Küche, sondern blos zur Schau. Das Volk muß sehen, daß der dickste Mann in diesem befiederten Felsen alle Gattungen von Vögeln

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verschiedene: Die Gartenlaube (1854). Ernst Keil, Leipzig 1854, Seite 30. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1854)_030.jpg&oldid=- (Version vom 23.1.2021)