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verschiedene: Die Gartenlaube (1854)

hereingetreten war, wo die servirte Tafel der Gäste harrte, „Dein Vater will durchaus das fremde Mädchen nicht im Hause dulden. Er ist sehr erbittert über Deine Großmuth, die er Leichtsinn nennt. Du kennst ihn ja und weißt wie unzufrieden er immer mit Dir und Deinen Handlungen ist. Du weißt auch, daß er den Groll nicht überwinden kann, daß Du gegen das Banquiergeschäft Widerwillen hast und poetische Studien treibst, mit welchen sich kein Geld gewinnen läßt. Du weißt das Alles, warum reizest Du seinen Zorn immer wieder von Neuem?“

Eduard sah so seelenvoll lächelnd zu der Dame empor und entgegnete: „Ich weiß es, liebe Mutter, aber ich denke nie zur rechten Zeit daran. Im entscheidenden Moment handle ich immer, wie’s mir das Herz eingiebt, und das ist gewiß jedesmal mit des Vaters Willen im Widerspruch!“

„Ach, ich kenne Dich ja!“ hauchte die Mutter ihm mit einem zärtlichen Kuß auf die hohe gedankenreiche Stirn. „Du müßtest nicht mein Kind und mir in allen Dingen so ähnlich sein, wenn Du anders thätest. Ich kenne das; denn es ergeht mir gerade so, und deshalb ist nie ein herzliches Einverständniß zwischen mir und Deinem Vater gewesen. Doch hat er wenigstens die Tugend, mir endlich nachzugeben, wenn ich beharrlich bin. Laß also den Sturm über Dich ergehen und gieb ihm gute Worte. Dann werden wir ja sehen, was für Deinen hübschen Schützling zu thun ist. Das verwaiste arme Kind macht übrigens keinen erhebenden, vielmehr einen beängstigenden Eindruck auf mich. Seine Schönheit kommt mir dämonisch vor; mir ist als drohe Dir oder mir Unglück von ihm.“

„Seltsam!“ sagte der Sohn. „Ich habe ein ähnliches dunkles Gefühl in Helenen’s Nähe, aber das darf mich nicht abhalten, ihr Wohlthäter zu werden. Sie hat auf Erden keinen Freund weiter als mich.“

„Mein edler Eduard.“

Ein sehr gewählt gekleideter Herr trat hastig herein und erwiederte die Grüße der beiden Anwesenden kurz und mürrisch; eine strenge, bornirte Physiognomie; ein Auge ohne Tiefe, eine Stirn ohne Schwung.

„Was sind das wieder für Streiche!“ redete er den jungen Mann zornig an. „Ein liederliches verlaufenes Komödiantenkind, eine junge Landstreicherin in mein Haus zu bringen! Wirst Du nie zu Verstand kommen? Ich fürchte, Du studirst Dich immer dümmer. Fort mit dem Pankert! Ich dulde das Mädchen nicht.“

„Mein Vater,“ sagte Eduard bittend, „ich fand das Kind arm und verlassen hinter der Leiche seiner Mutter. Es hat keinen Menschen auf der Welt. Was würden Sie gethan haben?“

„Dummheit! Wenn wir alle armen Verlassnen in unser Haus aufnehmen wollten, wir würden bald selbst keinen Platz darin haben. Wozu hat der Staat Armenhäuser? Ich zahle eine sehr hohe Armensteuer.“

„Sie haben Recht; aber ich bitte Sie um die einzige Vergünstigung, meinen kleinen Schützling nur einmal zu sehen. Mögen Sie dann selbst ihr Schicksal bestimmen.“

„Ich bitte Dich ebenfalls, lieber Bleimüller,“ nahm die Frau das Wort, „es könnte ja nichts Lächerlicheres geben, als glauben zu wollen, es käme Dir auf die wenigen Thaler an, welche das Mädchen kosten würde. Und überdies will sich ja Eduard die Gunst von Dir erbitten, ihre Erziehung aus seinen eignen Mitteln zu bestreiten. Es handelt sich also bei Dir nur um ihren Aufenthalt im Hause. So sieh sie Dir doch an. Du hast Dir ja stets eine Tochter gewünscht. Ich denke, die Kleine ist nicht unwürdig, die Stelle einer Tochter unsres Hauses einzunehmen.“

Der Hausherr brummte einige unverständliche Worte; die Mutter nickte dem Sohne lächelnd zu, der sich schnell entfernte. Einige Minuten später führte er seinen schönen Schützling herein. Sie war neu und sorgfältig gekleidet; ihre Toilette sehr nett. Mit großem Anstand verneigte sie sich, schritt stolz und anmuthig auf den sie überrascht anblickenden Hausherrn los, senkte ein Knie vor ihm, und hob die Hände bittend zu ihm empor. Aber sie that das Alles wie auf der Bühne. Keine Thräne stieg ihr in’s Auge.

„Aufstehn!“ befahl der Banquier.

