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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853)

Zöglinge Acht zu haben und nicht das Wohl des Körpers derselben für das ganze Leben untergraben zu lassen. – Um zu einem richtigen Verständniß der Gefährlichkeit der Blutarmuth zu kommen und sich die Erscheinungen bei dieser Krankheit gehörig deuten zu können, muß man sich stets an die Unentbehrlichkeit des Blutes für das Leben des menschlichen Körpers erinnern (s. Gartenlaube No. 39 u. 45) und bedenken, daß dasselbe alle Theile des Körpers ernährt, die Quelle der Eigenwärme ist und rothen Theilen ihre Farbe verleiht, daß sonach Blutarmuth sich vorzugsweise durch schlechtere Ernährung, geringere Wärmeentwicklung und Blässe (Bleichsucht) andeuten muß. Die schlechtere Ernährung ruft sodann eigenthümliche Störungen bald in diesem, bald in jenem Organe hervor und deshalb sind die Krankheitserscheinungen nicht bei allen Blutarmen dieselben.

Krankheitserscheinungen bei der Blutarmuth. Die auffälligsten Erscheinungen schreiben sich vom Mangel der rothen Blutfarbe her und bestehen zunächst in Blässe der Haut. Die zarte Haut ist dabei nicht selten etwas wachsähnlich glänzend, ihre Bleiche hat einen Stich in's Gelbliche oder Grünliche; im Gesicht sehen blutarme Mädchen (Bleichsüchtige) manchmal ihrer hellrothen Wangen wegen „wie Milch und Blut“ aus und es schimmern, besonders an den Händen, die blutleeren Blutadern anstatt dunkelgraublau durch die Haut blaßblauröthlich oder violett hindurch. Die Blässe zeigt sich ferner noch: an den Lippen (besonders an ihrer innern Fläche), dem Zahnfleische, der Schleimhaut, welche die Mundhöhle auskleidet, der innern Fläche der Augenlider und an der Thränencarunkel (dem rothen Hügelchen im innern Augenwinkel). – Die geringere Wärmeentwickelung bei Mangel an Blut gibt sich durch kühle Haut, kalte Füße und Hände, häufiges Frösteln und leichtes Frieren des Patienten zu erkennen. – Die schlechtere Ernährung der Körpersubstanzen ruft außer allgemeiner Abmagerung auch noch in den verschiedenen Organen Erscheinungen gestörter Thätigkeit hervor; so wird die Haut dünn und trocken, die Muskeln werden mager und schlaff, so daß leicht Ermüdung bei Bewegungen und selbst Schmerz in denselben eintritt, den man gewöhnlich für einen rheumatischen erklärt. Das schlechter ernährte Herz klopft weit leichter und stärker; die matten Athmungsmuskeln und blutleeren Lungen bedingen Kurzathmigkeit, Gähnen und Seufzen; die Schwäche des Verdauungsapparates drückt sich durch Appetitlosigkeit, Magenkrampf (oft mit Brechneigung, Beschwerden nach dem Essen, Kollern und Poltern im Leibe und Verstopfung aus; die in ihren Wänden dünnen und schlaffen Blutgefäße zerreißen leichter und deshalb kommt es bei Blutarmen leicht zu Blutungen (besonders Nasen- und Menstrualblutung) und Blutfleckenbildungen in der Haut. Am zahlreichsten und mannigfaltigsten sind aber die Erscheinungen, welche ihren Grund in schlechter Ernährung des Gehirns, Rückenmarks und Nervensystems haben, denn dadurch werden hervorgerufen: Kopfschmerzen (Migräne), Rücken- und Nervenschmerzen der verschiedensten Art, Krampfzufälle (Veitstanz, Epilepsie, Hysterie), Gemüthsverstimmungen (Trübsinn, Verdrießlichkeit, Launenhaftigkeit, Aergerlich- und Weinerlichsein), Schwäche oder widernatürliches Aufgewecktsein des Verstandes, Sinnesstörungen (wie Ohrensausen, Flimmern oder Flecke vor den Augen, Schwindel, Lichtscheu), Ohnmachten.

Die Ursache der Blutarmuth ist, wenn nicht geradezu Blut verloren geht, stets ein Mißverhältniß zwischen dem Verbrauche und dem Wiederersatze von Blut. Hinsichtlich des Verbrauches muß man bedenken, daß Verluste an guten Blutbestandtheilen (wie beim Stillen der Säuglinge, bei hartnäckigem Durchfalle, bei Eiterungen u. dgl.), ebenso wie wirkliche Blutungen blutarm machen können, und daß das Thätigsein der Organe immer mit Blutverbrauch verbunden ist. So wird bei anstrengenden Körperbewegungen, bei stärkern und andauernden geistigen und gemüthlichen Erregungen, bei Schlaflosigkeit und Schmerzen, bei fortwährenden Reizungen der Empfindungsnerven (durch kaltes Wasser, Spirituosa, geschlechtliche Ausschweifungen u. s. f.), bei sehr schnellem Wachsthum, ziemlich viel Blut verbraucht und somit können alle diese angeführten Momente Ursachen der Blutarmuth werden. Was den Wiederersatz des Blutes betrifft, so könnte dieser aus verschiedenen Gründen nicht hinreichend sein; vielleicht weil überhaupt zu wenig Nahrung genossen wird; oder weil die Nahrung eine unzweckmäßige ist und nicht die Stoffe in der gehörigen Menge enthält, aus denen das Blut zusammengesetzt ist; oder weil trotz der an Menge und Beschaffenheit passenden Nahrung diese nicht gehörig zu Blut verarbeitet wird, wie dies bei Krankheiten der Verdauungs- und Respirationsorgane, bei Mangel an Luft, Licht, Wärme, Bewegung und gewiß nicht selten beim Mediciniren der Fall ist. In sehr vielen Fällen von Blutarmuth findet sich gleichzeitig beides, ebensowohl ein widernatürlich vermehrter Verbrauch, wie ein unnatürlich geringer Wiederersatz von Blut als Ursache vor.

Blutarmuth in den verschiedenen Lebensaltern. Daß Kinder blutarm auf die Welt kommen, ist bei unserer jetzigen Erziehung des weiblichen Geschlecht nicht zu verwundern, da man die Mädchen zu viel für die kurze Zeit des Brautstandes und zu wenig für die lange Zeit des Ehestandes vorbereitet. – Im Säuglingsalter und in den ersten Kinderjahren, wo die Blutarmuth entweder von zu wenig oder von falscher Nahrung herrührt, ist sie die gewöhnliche Ursache der sogenannten Hirnkrämpfe und der krankhaften Erscheinungen, welche dem hitzigen Wasserkopfe, dem Zahnen, der Magenerweichung und der Drüsendarre zugeschrieben werden. – Der Schulzeit verdankt die Blutarmuth, und zwar in Folge der falschen geistigen und körperlichen Behandlung der Kinder, vorzugsweise der Mädchen, am häufigsten ihr Entstehen, und schon von dieser Zeit an wird sie dann sehr oft bis in die späteren Lebensjahre verschleppt. – Im Jungfrauen- oder Jünglingsalter scheint die Bleichsucht zum guten Tone zu gehören, so verbreitet ist sie hier. Es wäre aber auch wunderbar, wenn bei der unnatürlichen Lebensweise unserer Jugend natürliches Blut in deren Adern flöß. Daß auch im reifern Lebensalter das Blut nicht seine richtige Menge

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853). Leipzig: Ernst Keil, 1853, Seite 531. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1853)_539.jpg&oldid=- (Version vom 13.2.2020)