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glaubte. „Besser ein festes Herz und eine ungeschickte Hand als ein sicheres Auge und eine feige Seele. Und nur ein Feigling kann bei so vielen Vortheilen, die er über mich hat, zurückweichen. Verweigert er, sich mit mir zu schlagen, so muß er aus dem Corps gestoßen werden, dem anzugehören er unwürdig ist, denn Feiglinge dürfen wir unter uns nicht dulden.“

„Was das anbelangt,“ nahm ein Vierter das Wort, „so bin ich nicht ganz derselben Meinung, das heißt, ich bin von seiner Feigheit nicht so ganz überzeugt, wie Sie es scheinen, denn sein ganzes Auftreten verrieth doch den beherzten und entschlossenen Mann.“

„Lieutenant Belmont ist ein tapferer und unerschrockener Seemann,“ ließ sich ein Schiffsaspirant erster Klasse voller Eifer vernehmen, und erzählte als Beleg für seine Behauptung eine Scene, der er während eines Sturmes am Vorgebirge der guten Hoffnung mit beigewohnt, und wo der Kapitän, zur Rettung des von unvermeidlichem Untergange bedrohten Schiffes, einen freiwilligen Mann aufgerufen hatte, um hoch oben am Hauptmast ein Segel loszuhauen. Niemand hatte dem Aufrufe Folge zu leisten gewagt, als plötzlich Lieutenant Belmont, mit einem Beile in der Hand, das Tauwerk hinangeklettert war und mit einem kräftigen Hiebe das Segel heruntergehauen und so das Schiff gerettet hatte.

Die Zuhörer konnten sich nicht enthalten, ihre Bewunderung über diese muthige That auszusprechen.

„O, ich könnte Ihnen noch lange von seinen wackern und edeln Thaten erzählen,“ fuhr der Aspirant fort. „So fiel ein anderes Mal ein Matrose in’s Meer; Belmont stürzt sich ihm schnell nach und trotz der hochgehenden Wogen und dem schnellen Laufe des Schiffs hält er mit seinem nervigen Arm den Mann, der ohne seinen großmüthigen Beistand ertrunken wäre, während einer Viertelstunde empor, bis Beide vom Schiff aus gerettet wurden.

„Das ist wacker, sehr wacker!“ riefen die Offiziere von Neuem.

„Sie sehen daraus,“ schloß der Erzähler, „daß Belmont nicht den Tod fürchtet, und daß er folglich auch kein Feigling ist.“

„Am Unangenehmsten ist,“ meinte einer der Marineoffiziere, „daß der Auftritt in Gegenwart von Offizieren vorgefallen ist, die nicht zu unserm Corps gehören. Wären wir unter uns gewesen, so könnte sich die Sache beilegen lassen, allein so ist es nicht wohl möglich. Welche Meinung würde man von uns haben?!“

„Das wollen wir gleich sehen,“ versetzte der Aspirant, indem er eine Gruppe von Infanterieoffizieren, die sich in einiger Entfernung unterhielt, scharf musterte und dazu mit lauter Stimme rief: „Es giebt keine Feiglinge in der Marine, und ich bin bereit gegen Jeden, der das Gegentheil zu behaupten wagt, dafür einzustehen.“

„Warum aber,“ meinte Trelat, der diese unmittelbare Herausforderung unbeantwortet bleiben sah und das unterbrochene Gespräch wieder anknüpfen wollte, „warum aber hat Belmont mein Cartel abgelehnt?“

„Das begreife auch ich nicht,“ gab der Lobredner des Lieutenants zur Antwort. „Ich gestehe, daß sein Benehmen sonderbar ist; es muß jedoch ein Geheimniß darunter stecken, das ich nicht zu erklären weiß, das uns aber vielleicht die Zukunft enthüllen wird.“

„Ja, es ist dies auffallend, unerklärlich!“ wiederholte man von allen Seiten, und wenige Augenblicke darnach trennte sich die Gesellschaft.

Trelat kehrte nachdenkend in seine Wohnung zurück und war, vielleicht zum ersten Male in seinem Leben, mit sich selbst unzufrieden; er bedauerte den Vorfall mit Lieutenant Belmont.


II.

Mit dem ersten Grauen des folgenden Morgens wurde die Stadt, die Flotte und beide Lager plötzlich durch einen vom Hafendamm aus gelösten Kanonenschuß geweckt. Man signalisirte eine Abtheilung von Handelsschiffen, welche unter dem Schutze der Nacht den Hafen zu gewinnen versucht hatten, und denen jetzt eine feindliche Fregatte und mehrere andere kleinere Schiffe den Weg versperrten. Der Admiral befahl sogleich einer Division der Flotille, dem bedrohten Convoi in Masse zu Hülfe zu eilen, und gleich darauf sah man eine der Kanonierschaluppen, welche hart am Eingang der Rhede vor Anker lag, ihre Ankertaue abhauen, alle Segel einsetzen und auf die feindliche Fregatte lossteuern, um allein den Kampf zu beginnen, obwohl der Admiral dies ausdrücklich verboten. Der die Schaluppe befehligende Offizier täuschte sich nicht über seine Lage, und verhehlte sich weder das Verwegene seines Unternehmens, noch den voraussichtlichen Ausgang des ungleichen Kampfes, in welchen er sich einließ. Keine Illusion war in dieser Beziehung zulässig, allein er war entschlossen, die sich selbst gestellte Aufgabe auszuführen, nämlich die Fregatte zu beunruhigen, wenn möglich aufzuhalten und sich nöthigenfalls in den Grund bohren zu lassen, um das Convoi zu retten. Der über solche Kühnheit erstaunten Mannschaft gab er seinen Entschluß gleich dadurch zu erkennen, daß er seine Flagge am Maste festnageln ließ.

