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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853)

sie seiner Obhut anvertraut hat. Er muß sie vertheidigen, meist auch zu Bette bringen, mit einem Worte, so lange bewachen, bis sie in Sicherheit und außerhalb des Bereiches der Diebe sind; denn es giebt Leute, denen Nichts heilig ist, die selbst Betrunkene ausplündern ohne Respekt vor Gott Bacchus, dessen warme Verehrer die Trinker sind.

Nicht Jedermann ist zum Schutzengel geboren. Man kann sich keinen Begriff von allen den Eigenschaften machen, die er haben muß. Er muß Proben und Prüfungen bestehen, wo mancher Doctor durchfiele. Ein guter Schutzengel muß nüchtern sein, sonst dürfte er mit seinem Schützlinge trinken, und das Elend wäre fertig.

Die Trunkenbolde wollen immerfort trinken, selbst wenn sie keinen Wein mehr vertragen. Kein Weib, die einen Schmuck haben will, kein Bewerber um einen Platz, wird so viel Künste, Umschweife, Schmeicheleien, gute Worte und Kniffe anwenden, als ein Trinker. Er bietet alle Zärtlichkeiten und Süßigkeiten einer Kokette auf, um zu seinem Ziele zu gelangen und weiter zu trinken. Da muß der Schutzengel fest bleiben, in keiner Versuchung schwanken, kerzengerade seinen Weg gehen, weder Bitten, noch Drohungen, noch Einschüchterungen nachgeben; er muß Muth haben, denn er muß denen gewachsen sein, die der Wein händelsüchtig macht; er muß mitten im Raufe Stich halten, wenn der Säufer auf der Gasse seinem bösen Genius nachhängt und die Vorübergehenden stößt und schlägt, die dann natürlich oft die Geduld verlieren. Und dann, welche Geduld muß er besitzen, um alle Faseleien zu begreifen, zu besprechen, zu bestreiten oder zu billigen, die der Wein in den erhitzten Gehirnen aufstöbert und die wie im Delirium oft aussehen, als spuke der Wahnsinn in den vollen Hirnschalen. Dann muß er die Lieblingsideen seines Schützlings schonen, ihnen schmeicheln, er muß für die tauben verstockten Säufer interessant werden, damit sie ihm zuhören. Ein Schutzengel könnte dann den feinsten Diplomaten Nüsse aufzuknacken geben; wie er es versteht, Einfall auf Einfall zu erwiedern, das Unwahre zu verfechten, um die Wahrheit am Ende zu lehren. Mit diesen seltenen Geistesgaben muß der Schutzengel rare körperliche Vorzüge verbinden. Ist er nicht gewandt, kräftig und flink, so taugt er in vornhinein Nichts, denn oft muß er seinen Mann auf den Schultern davontragen, um ihn der Versuchung und den Balgereien zu entreißen die an den Barrièren eben so häufig sind als auf dem Markte.

Nun bedenken Sie, alle diese Eigenschaften und Tugenden (denn wenn wir nicht die starrste Ehrlichkeit aufgezählt haben, so geschah dies, weil der Schutzengel selbst sie für so natürlich findet, daß er nie davon spricht), diese Gefahren, die er zu bestehen hat, der Verdruß, den er hinunterschlucken muß, werden wie Staatspapiere auf der Börse, gesucht und geschätzt. Und diese Männer, die so hochverehrt sind, verdienen äußerst wenig. Bei den Weinhändlern, die viel Zufluß haben, wo man singt und schreit, ist es Grundsatz, einen Betrunkenen nach Hause führen zu lassen. Dieser muß seinem Schutzengel wenigstens 10 Sous geben, seiner Freigebigkeit aber sind keine Schranken gesetzt. Wer diese Schuld nicht zahlen würde, könnte sich der Gefahr aussetzen, von seinen Zechbrüdern ausgeschlossen zu werden, denn er könnte die allgemeine Sicherheit derselben bedrohen. Denn in der That, sobald ein Mensch den Händen des Schutzengels übergeben ist, kann er am nächsten Morgen getrost sein Geld in seinen Taschen wieder suchen, er wird es finden und wären es 1000 Francs. So lange in Paris die Welt der Trunkenbolde steht, wird Keiner sich über die Ehrlichkeit oder auch nur über die Behandlung seines Schutzengels zu beklagen haben, denn zu allen oben aufgezählten Tugenden dieser Leute gehört auch noch die ausgezeichnetste Höflichkeit. Gewöhnlich haben sie die Kost bei dem Weinhändler, in dessen Boutike sie ihr Standquartier haben und dem sie allerhand kleine Dienste leisten.

Gewöhnlich ist der Schutzengel ein Schlag von Dichtern, ein Träumer, der das beschauliche Leben vorzieht, der Lazzarone von Paris; er ist mit Wenigem zufrieden und träumt von irgend einem geahnten Etwas! In der Regel verdient er wohl nicht mehr als 30–40 Sous des Tages, aber er hat dafür seine Sonntage und die gewissen Familienfeste. Und die Kunden haben Respekt vor ihm und erzeigen ihm allerlei Aufmerksamkeiten. Nie giebt man bei einem Weinhändler einen Schmaus, ohne ihn dazu einzuladen. Er lebt glücklich inmitten dieser allgemeinen Achtung und fühlt den Stolz seines reinen makellosen Gewissens; ohne sich etwas zurückzulegen, macht er nützliche Bekanntschaften für seine alten Tage. Man kennt zwei Schutzengel, die im Testamente mehrerer reichen Säufer bedacht wurden. Diese kamen gewöhnlich in der Schenke zur Gießkanne von Montparnasse zusammen. Trotz ihrer sonderbaren Vorliebe für den schlechten Wein um 6 Sous hatten diese reichen Herren im tiefsten Grunde ihres Herzens Erkenntlichkeit genug für zwei arme Teufel bewahrt, die ihnen so oft die gefährliche Lustbarkeit erspart hatten, unter freiem Himmel zu schlafen.

Neben diesen geraden, kräftigen, schönen Naturen muß ich Ihnen einen kleinen Mann vorführen, der mit seinem dicken Bauche und seinen dünnen Beinen wie ein Amphibium, halb Advokat, halb Angeklagter, in der Nähe des Justizpalastes herumkriecht, ein falscher Kerl, voll Rückhalt und Hinterhalt, versessen auf seinen Profit wie ein Teufel auf eine arme Seele. Dieser Mensch kontrastirt gewaltig mit unseren Schutzengeln.

Ich führe Sie hiermit in eine eigene Welt, die nur lebt, indem sie mit der einen Hand das bürgerliche und das Strafgesetzbuch hält und mit der andern die Früchte seines Betruges einkassirt; diese Leute studiren Jahre lang, um zu wissen, wohin sie den Fuß setzen müssen, um nicht auf einen Paragraphen des Codex zu stoßen, der ihr Schifflein scheitern machen könnte. Das nennt man, in ihrer Diebssprache, Themis in Schweiß bringen; und die Praktiker, die diese Profession ausüben, die also von Rathschlägen leben, die sie geben, um der Strenge der Gesetze zu entwischen, heißen die Lieblinge der Göttin.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853). Leipzig: Ernst Keil, 1853, Seite 533. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1853)_541.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)