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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853)

Familie, Felder, Obstgärten und Rinder. Aber ich darf nicht daran denken, mir möchte das Herz brechen.

„Meine Heimath liegt – wie Sie vielleicht wissen, Sennores – fast zehntausend Fuß über dem Meeresspiegel und ist den furchtbarsten Erdbeben und Stürmen ausgesetzt. Das Dorf in welchem ich wohnte, hatte schon mehrmals von diesen Naturereignissen zu leiden gehabt, schon oft war unsere Wohnung ihres Daches beraubt und zum Theil zerstört worden; schon manchmal waren unsere Obstbäume entwurzelt worden und selbst ganze Baumgruppen, ungeheure Felsen und ganze Häuser spurlos verschwunden. Es war jedoch seit dem letzten Ereignisse dieser Art lange Zeit vergangen und wir lebten ruhig und zufrieden, unbekümmert um das Unglück, das da kommen konnte.

„In einer Nacht aber brach der zerstörende Sturm plötzlich wieder los, ohne daß außer einer ungewöhnlichen Röthe am Himmel irgend eine Warnung vorausgegangen war. Der lauteste Donner, der je gehört wurde, der furchtbarste Blitz der je das Auge geblendet hat – nichts würde genügen, um sich einen Begriff von den Ereignissen dieser Nacht zu machen. Die Erde bebte und stöhnte und öffnete sich weit unter unseren Füßen und um uns her. Wälder von riesenhaften Bäumen wurden entwurzelt und hoch in die Luft emporgeschleudert, wo sie mit furchtbarer Gewalt gegen einander stießen und dann wieder herabstürzten. Felsen wurden gespalten und von gähnenden Abgründen verschlungen oder in kleine Stücke zermalmt und wie Hagel vom Sturme umhergetrieben. Prangende Kornfelder wurden zerrissen und durch den Blitz in Flammen gesetzt, während der Donner der Wolken in der bebenden Erde unter uns ein Echo zu finden schien. Thiere wurden emporgehoben und in Abgründe hinabgeschleudert oder von dem Sturme hinweggetrieben, bis sie weit entfernt im Meere ihren Tod fanden. Hütten und Gebäude wurden überall zerrissen und zerstreut oder unter zusammenstürzenden Felsen begraben und mit ihren Bewohnern in der allgemeinen Erschütterung zu Staub zermalmt. Menschen wurden in die Luft geschleudert und von Ort zu Ort gejagt, bis sie in einer bodenlosen Tiefe unter der Erde ein Grab fanden. Aus den Ecken und Kanten der zusammenstürzenden Felsen brachen blaue und gelbe Flammen hervor und aus schwefeligen Schluchten entsprangen heiße Quellen. Das Geschrei und Geheul von sterbenden Thieren, das an sich gräßlich genug war, wurde von dem allgemeinen Aufruhr übertäubt. Der Regen goß in Strömen herab und Himmel und Erde schienen durch Rauchsäulen verbunden zu sein. Nur auf Augenblicke herrschte tiefe Dunkelheit, da ein leuchtender Blitzstrahl nach dem anderen den Horizont und das ganze Schauspiel hell beleuchtete. O welch’ eine furchtbare Nacht war das! Heilige Jungfrau, welch’ eine grauenvolle Zeit!

„Mein eigenes Haus war eines von den ersten, die zerstört wurden; es wurde augenblicklich zerschmettert und seine Bewohner wurden entweder unter den Trümmern begraben, oder gegen die Felsen geschleudert. Mich selber riß der Sturm in einen gähnenden Schlund, wo ich besinnungslos liegen blieb; ich fühlte den Felsen furchtbar erzittern, als ich wieder erwachte, aber der Abgrund schloß sich zum Glücke nicht. Außer mir war niemand von meiner Familie der allgemeinen Vernichtung entgangen. Am Morgen des nächsten Tages als die Erde zu zittern aufgehört und der Sturm seine Macht erschöpft hatte, verließ ich meinen Zufluchtsort und wanderte mit gebrochenem Herzen zwischen den Trümmern und Leichen umher. Welche Gefühle überwältigten mich, als ich nirgend eine Spur von denjenigen entdeckte, die mir theuer gewesen waren – als ich sah, daß ich das einzige menschliche Wesen war, das der furchtbare Aufruhr der Natur verschont hatte.

„Seit der Zeit bin ich ein einsamer trauriger Wanderer. Ich beschloß zur Erleichterung meines Elends nach andern Ländern zu reisen und habe dieses Gelübde gehalten; ich bin unter Beschwerden und Entbehrungen mühsam immer weiter nordwärts bis zu dieser Stadt gewandert und hier, denke ich, werden meine Wanderungen wohl bald ihr Ende finden.“

Was der arme Wanderer weiter zu seiner Vertheidigung mittheilte – seine Erzählung von der Art, wie er die Thorbeamten der Stadt getäuscht hatte, und von dem Diebstahle, zu welchem ihn der bittere Mangel veranlaßt, habe ich nicht aufgezeichnet. Es sei nur noch erwähnt, daß bei seiner Erzählung die Thränen stromweise über seine Wangen rannen, so daß selbst die Richter sichtbar gerührt waren. Das Verhör schloß mit der Abführung des Gefangenen in das Accordada und er hatte, nach dem elenden unsicheren Leben, das er in der letzten Zeit geführt, wohl kaum Ursache, diese Wendung der Dinge zu beklagen.




Blätter und Blüthen.

Zur Abbildung. Die Stadt Schumla in Bulgarien, von welcher wir heute unsern Lesern eine Abbildung mittheilen, ist für das Vertheidigungssystem der Türkei von höchster Wichtigkeit, indem die Stadt selbst als der Schlüssel zum Balkangebirge betrachtet wird. Das stark befestigte Schumla ist neun Tagereisen von Konstantinopel entfernt, und gilt für den natürlichen Wall des türkischen Reichs gegen Rußland, obschon es im Kriege von 1829 von dem General Diebitsch, der auch den Balkan überstieg, genommen wurde. Am Fuße des Balkan gelegen, ist Schumla ein um so günstigerer Mittelpunkt für die Operationen der türkischen Armee, als hier sämmtliche Straßen zusammenlaufen, welche nach den Festungen an der Donau, dem schwarzen Meere und in Thracien führen. Dies Alles waren Gründe genug, um daß Omer Pascha Schumla zu seinem Hauptquartier wählte.




Zugleich mit dieser Nummer wird die letzte dieses Jahrgangs, Nr. 52, ausgegeben.



Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853). Leipzig: Ernst Keil, 1853, Seite 560. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1853)_568.jpg&oldid=- (Version vom 14.4.2020)