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Bedeutung machte. In seinen Schriften wie in seinen Vorträgen war er ein Muster von Klarheit, Eleganz und Geistesschärfe.

Arago war nicht blos Gelehrter. Vom Jahre 1830 an findet man seinen Namen auch mit der politischen Geschichte Frankreichs eng verknüpft und seine Betheiligung an den Ereignissen trug nicht wenig dazu bei, seine kräftige Constitution zu untergraben. Ihn half der Parlamentarismus aufreiben, dem Ludwig Napoleon ein Ende machte. Als ich im Sommer 1839 nach Paris kam, brachten mich Verhältnisse, die hier unerwähnt bleiben können, mit den sogenannten Männern des National, zu denen Arago seinen politischen Ansichten nach gehörte, in nähere Berührung. Bei Garnier-Pagès, dem damaligen Führer der Opposition, vereinigten sich diese Männer zumeist im geselligen Verkehr. Man traf dort den strengen Dupont de l’Eure, den liebenswürdigen Lafitte, Bethmont, Jolly, den schweigsamen Raspail, den unerschütterlichen Marrast, die demokratischen Buchhändler Pagnerre und Degouve-Denunques, den gewandten Bastide, den feurigen Dupoty und manch Andern noch; auch Arago kam zum öftern. Bei ihm hatte die Natur für einen großen Geist die entsprechende Hülle gewählt. Man kann selten eine stattlichere Gestalt gesehen haben, selten edlere und ausdrucksvollere Gesichtszüge als die seinen; in seinem Mienenspiel und seinen Bewegungen prägte sich die ganze Gluth des Südens, der ihn geboren, aus. Seine biegsame und klangvolle Stimme steigerte sich, wenn es die Gelegenheit mit sich brachte, zu gewaltigem Umfange; so standen ihm alle natürlichen Gaben der Rede zu Gebote, und bei seinem reichen wechselnden Vortrage fand er stets, ob er nun als Professor, Akademiker oder Deputirter sprach, aufmerksame Ohren. Der Mathematiker ließ sich insofern nie in seinen Reden verkennen, als er immer klar und bestimmt war, und die verwickeltsten Fragen zu allgemeiner Verständlichkeit zu bringen wußte.

So eifrig sich Arago auch der politischen Fragen annahm, so war er doch als Mann der Wissenschaft ungleich größer, denn als Politiker. Man konnte dies recht deutlich in den Zusammenkünften bei Garnier-Pagès gewahren. Ich glaube, seine wissenschaftlichen Arbeiten nahmen ihn zu sehr in Anspruch, um daß er sich hinlänglich mit politischen Studien befassen konnte, Politik aber mußte er als Franzose treiben, denn außerhalb der Politik ist in Frankreich wenig Ruhm zu ernten, und Arago liebte den Ruhm leidenschaftlich. Um des Glanzes willen, der seinen Namen umgab, sah sich Arago mit an die Spitze der demokratischen Opposition gestellt, er war dabei einer ihrer taktvollsten Wortführer und gab sich in der Kammer nie eine Blöße. Mit den meisten Franzosen theilte Arago das Gelüste nach dem Rheine, als Frankreichs natürliche Grenze, er konnte über diesen Gegenstand sehr eifrig sprechen und als Deutscher mußte man sich ihm gegenüber erinnern, daß eben jeder Franzose zur Stunde noch an dem traurigen Ruhmesvermächtniß des Kaisers zehrt.

Einige Jahre später hörte ich Arago am Grabe Garnier-Pagès’ sprechen und bei solchen Gelegenheiten war sein Vortrag von hinreißender Gewalt. Ein anderes Mal hörte ich ihn in der Kammer, als die Befestigung der Hauptstadt verhandelt wurde; er wandte zwar vergeblich den ganzen Zauber seines Wortes auf, allein seine Rede war nichts destoweniger ein Meisterstück, das weit hinaus über die engen Räume der Kammer wirkte. Die Februarrevolution führte Arago in die provisorische Regierung, nach deren Rücktritt er so ziemlich von dem politischen Schauplatz verschwand. Ein Triumph war ihm noch vorbehalten. Als Ludwig Napoleon die höchste Gewalt an sich gerissen und von allen Besoldeten des Staats den Eid der Treue verlangte, verweigerte Arago diesen Eid. Da beugte sich die Gewalt vor der Wissenschaft. Der Kaiser erließ dem Akademiker den Eid, um nicht das Vaterland der kostbaren Dienste desselben zu berauben. Es wurde hier auf beiden Seiten ehrenhaft gehandelt.

Daß Arago’s Verdienste von Seiten der wissenschaftlichen Welt die gebührende Anerkennung fanden, wurde schon gesagt; in mehr volksthümlicher Weise wurde sie ihm dadurch zu Theil, daß als er 1834 Großbritannien besuchte, die Städte Edinburg und Glasgow sich beeilten, ihm das Ehrenbürgerrecht zu ertheilen. Ebenso ernannte ihn der verstorbene König von Preußen, bei Stiftung des Ordens pour le merite 1842, zum Ritter desselben.

