Seite:Die Gartenlaube (1853) 523.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1853)

bestimmen, an welchem ich sterben werde. Ich bin mit der äußersten Um- und Vorsicht zu Werke gegangen. Ich vertraue Deiner Freundschaft; sie wird mein Werk nicht vereiteln. Ich fühle mich unaussprechlich glücklich, daß ich der Retter der Meinigen werden kann, und um so glücklicher, daß Keins von ihnen auch nur die leiseste Ahnung von meinem Liebesopfer hat. Wie Jesus Christus gehe ich für die Meinigen in den Tod.“

„Es ist unmöglich, meine Gefühle bei diesem Geständniß zu beschreiben. Ich saß wie erstarrt. Ich mußte den dem Tode verfallenen Menschen vor mir zu gleicher Zeit hochverehren und verdammen. Was sind alle berühmten Selbstmorde und Opfertode gegen diesen! Welche furchtbare über alles menschliche Maaß hinausgehende Charakterstärke gehörte dazu, seit Jahr und Tag gleichsam täglich zu sterben und diese Leiden auszuhalten! Ich warf mich weinend an seine Brust und rief: „Aber, Rudolf, geliebter Mensch, hast Du denn nicht bedacht, daß Du mit Deiner beispiellosen Aufopferung für die Deinen einen Betrug begehst? Du betrügst ja die Versicherungsbank, die Dir vertraut.“

„Ich habe diesen dunkeln Fleck in meiner That wohl erkannt. Aber diese Sünde ließ sich nicht vermeiden. Ich konnte und durfte ja nicht unschuldig sterben, wie mein Heiland. Aber sein Blut hat dafür gesorgt, daß mir diese Schuld wieder abgenommen werde. Unsere Kirche bietet nicht die rechten versöhnenden Reinigungsmittel für solche intricate Fälle. Ich bin heimlich zur ehrwürdigen und wahrhaftigen Mutter Kirche zurückgekehrt; sie hat den Sünder erbarmungsvoll in ihren Schooß aufgenommen und ihn mit ihrer unerschöpflichen Heilkraft von allen Sünden entlastet. Ich habe Absolution erhalten, liebster Freund, und gehe ruhig und heiter mit Gott und Menschen versöhnt hinüber, wo nicht Goldbesitz das Glück der Seligen ausmacht.“ Damit zog er ein Kruzifix aus seinem Busen und küßte es inbrünstig und andächtig. – –

„Meine Gemüthsbewegung an diesem Abend war so stark, daß ich selbst erkrankte. Rudolf Rommel starb nach einem Monat und hinterließ den Seinigen eine Police, welche ihnen ein großes Kapital in’s Haus brachte. In keinem der Betheiligten stieg eine Ahnung von seinem Opfertode auf. Friedrich und Louise wurden ein glückliches Paar und überließen dem Veit’schen Ehepaar das väterliche Geschäft in E., indem sie in der hiesigen Stadt ein bedeutendes Kaufmannsgeschäft begründeten. Die junge Frau Doctorin ist ihre Tochter. Ich zweifle, daß der Name des unseligen Schwärmers in diesem Hause jemals genannt worden ist. Am meisten hat mich eine spätere Aeußerung Veit’s geschmerzt. Ich deutete nämlich darauf hin, daß die hohe Versicherungssumme dem Rommel’schen Geschäfte sehr zu statten gekommen sein möchte.

„Ich verstehe Sie,“ versetzte er. „Ihre Aeußerung beweist, daß Ihnen Rudolf über unsere damalige Lage, wie er sie ansah, Mittheilungen gemacht hat. Aber er war im Irrthum. Wir standen keineswegs auf so schwachen Füßen. Diese Annahme war eine seiner fixen und verrückten Ideen. Er war ein viel zu schlechter Geschäftsmann, als daß er unsere Lage richtig hätte beurtheilen können. Er sah Gespenster am hellen Tage und ängstigte sich unnöthiger Weise ab. Es war gut für ihn, daß ihn Gott hinweg nahm.“

„Ich schauderte. Und was hattest Du gelitten und gekämpft, großes stolzes Herz! – Was ist denn eigentlich das Leben? Eine widerwärtige Posse, eine miserable Farce. Für welche Kreaturen hatte Rudolf den ungeheuern Kampf bestanden? Dort sitzt ein Paar davon. Was ich Ihnen da erzähle, ist keine Dichtung – es ist nur leider mir allzusehr Wahrheit.“

Schmidt schwieg mit einem grimmigen Gesicht. Ich war tief erschüttert und den ganzen Tag verstimmt und schweigsam.

L. St. 




Die unbekannten Gewerbe in Paris.

Nachdem ich Paris in allen Richtungen studirt hatte, gelangte ich zu der festen Ueberzeugung: Wenn mir Jemand sagen würde, daß in irgend einer entlegenen Gasse ein Mensch wohne, der Messergriffe aus alten Mondscheiben mache – ich würde es ihm glauben.

Paris hat meine ganze Verwunderung abgenützt; ich staune nicht mehr, mache keine Bemerkungen mehr, ich sehe und höre nur und sage mir: Es ist möglich! Ich habe auf meinen Gängen mitten durch die Stadt des Elends Alles gesehen! Ich habe Männer angetroffen. die das Talent Columb’s haben und jeden Tag irgend ein Amerika entdecken müssen, um am Tage einen Bissen Brot und in der Nacht ein Lager zu finden.

Kennen Sie einen Menschen, der Feuer verkauft? Nein; aber ich! Monsieur Jannier ist etwa 35 Jahre alt, seine Brust ist breit, seine Haare fallen auf den Nacken nieder, wie die Mähnen eines Löwen. Sein Gesicht ist offen und freimüthig; seine Sammetjacke mit den weiten Seitenflügeln, seine pludrigen Husarenhosen dazu geben ihm das Aussehen eines Ornamentenmachers, kein Pariser würde ihn für einen Geschäftsmann halten; kurz er sieht wie ein Künstler aus und er liebt auch die Kunst. Als er noch jung war, schwärmte er manchmal in den Weinkneipen der Barrièren, seitdem aber haben die Jahre seinen Verstand gereift, er hat Satan Lebewohl gesagt und den Werken des Teufels entsagt. Er geht allerdings noch sehr gern in die Boulevardtheater, wo man die sanftrührenden Thränen- und Schauerstücke zu Dutzenden giebt, aber seine Gedanken sind auf etwas Anderes gerichtet: er will Glück machen!

Jannier träumte von behaglichem Leben, vom Mittelstande,

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1853). Leipzig: Ernst Keil, 1853, Seite 515. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1853)_523.jpg&oldid=- (Version vom 15.4.2020)