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verschiedene: Die Gartenlaube (1854)

Letztern kamen indeß zu spät an, denn als der Pulverdampf sich ein letztes Mal verzogen hatte, zeigte sich die englische Fregatte so übel zugerichtet, daß sie ihren ärmlichen Gegner, den sie anfangs so sehr verachtet hatte, weder nehmen, noch in Grund bohren, ja nicht einmal verfolgen konnte. Von den Küstenbatterien bedroht, welche schon zu feuern anfingen, mußte sie sich noch glücklich genug schätzen, das Weite gewinnen zu können. An ihrem Bord war jetzt Alles still und düster, die Siegesgesänge hatten aufgehört; dagegen ließ sich von der französischen Küste her ein lang anhaltendes Triumphgeschrei vernehmen.

Das Verdeck mit Blut überschwemmt und von Todten und Verwundeten bedeckt, die Segel zerfetzt, die Planken durchlöchert, so kehrte, von einem andern Schiffe in’s Schlepptau genommen, die tapfere Schaluppe in den Hafen zurück, wo sie von den Salven aller Batterien, dem Jubel der Bevölkerung, der Armee und der Flotte begrüßt wurde. Alle Fahrzeuge waren wie zu einem großen Feste beflaggt und bewimpelt. Alles gab sich der Freude hin. Jeder wollte dem muthigen Kommandanten der Schaluppe die Hand drücken und sein Lob erschallte von allen Seiten.

Es war ein förmlicher Triumphzug. Der leicht blessirte Kommandant schritt langsam durch die auf- und abwogende Menge, welche untereinander wetteiferte, ihm ihre Bewunderung zu bezeigen. Plötzlich machte der Zug Halt, ein Adjutant des Kaisers erschien, näherte sich dem wackern Offizier und sagte: „Der Admiral, gegen dessen Befehl Sie gehandelt baben, indem Sie die feindliche Fregatte allein angriffen, befiehlt Ihnen, sich in Haft zu begeben.“

Ein dumpfes mißfälliges Murmeln ließ sich bei diesen Worten in der Menge vernehmen.

„Se. Majestät jedoch, der Zeuge Ihres tapfern Benehmens gewesen,“ fuhr der Adjutant mit erhobener Stimme fort, „hat mir befohlen, Ihnen Ihre Ernennung zum Fregattenkapitän und Ritter der Ehrenlegion anzukündigen. Empfangen Sie hier, Herr Kapitän, das Kreuz von mir im Namen Seiner Majestät des Kaisers.“

Bei diesen Worten erhob sich stürmischer Beifall und das Jubelgeschrei: „Es lebe der Kaiser! Es lebe der tapfere Kapitän!“ wollte kein Ende nehmen. In diesem Augenblicke stürzte entblößten Hauptes und Thränen in den Augen ein Offizier herbei, ergriff mit Wärme die Hand des neuen Ritters der Ehrenlegion und rief in gepreßtem Tone:

„Ich habe Sie verkannt, Belmont, mein tapferer Kamerad, mein Waffenbruder! habe Sie beleidigt! Können Sie mir verzeihen?“

„Ich habe nichts zu verzeihen, Trelat,“ versetzte der Held erweicht, „und fühle mich glücklich, Ihre Achtung erworben zu haben, wie ich hoffe, eines Tages Ihre Freundschaft zu erwerben. Ihr Platz ist hier,“ fügte Belmont auf sein Herz zeigend hinzu, und die beiden kurz vorher noch bitter verfeindeten Offiziere sanken einander in die Arme. Es war eine Freundschaft für das übrige Leben geschlossen.




Einige Tage später führte Belmont den neuen Freund im Kreise seiner Familie ein, die aus seiner betagten Mutter, seiner Frau und sechs Kindern bestand. „Sie werden nun einräumen,“ wandte er sich an Trelat, „daß wenn man eine solche Familie hat und deren einzige Stütze ist, man sich nicht entschließen kann, sein Leben anders auf’s Spiel zu setzen, als zum Nutzen und Ruhme des Vaterlandes allein.“




Bilder aus dem Pariser Leben.

Von einem deutschen Arzte.
I.0 Eine deutsche Christnacht in einem Pariser Spital.


Paris ist so groß und die Noth ist noch größer, größer als Allah, wie die Türken sagen. Der Himmel scheint noch größer zu sein, wenigstens hat er uns die Hoffnung gegeben, an ihm nicht zu verzweifeln.

