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verschiedene: Die Gartenlaube (1854)

No. 2. 1854.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Verantwortl. Redakteur Ferdinand Stolle.

Wöchentlich 1 bis 1 1/2 Bogen. Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 10 Ngr. zu beziehen.


Dreimal denselben Weg.

Ein frischer sonniger Julimorgen glänzt über den grünen baum- und buschreichen Gärten, welche die Stadt im weiten Umkreise auf Berghöhen und in Thalmulden umgeben. Auf einem Hügel, sanft ansteigend, liegt da auch der Garten mit der „Saat gesäet von Gott, am Tage der Ernte zu reifen.“ Ein junger Mann schreitet die Straße daher, welche von dem waldgekrönten Berge zur Stadt im Thale hinabführt. Er geht jenen träumerischen in sich selbst versunknen Schritt, eigenthümlich den Leuten, die sich nicht viel um die Außenwelt kümmern, höchstens ihre Schönheit auf sich einwirken lassen, von ihren häßlichen Erscheinungen aber kaum berührt werden. Man könnte ihn den Dichterschritt nennen. Die Erscheinung des jungen Fußgängers entspricht diesem Schritt vollkommen. Eine hohe schlanke Gestalt mit den edelsten Formen, der Antinouskopf von lichtbraunen Locken umflattert, ein träumerisches süßlächelndes Auge, das Antlitz ein Spiegel der reinsten Seelengüte, der schönsten Gefühle, der hochherzigsten Gesinnung. Die Rosen der Jugend blühen auf seinen Wangen; er kann kaum zwanzig Jahre alt sein, und doch hat sich schon so viel Ernst in diese Züge eingenistet. Er ist einfach, aber modern und sehr fein und propre gekleidet. Sein großes, braunes, tiefinniges und schwärmerisches Auge strahlt von der Fülle jungen Glücks; man sieht es ihm an, daß er sich in der ersten Frühe des köstlichen Tages eine ganze Tracht seliger Gefühle im reichen Bergwald geholt hat. So geht er heimwärts, still selig vor sich hinlächelnd, unverkennbar ein Dichter, ein glücklicher Dichter. Da begegnet ihm ein armseliger Leichenzug. Auf dem Armen-Leichenwagen der rohe Sarg, dürftig zugedeckt von einem dürftigen Leichentuche. Der Führer der trägen Pferde vorn, die Leichenfrau und ein junges Mädchen hinten, das war der ganze Conduct. Das Kind fiel dem jungen Poeten auf. Es konnte höchstens dreizehn Jahre alt sein, aber in seiner Gestalt lagen alle Keime einer ungewöhnlichen Schönheit; ein prächtiges, großes lebendiges Auge sprach blitzend von Ahnungen, die sich empor drängten, um zu Verständnissen zu werden; aus diesen zur Ausrundung sich emporringenden Formen verkündete sich ein starker und kühner Geist. Das Kind hatte ein verwaschnes Kattunkleidchen an, aber es schritt daher wie eine Fürstentochter. Das war etwas ganz Besonderes und Ursprüngliches. – Ueberrascht trat der junge Mann zu der Leichenfrau und fragte: wer hier begraben werde?

„Eine Schauspielerin,“ war die Antwort, „Madame Rosenthal. Sie ist vor vier Monaten hierher gekommen und hat ein Engagement gesucht, aber nicht gefunden, weil sie schon krank war. Sie ist an der Lungenschwindsucht gestorben, eine sehr hübsche und leidliche Frau, und hat nichts weiter hinterlassen, als ihr Töchterchen da, die Kleine.“

„Lebt der Vater des Kindes nicht mehr?“

„Wer kann’s wissen? Wie’s eben bei den Theaterleuten zugeht. Das arme liebe Geschöpf hat keinen Verwandten und Bekannten auf Gottes weiter Welt. Da steht sie wie sie ist, arm und verlassen und so hübsch und so gescheidt! Sie können’s kaum glauben, bester Herr! Daß sich Gott ihrer erbarme! Da könnten Sie sich einen Gotteslohn verdienen, wenn Sie Ihren Herrn Vater vermöchten, etwas für die arme Waise zu thun. Ich kenne Sie; Sie sind der junge Herr Bleimüller.“

Der junge Mann sah das Kind wieder an, dessen Antlitz von der Purpurröthe der Scham übergossen war und das Auge verlegen zu Boden schlug. Eine Fülle des schönsten dunkeln Haars wand sich in Geflechten um den edel geformten Kopf und fiel als Lockenschmuck in den Nacken. Das war eine Amorine, wie sie die üppigste Phantasie sich nicht reizender schaffen konnte. Er nahm ihre Hand und sagte leise: „Laßt uns gehen!“ Und so geleitete er die Leiche der armen Künstlerin schweigend und tief ergriffen zu Grabe.

Als der Sarg versenkt und mit Erde überschüttet wurde, weinte das Kind heftig und auch die Thränen des jungen Mannes flossen reichlich. Dann beteten sie still über dem geschlossnen Grabe.

„Willst Du mit mir gehen?“ fragte er das im Schmerz doppelt schöne Mädchen. „Ich will Dich in mein Vaterhaus führen und für Dich sorgen.“

Das Mädchen sah die Leichenfrau fragend an und diese trat mit ihr bei Seite und flüsterte: „An Dir hat Gott ein Wunder gethan, daß er uns den jungen Herrn entgegengeschickt hat. Er ist der einzige Sohn des steinreichen Banquiers Bleimüller am Altmarkt und ist auf der Universität. Geh, mein Kind, mit ihm. Nun ist Dein Glück gemacht. Ich gratulire Dir.“ Und sie nahm das Mädchen bei der Hand und führte es dem jungen Herrn Bleimüller zu. Mit einen Blicke seligster Empfindung nahm er sie in Empfang und wandelte mit ihr im freundlichen Gespräch nach der Stadt hinab.




„Wie ich es mir gedacht und Dir vorhergesagt habe, mein lieber Eduard,“ sagte eine vornehme Dame in feinster Morgentoilette, aus deren blassen, von Körper- und Seelenleiden zeugenden Zügen nicht nur die nächste Verwandtschaft des Bluts, sondern auch des Geistes und der Seele mit dem jungen Bleimüller sich kund that, zu diesem, der eben in den reich dekorirten Speisesalon

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verschiedene: Die Gartenlaube (1854). Ernst Keil, Leipzig 1854, Seite 13. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1854)_013.jpg&oldid=- (Version vom 19.4.2020)