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verschiedene: Die Gartenlaube (1854)

No. 1. 1854.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Verantwortl. Redakteur Ferdinand Stolle.

Wöchentlich 1 bis 1 1/2 Bogen. Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 10 Ngr. zu beziehen.

Katharina.

Auf Kamtschatka’s wilder Steppe
An dem eiserstarrten See,
Schreibt ein greiser Hochverräther
Seinen Namen in den Schnee.

Katharina ist der Name,
Der in seinem Herzen lebt
Und der Liebe grünen Epheu
In sein ödes Dasein webt.

Katharina ist die Rose,
Die Kamtschatka selbst verschönt,
Die mit Gott und seinem Kaiser,
Mit dem Schicksal ihn versöhnt.

Katharina ist die Taube,
Die den grünen Oelzweig bringt
In die Arche seines Herzens,
Das aus Lust und Leid zerspringt.

Katharina ist die Harfe,
Die zu ihm herüberklingt
Und ihm tausend süße Grüße
Aus der fernen Heimath bringt.

Katharina ist die Perle,
Die sein Aug’ in Thränen hüllt,
Katharina ist die Thräne,
Die mit Sehnsucht ihn erfüllt.

Dankbar gräbt er diesen Namen
In den eiserstarrten Schnee;
Jubelnd sproßt in seinem Innern
Liebeslust und Heimathsweh.
 O-r.




Zwei Verzweifelte.

Von Ludwig Storch.

Mitternacht war vorüber. Die Laternen auf der Blackfriarsbrücke in London leuchteten nur noch einzelnen Fußgängern. Von der City her schritt ein junger Mann hastig der Mitte der Brücke zu, von Southwark her schlich ein bejahrter Mann ihm entgegen. Noch stießen sie nicht zusammen, als der Letztere sich vom Wege rechts ab nach der Brüstung wandte und die augenscheinlichsten Anstalten traf, sich über dieselbe in die Themse hinabzustürzen. Der junge Mann war ihm gefolgt, und hielt ihn plötzlich zurück.

„Herr, ich glaube Sie wollen sich ersäufen?“

„Ihr Glaube ist richtig, Herr; aber was geht das Sie an?“

„Allerdings nicht das Mindeste. Ich wollte Sie nur um die Gefälligkeit bitten, noch einige Augenblicke zu verziehen und mir zu erlauben, die Partie mitzumachen. Lassen Sie uns einander fest umarmen und so vereint den Luft- und Wassersprung machen. Die Aussicht, mich mit einem mir blutfremden Manne, den ich in diesem Augenblick hier in derselben Absicht getroffen, die auch mich hierher geführt hat, zusammen zu expediren, ist zu pikant für mich, als daß ich Sie nicht bitten sollte, sich mit mir zu dem angegebenen Zwecke zu verbinden. Wahrlich, Herr, seid lange ist mir nichts so reizend vorgekommen; und ich hätte nicht geglaubt, daß mir in der Todesstunde noch so etwas Angenehmes widerfahren könne. Schlagen Sie ein, Herr; ich habe seit Jahren keine Bitte mehr an ein menschliches Wesen gestellt; verweigern Sie mir also die Erfüllung dieser einzigen und letzten nicht.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1854). Ernst Keil, Leipzig 1854, Seite 1. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1854)_001.jpg&oldid=- (Version vom 10.4.2020)