Das sagte mir mein Freund Destouches, den ich am 23. Dezember 1852 abzulösen kam. Ermüdet von den vierundzwanzig Stunden seines Spitaldienstes, melancholisch von Natur, ernst aus seiner jungen Erfahrung, hatte dieser junge großherzige Franzose, ein Berrois wie man die Leute aus der Berry nennt, seine Spitalschürze an den Nagel gehängt, wo seine Hoffnungen auf’s Besserwerden hingen und nur das nöthige Gedächtniß behalten, um mich über die Ereignisse des Tages zu unterrichten, und damit seinem peinlichen Posten Lebewohl zu sagen.

„Gott weiß, wie es kommt,“ rief er am Schlusse seines ärztlichen Berichtes aus, „ich habe mich nur damit getröstet, daß Du kommst; da liegen fünf deutsche Weiber, die mir mit ihrem Heimweh das Ohr zerrissen haben; Du wirst sie wenigstens verstehn und ihnen einige Worte des Trostes sagen. Ich bin mit meiner Kunst zu Ende, alle fangen mir an, an der Schulter zu leiden, und das Kindbettfieber scheint im Ernst von ihnen Besitz ergriffen zu haben. Warum predigst Du uns auch nicht jeden Tag eine Stunde über Eure verdammten deutschen Sitten und Gebräuche? sie reden mir seit heut Morgen in Einem fort von Kristnakt! Kristnakt! Kristnakt! Meine deutschen Sprachkenntnisse gehen nur bis zu den zusammengesetzten deutschen Zeitwörtern und da habe ich keine Silbe von diesem Worte gehört, das Einem die Zunge platt abbricht.“

Er drückte mir die Hand und ging. An der Thür drehte er sich noch einmal um und rief: „Du mußt mir ernstlich deutsche Lectionen geben; ich komme nicht mehr fort; diese Weiber mit ihrer Kristnakt haben mir das Herz im Leibe umgedreht und ich stehe da, wie das Kalb Mosis.“

Im Krankensaale herrscht die lautlose Stille einer Nacht, wenn die Vorschriften des Arztes wörtlich befolgt worden sind und zufälligerweise keine menschliche Seele in Angst und Pein athmet oder keucht. Die Uhr des weitläufigen Gebäudes hatte zehn Uhr geschlagen, als ich dem Portier seinen guten Abend erwiederte. Das zufallende Thor hatte die lärmenden Wagen wie abgeschnitten und der Schrei des Zündhölzchen-Verkäufers auf der Gasse war verhallt, als ich über die mattbeleuchteten Stiegen emporstieg.

Die Ordensschwester war am andern Ende des Saales offenbar in ihren sanftesten Schlaf versunken und die Krankenwärterinnen schienen im Bewußtsein ihrer gethanen Pflicht in ihre Nebenzellen verloren zu sein. Ich putzte die mächtige Nachtlampe und warf meinen durchnäßten Ueberrock in einen Winkel. Dann horchte ich auf den Athem meiner Kranken, die in ihren von weißen Vorhängen verhüllten Betten wie lauter lebende Räthsel der menschlichen Weisheit mit sich selbst zu berathen schienen.

Im Saale selbst und in den kleinen Nebenzimmern befanden sich eben etwa einhundert und zwanzig Weiber, die, vor Kurzem entbunden, noch die Folgen duldeten, die ihnen der Engel im Paradiese angekündigt hatte, als er ihnen prophezeite, daß sie mit Schmerzen ihre Kinder gebären würden: er hat ihnen nichts von den Seufzern vorausgesagt, die sie nach der Geburt ausstoßen würden. Die meisten dieser Weiber schienen sich mit ihren Kindern über diesen medizinischen Gedächtnißfehler des Engels zu trösten und die Uebrigen, denen die Schmerzen der Geburt diesen Trost nicht gelassen hatten, mochten nicht mehr Lust genug haben, über sich selbst nachzudenken.

So verging eine halbe Stunde; ich saß im alten Lehnsessel und brütete über einen alten Spruch, der die Weiber hochpreist; die Ordensschwester begann leise zu schnarchen.

„Her! hustete es aus einem weißen Bettvorhange hervor.

„Sie schlafen noch nicht?“ antwortete ich auf französisch und sehr leise.

Die Angeredete antwortete nicht.

„Also Sie haben todtgeboren?“ fuhr ich deutsch fort.

„Ja!“ erwiederte die Frau mit Berliner Accent.

„Sie denken an die Christnacht, die daheim hereinbricht?“

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verschiedene: Die Gartenlaube (1854). Ernst Keil, Leipzig 1854, Seite 27. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1854)_027.jpg&oldid=- (Version vom 19.4.2020)