Die reichen Schätze seines Wissens hat uns Arago in einem umfangreichen literarischen Nachlaß aufgespeichert, worunter sich nebst Anderm ein höchst gediegener Abriß über „populäre Astronomie“ befindet, welche den Namen des Gefeierten mit neuem Ruhme umgeben wird. Arago macht dadurch die Sternenwelt dem Volke zugänglich. Noch größeres Aufsehen werden seine „Studien über die berühmtesten Erfindungen“ erregen, ein Werk, worin Alles, was Kunst und Wissenschaft hervorgebracht, auf das Erschöpfendste und Volksthümlichste behandelt ist. So hilft er noch nach seinem Tode die Schranken niederreißen, welche das Volk von der Erkenntniß der Wahrheit trennen.

Die rastlose Thätigkeit, mit welcher Arago Tag wie Nacht seinen wissenschaftlichen Forschungen oblag, hatte in der letzten Zeit sein Augenlicht merklich geschwächt. Die bei der Akademie einlaufenden Manuskripte, Memoiren, Berichte, Briefe u. s. w. mußte er sich daher vorlesen lassen. Dann in der Sitzung ließ er sich nur jedes Mal den Namen des Verfassers nennen, und erstattete hierauf mit bewundernswürdigem Gedächtniß Bericht über den betreffenden Gegenstand, dabei keine Forschung der alten wie neuen Zeit außer Acht lassend.

So starb er, 67 Jahre alt, in voller Geistesfrische, und ärmer wurde die Welt um eine ihrer schönsten Zierden; zu ihren Unsterblichen zählt sie aber Ihn, der, um ganz groß zu sein, nur etwas weniger hätte Franzos sein müssen.




Der alte Herr.

(Schluß.)

Den glänzenden Kreis von Denkern und Dichtern, der Karl August umgab, kennt die Welt. Schiller, Goethe, Wieland, Herder, Knebel, Einsiedel, Musäus und einige Zeit auch Jean Paul waren seine Freunde und meist seine Tischgenossen. Wodurch fesselte er die erhabensten Geister deutscher Nation an sich? spendete er ihnen Schätze und Reichthümer? Nein, er konnte bei den beschränkten Mitteln seines Landes jene Männer nur mäßig bedenken. War der Ort ein kleines Naturparadies, das poetische Gemüther und kontemplative Geister unwiderstehlich anzuziehen vermochte? Nicht doch! Weimar war damals einem großen Dorf oder kleinen Landstädtchen ähnlicher als dem Bilde, das man sich von einer Herzoglichen Residenz machen mochte. Das Schloß, im Jahre 1774 durch einen furchtbaren Brand verheert, lag Jahrzehnte hindurch als wüster Trümmerhaufen da. Karl August residirte mit seiner Gemahlin und dem Hof in dem sogenannten Fürstenhause, einem wenig ansehnlichen und an Raum beschränkten Gebäude. Die Stadt hatte etwa 7000 Einwohner, sie war von einer halbverfallenen Festungsmauer mit alten Thürmen und übel duftenden Wassergräben umgeben. Durch dunkle feuchte Thore ging man hinaus in eine wenig anmuthige Gegend, oder trat man aus dieser herein, in einen Complex kleiner unansehnlicher, meist noch mit Schindeln gedeckter Häuser. An beiden Seiten, unmittelbar vor der Stadt lagen Reihen alter Scheunen, deren Strohdächer von Alter, Regen und Wetter grau geworden waren, und auf welchen mannigfaltige Moose wucherten. Nur einige Hauptstraßen waren gepflastert, die meisten Gassen und Gäßchen lebten noch im Urzustand, hüllten im Sommer die Wandelnden in dicke Staubwolken, verwandelten sich bei Regen und Thauwetter in Tümpel und Schmutzlachen. Auf einem mächtigen Kuhhorn blies des Mittags der Hirt durch das Städtchen, klatschte mit einer Peitsche, welche die ganze Gasse todtesgefährlich durchschwirrte, herum, worauf sich Thüren und Thore aufthaten, und die Rinder brüllend heraussprangen, daß man schnell retiriren mußte, wenn man nicht Gefahr laufen wollte, aufgegabelt und in die Luft geschleudert zu werden.

Das ärmliche, dumpfe, düstere Bild ist jetzt verschwunden; aber damals war es so, wie ich beschrieben, und das konnte also jene Geister gewiß nicht für Weimar gewinnen, und sie

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verschiedene: Die Gartenlaube (1854). Ernst Keil, Leipzig 1854, Seite 17. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1854)_017.jpg&oldid=- (Version vom 19.4.2020)