„Wie alt?“

„Dreizehn Jahre.“

„Wie heißen?“

„Helene von Löbenstein.“

„Wer war Vater?“

„Oestreichischer Offizier.“

„Mutter?“

„Sie sagte mir oft, daß ihre Eltern sehr vornehme Leute gewesen, aber nie hat sie mir nähere Angaben darüber gemacht.“

„Johann, noch ein Couvert!“ befahl der Hausherr dem aufwartenden Diener.

„Sie bleibt!“ flüsterte die Mutter dem Sohne freundlich lächelnd zu und Eduard drückte ihr dankbar und mit verklärten Zügen die Hand.


2.

Sechs Jahre später an einem trüben Herbsttage bewegte sich ein imposanter Leichenzug aus der Stadt dem hohen Friedhofe zu. Trauermarschälle begleiteten den kostbaren Leichenwagen, auf welchem ein massiver polirter und mit Beschlägen versehener Sarg stand. Die Frau Geheime Finanzräthin von Bleimüller wurde begraben. Wieder folgte Eduard Bleimüller mit Helenen von Löbenstein dem Sarge, aber diesmal machte er den Weg in einem eleganten Stadtwagen, in welchem sich auch sein Vater befand. Der Finanzrath saß gleichgültig neben Helenen im Fond, welche eben so wenig Zeichen der Trauer und des Schmerzes an den Tag legte. Eduard hatte gegenüber Platz und weinte still. Er bemerkte es nicht, wie die Augen seines Vaters dann und wann mit einem seltsamen Ausdruck auf Helenen’s reizender Gestalt weilten. Wie üppig hatte sich die Schönheit dieses Mädchens entfaltet! Sie galt bei weitem für die reizendste Dame des ganzen Landes und Niemand machte ihr diesen Rang streitig. Aber sie war eine von jenen Schönheiten, welche gleichsam vernichtend auf alle Männer wirken. Bezaubernd, majestätisch, stolz, sich aller ihrer Vortheile bewußt und sie mit Berechnung benutzend, hochgebildet in allen Dingen, welche die Gesellschaft in den Kreis ihrer Bildung gezogen hat, mit ihren Augen alle Männerherzen in ihrer Nähe entzündend, blieb sie selbst kalt, ruhig und streng. Hundert Männer aus den vornehmen Ständen umschwärmten sie, keiner hatte noch auch nur den kleinsten Vortheil über sie errungen; ihr Hof war von ungeheurer Ausdehnung; sie blieb die stets einsame Königin der Feste. Die besten Partien würden sich für sie gefunden haben, wenn man gewußt hätte, ob sie Miterbin des Finanzraths sein werde. Niemand wußte etwas Näheres über ihr eigentliches Verhältniß zu dem reichen Hause, in welchem sie aufgewachsen war. Viele hielten sie für die Verlobte des Sohnes, der still seinen weitumfassenden Studien lebte. Helene selbst war viel zu stolz und abstoßend, um eine Vertraute zu haben. Heute im reichen Trauergewande glich sie der Königin der Nacht; ihre dämonische Schönheit war überwältigend.

Eduard weinte allein am Grabe der geliebten Mutter; er hatte in ihr sein Alles, seine einzige Freundin verloren. Wer verstand nun noch den stillen Schwärmer? wer hauchte ihm nun noch einen erfrischenden Kuß auf die heiße Stirn, wenn er aus den Dichtergärten des Orients mit Blüthen beladen zu ihr trat?

Als er heim kam, fand er einen versiegelten Brief auf seinem Schreibtisch, in dessen Überschrift er mit schmerzlicher Ueberraschung die Hand der Verstorbenen erkannte. Er erbrach ihn hastig und las:

„Mein theurer Sohn!

Wenn Du diese Zeilen durchliesest, bist Du von meinem Begräbniß zurückgekehrt; so hab’ ich’s angeordnet. Die Worte der Sterbenden machen tiefern Eindruck, als die der Lebenden, Die meinigen sollen Dich warnen vor – Helenen, sollen Dich beschwören, das Mädchen aus dem Hause zu entfernen, es sei auf welche Weise es wolle. Ich sehe in die Zukunft; die Ahnung, daß dieses Mädchen das Unglück unseres Hauses ist, steht klar vor meiner Seele. Laß Dich nicht von ihrer Schönheit bethören, mein Sohn; Du würdest als ihr Gatte der unglücklichste Mensch sein. Helene hat kein Herz; sie kann nicht Seele gegen Seele tauschen; denn die ihre ist starr und kalt; sie kann nicht weinen, denn sie fühlt nichts für Andre. Der Stolz ist das Element ihres Wesens; sie ist eine entsetzliche Egoistin. Ich habe sie in der letzten Zeit vielfach beobachtet und geprüft und bin mit Widerstreben zu der ausgesprochnen Ueberzeugung gelangt, aber ich wollte Dir durch Eröffnung derselben nicht weh thun, denn ich weiß, Du bist von

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