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verschiedene: Die Gartenlaube (1854)

No. 3. 1854.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Verantwortl. Redakteur Ferdinand Stolle.

Wöchentlich 1 bis 1 1/2 Bogen. Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 10 Ngr. zu beziehen.


Falsche Ehre.

I.

Es war zu Boulogne im Jahre 1804, als Napoleon der Onkel, der mit den Engländern auf weniger freundschaftlichem Fuße stand denn Napoleon der Neffe, allen Ernstes die Küsten seines stolzen Gegners mit einer Landung zu bedrohen schien. Der Hafen von Boulogne war mit zu einer solchen Expedition tauglichen Schiffen überfüllt, und eine zahlreiche und kriegslustige Armee erwartete sehnsüchtig das Zeichen zur Einschiffung. Daß dieses nie gegeben werden würde, ahnte damals noch Niemand, die Unthätigkeit aber, zu welcher sich die muthigen Krieger verurtheilt sahen, zog den Uebelstand nach sich, daß es unter ihnen selbst mehr als sonst zu Händeln kam. Die in den Kaffee- und Weinhäusern zugebrachte müssige Zeit gab dazu mancherlei Veranlassung.

Unter den Offizieren, welche dergestalt in ein feindliches Verhältniß geriethen, befanden sich auch zwei zur Marine gehörige: Lieutenant Belmont und Fähndrich Trelat. Der Erstere, von sanftem, ruhigem Charakter und schon reifern Alters, hatte mehrere kriegerische Expeditionen mitgemacht und verdankte einzig seinen Talenten und geleisteten Diensten den Grad, den er bekleidete. Der Andere, um mehrere Jahre jünger, war weniger besonnen und dafür um so viel hitziger; auch hatte er seine Beförderung nicht ganz ausschließlich seinen Verdiensten zu verdanken.

Diese beiden Männer von so verschiedenem Charakter, zwischen denen im Dienste nicht einmal eine unmittelbare Berührung stattfand, waren zu bittern Feinden geworden, ohne sich selbst recht des Ursprungs ihres Zwistes bewußt zu sein; ihn fortwährend zu nähren, sorgte aber die Rücksichtslosigkeit Trelat’s durch peinigende Scenen dafür.

Das gehässige Benehmen Trelat’s ging dabei eines Tages im Kaffeehause so weit, daß er seinen ältern Kamerad und Vorgesetzten im Grade nicht nur beleidigte, sondern, mit Hintansetzung aller Schicklichkeit, ihn sogar öffentlich forderte und ihn bei Nichtannahme seiner Forderung als Feigling zu betrachten drohte.

„Man hat mir,“ versetzte der Lieutenant kalt, der dem heißblütigen Fähndrich gegenüber seine Ruhe bewahrte, „die Waffen nicht gegeben, um sie gegen meine Kameraden und Landsleute zu gebrauchen; daß ich aber Muth besitze, wird man wissen, ohne daß ich neue Proben davon ablege. Auch habe ich keine Lust, Ihrer Carrière, Herr Fähndrich, durch einen Degenstich ein frühen Ende zu machen, wo Sie vielleicht bald eine bessere und rühmlichere Gelegenheit zum Tode finden, und eben so wenig bin ich geneigt, mein eigenen Leben in einem persönlichen und durchaus grundlosen Streite auszusetzen, bei welchem weder der Eine noch der Andere von uns Ehre erwerben kann. Mein Blut gehört dem Vaterlande, und nur für dieses werde ich es freiwillig vergießen.“

So vernünftig und würdevoll auch diese Weigerung ausgedrückt war, so konnte sie doch unmöglich von Leuten begriffen werden, welche mit dem traurigen Vorurtheil aufgewachsen waren, daß eine Beleidigung nur durch Blut abgewaschen werden kann. Die Antwort des Lieutenants wurde daher mit mißbilligendem Murmeln aufgenommen und Trelat’s Aufregung zumal erreichte den höchsten Grad.

„Ich bewillige Ihnen,“ rief er seinem Gegner zu, „vierundzwanzig Stunden Zeit zur Ueberlegung, und wenn Sie mir nach dieser Frist nicht die verlangte Genugthuung gegeben haben, so werde ich Ihnen allüberall, wo ich Sie treffe, den letzten Schimpf zufügen, der einem Manne und zumal einem Militär widerfahren kann.“

Bei diesen Worten überzog sich das Gesicht Belmont’s mit tödtlicher Blässe, seine Lippen zitterten krampfhaft und die Hand an den Degen legend, rief er mit bebender Stimme: „Thun Sie das nicht! Thun Sie das nicht! denn ich würde Sie tödten und wir wären Beide unglücklich. Ich würde Sie tödten!“ wiederholte er, diese Worte dumpf betonend, während seine Augen düster dazu flammten. „Ich würde Jeden tödten, der die Hand gegen mich zu erheben wagen sollte. Sie Alle haben es gehört,“ fuhr Belmont mit wilder Stimme fort, indem er sein Auge langsam und fest über die zahlreichen Zeugen dieser sonderbaren Scene schweifen ließ; „ich schwöre bei Gott, daß, wenn Herr Trelat seine Drohung verwirklicht, ich die meinige verwirkliche, und dann… falle das vergossene Blut auf sein Haupt.“

Mit diesen Worten entfernte sich Belmont, die erstaunten Anwesenden in tiefem und langem Schweigen zurücklassend.

„Dies ist sonderbar,“ hob endlich ein Schiffslieutenant an; „dieser Mann, dessen Kamerad zu sein ich erröthe, entehrt die Offiziersepaulette, und doch wundert mich sein Betragen um so mehr, als ich weiß, daß er das Pistol gleich geschickt handhabt wie den Degen, und es sehr schwer sein würde, ihm mit der Waffe beizukommen.“

„Er trifft eine Schwalbe im Fluge,“ bemerkte ein Anderer.

„Sie können von Glück sagen,“ fügte ein Dritter, sich an Trelat wendend, hinzu, „daß er Ihre Forderung nicht angenommen hat, denn nach Allem was man hört, ist einem solchen Gegner bös Gegenüberstehen.“

„Das ist ganz gleich,“ versetzte der aufgeregte Fähndrich, dessen Eigenliebe durch die letztgemachte Bemerkung erst recht verwundet wurde, und der daher weniger als je zurücktreten zu können

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verschiedene: Die Gartenlaube (1854). Ernst Keil, Leipzig 1854, Seite 25. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1854)_025.jpg&oldid=- (Version vom 19.4.2020)