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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853)

dem Gedanken an die nächste Zukunft des Müllers Lager zur Folterbank umschufen, drängte sich plötzlich das Bild des fremden Wanderers in seine Seele. Das Ränzel desselben, was so reichlich angefüllt war und beim Herabwerfen auf den Fußboden einen so seltsamen Klang von sich gegeben, was konnte wohl anderes darin sein als Gold? – und doch schien der junge Gesell nicht im Besitz großer Reichthümer zu sein, sonst wäre er gewiß nicht so sorglos durch diese einsame und unsichere Gegend allein umhergewandert, und hätte wohl nimmer sein Bündel so achtlos von sich geworfen, – – und dennoch, je länger er bei diesem Gedanken stehen blieb, je lebhafter zeigte ihm seine Phantasie die Möglichkeit, daß der junge Mann doch wohl Gold und Goldeswerth bei sich führe und daß er, im Besitz desselben gelangt, sich noch retten könne. –

„Der Wanderer da unten schläft fest,“ flüsterte es in ihm; „den weckt dein Schritt nicht aus ruhig stärkendem Schlummer. Geh hinab, untersuche sein Bündel, und hat er Gold bei sich –“ hu! – ein entsetzlicher Gedanke durchzuckte ihn. Kein Mensch hatte den Fremden kommen sehen, als seine Tochter und die Magd, kein Mensch würde denselben vermissen als diese Beiden, und wenn diese nach ihm fragen sollten, konnte er nicht vor Tagesanbruch wieder abgereist sein, ehe Beide erwacht? Keine Behörde würde hier nach ihm fragen, der ja in der Nacht nach jeder andern Richtung hin sich verirrt haben oder in irgend einen Abgrund hinabgestürzt sein konnte. – Oder – sollte er dem fremden Manne sich entdecken, sollte er ihn bitten um ein Darlehn, denn Gold, Gold, das wurde ihm von Sekunde zu Sekunde immer wahrscheinlicher, Gold mußte der Fremde bei sich führen! –

Nicht länger ließ es den Gefolterten ruhen, immer mehr gewannen diese aus wilder Fiebergluth der Verzweiflung auftauchenden Bilder Leben und Wirklichkeit, und langsam, um seiner Tochter Schlaf nicht zu stören, schlich er sich von seinem Lager weg und tappte im Finstern nach der zur Unterstube führenden Treppe. –

Aber auch Agathen war der Schlaf geflohen, und seit der ihr Herz so gewaltsam erschütternden Nachricht, daß nichts den Vater mehr retten könne vor Vertreibung aus Haus und Hof, daß nur ein Weg zur schmachvollen Vermeidung dieser Austreibung offen sei, durch des schwarzen Mattheus Gold, wenn sie demselben sich opfere, hatte Agathe mit unsäglichem Schmerz und stiller Verzweiflung zu kämpfen, und nur die Ankunft des jungen Mannes, dessen Bild sich so wunderbar schnell in ihr Herz eingeprägt, hatte die peinigenden Sorgen für die nächste Zukunft und die Bilder der bevorstehenden Schmach des Abzugs als Bettler von Haus und Hof auf kurze Zeit verdrängt. Aber eben jetzt in schlaflos stiller Nacht waren dieselben noch greller und fürchterlicher ihr wieder vor die Seele getreten. Sie batte des Vaters banges Seufzen und Stöhnen vernommen und sich gestellt, als ob sie schlafe; als aber dieser von seinem Lager sich schlich und zur Unterstube hinabstieg, da erfaßte sie der gräßliche Gedanke, der Vater wolle hinaus in die finstere Nacht, um in Verzweiflung sein Leben zu enden im kühlen Wasserschooße, wie er es schon mehrmals frevelnd verkündet, als Alles ihn verlassen. – Auch sie litt es nicht länger in der Kammer und rasch sich ankleidend, schlich sie behutsam wie der Vater geräuschlos die Treppe hinab. Plötzlich blieb sie hinter dem Vorsprunge der Wand am Ende der Treppe stehen. In der Unterstube wurde es hell, der Fremde schlief, o, er schlief so arglos und süß, aber der Vater, was trieb diesen zu dem Fremden? – Sie drückte sich mit laut klopfendem Herzen dicht hinter die halb offene Thür und sah, wie der Vater leise eine im Winkel des Zimmers stehende Axt zur Hand nahm, wie er dem Lager des Fremden näher trat, wie er zitternd dessen Ränzel vom Boden aufhob und wild verstört dabei auf den Schlafenden blickte, und als dieser im Schlafe unruhig sich auf die andere Seite warf, da – ha, das Blut starrte in ihren Adern, da sah sie, wie der Vater die Axt ergriff, und den Blick auf den Schlafenden gerichtet, diese zum Schlag bereit erhob. – Sie wollte aufschreien, aber das Entsetzen fesselte ihre Stimme; sie wollte hinstürzen zu dem Fremden, aber der Schreck lähmte ihre Füße. – Allmächtiger Gott! es war ihr Vater, ihr Vater, den sie im Verdacht hatte, sich das Leben zu nehmen, er war im Begriff, an dem fremden Gaste, der so arglos unter ihrem Dache schlief, zum Räuber und Mörder zu werden. – Sie mußte sich festhalten an dem Treppengeländer, denn sie fühlte, wie ihre Sinne schwanden und ihr Blick sich umflorte.

Jetzt öffnete der Vater das Ränzel - aber es entfiel seiner zitternden Hand und mit lautem Gepolter stürzte statt Gold eine Masse zerschlagenes Gestein auf den Erdboden. Mit einem Sprunge war der Fremde vom Lager auf und stand, rasch nach seinem Stock greifend, zum Kampfe bereit dem Müller gegenüber, diesem aber sank die Axt kraftlos aus den Händen und mit einem Blicke starren wilden Stumpfsinns schaute er auf die um ihn liegenden Steine, während der Fremde sich die letzten Spuren des Schlafs aus den Augen reibend, verwundert auf den jetzt nach einem Sessel taumelnden Müller blickte, auf welchen er mit tiefaufkeuchenden Athemzügen hinsank.

„Nun wahrlich! Ihr seid ein sauberer Gastfreund,“ rief jetzt der junge Mann und warf einen finster drohenden Blick auf den starr zu Boden blickenden Müller. – „Was habt Ihr denn in meinem Ränzel zu suchen gebabt?“

„Ich suchte Gold, um mich zu retten, und glaubte den Muth zu haben, Euch zu tödten, wenn ich es gefunden!“ stöhnte der Müller, auf dessen Stirn ein kalter Angstschweiß trat und dem ein fröstelndes Zittern den Körper durchschütterte. –

„Armer Mann! so tief also seid Ihr schon gesunken!“ sprach mitleidig der junge Mann. „Dann freilich muß es schlimm mit Euch gestanden haben, und obgleich ich vor Schlafengehen schon gewahr wurde. daß hier kein Glück und Segen heimisch sei, so glaubte ich mich doch bei zwar armen aber ehrlichen Menschen sicher, und nicht in eine Mörderhöhle gerathen zu sein. Darum ist es besser, ich scheide sofort von hier, und wenn ich nicht zum Verräther an Euch werde, so dankt dies der lieblichen Jungfrau, Eurer Tochter, deren Herz Ihr

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853). Leipzig: Ernst Keil, 1853, Seite 539. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1853)_547.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)