Es war ein eben so großartiges als trauriges Schauspiel, diese armselige Schaluppe zu sehen, wie sie sich mit ihrem furchtbaren Gegner zu messen versuchte, wie ihr Kommandant mit eben so viel Geschick und Kaltblütigkeit als Glück den Zusammenstoß mit diesem Koloß vermied, der ihn beim geringsten Anprall unfehlbar zertrümmert haben würde, und eben deshalb verschmähte, von seiner Artillerie einem so schwachen Gegner gegenüber Gebrauch zu machen. Die englische Fregatte suchte einfach die französische Schaluppe über den Haufen zu fahren, während die auf ihr befindlichen dreihundert Matrosen den Nationalgesang anstimmten: „Rule Britannia, rule the waves!“ worunter sich der Ruf mischte: „Nieder mit Eurer Flagge, französische Hunde!“ Die Franzosen antworteten hierauf nur mit dem Rufe: „Tod den Engländern! Tod den Engländern!“

Mittlerweile feuerte die Schaluppe einen glücklichen Schuß ab, der einige Mann auf dem Vorderdeck der Fregatte tödtete, worauf diese mit einigen Kugeln antwortete, in der Hoffnung, daß dieses hinreichend sein würde, das französische Fahrzeug zum Beilegen zu zwingen. Allein die Engländer hatten die Zeche ohne den Wirth gemacht, die dreifarbige Flagge wehte nach wie vor hoch und stolz in der Luft. Der englische Kapitän, Wuth und Rache schnaubend, ließ jetzt sein volles Feuer auf die verwegene Schaluppe spielen, die wie in einen Vulkan eingehüllt, unter Blitzen und Flammen begraben erschien.

Eine zahllose Menge von Zuschauern war an den Meeresstrand herbeigeeilt, um diesem gewaltigen Schauspiel beizuwohnen. Furcht, Mitleid, Stolz, tausend verschiedene Gefühle spiegelten sich wechselsweise in allen Gesichtern ab, und während der Donner der Geschütze dumpf widerhallend von Woge zu Woge bis an die Küste getragen wurde, schlugen die Herzen von Tausenden von Franzosen in fieberhafter Spannung. Bei jeder Ladung der Fregatte bebte die bestürzte Menge ängstlich zusammen, so sehr fürchtete man und hatte die schmerzliche Gewißheit, die kleine Schaluppe auf immer unter dem Feuer des Engländers verschwinden zu sehen.

Von Zeit zu Zeit donnerte vom Ufer aus zur Ermuthigung ein: „Es lebe der Kaiser! Es lebe Frankreich!“ zum Himmel, das jedoch nicht bis zu der Schaluppe drang, die aber immer wieder aus Rauch und Flammen empor tauchte, hoch oben die stolz flatternde Flagge.

Bald aber machte die Furcht dem Staunen Platz, als plötzlich die Fregatte ihr Feuer einstellte, obwohl die Schaluppe sich nicht ergeben hatte, da sie auf ihren Gegner fortfuhr zu feuern, und zwar in einer Stellung, wo sie von dessen furchtbaren Ladungen nicht getroffen werden konnte. Das Räthsel war bald gelöst. Die Fregatte konnte wegen gänzlicher Windstille nicht mehr manövriren, dafür setzte sie nun aber alle Boote mit den besten Leuten aus, um das ärmliche Fahrzeug, das ihr zu widerstehen wagte, zu entern und so dem Kampfe mit einem Schlage ein Ende zu machen. Doch auch jetzt noch täuschten sich die Engländer in ihrer Erwartung, da sie es mit einem Gegner zu thun hatten, der eher unterzugehen als die Flagge zu streichen geschworen hatte.

Dreimal versuchten die englischen Boote die Schaluppe zu entern, allein dreimal wurden sie zurückgeschlagen und das mörderische Feuer der Franzosen zwang sie zuletzt, mit dem Verlust der Hälfte ihrer Mannschaft, an Bord der Fregatte zurückzukehren. Wenige Augenblicke darnach begann die Kanonade mit erneuerter Heftigkeit.

In derselben Zeit waren die übrigen französischen Kanonierschaluppen nicht müssig geblieben. Die Einen hatten die kleinern englischen Schiffe angegriffen, das Einlaufen des Convoi beschützt; die Andern eilten zum Beistand ihrer Kameraden herbei. Die

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verschiedene: Die Gartenlaube (1854). Ernst Keil, Leipzig 1854, Seite 26. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1854)_026.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)