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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853)

Schriftsteller Englands sind auch so elegant, davon nicht öffentlich zu sprechen, selbst wenn sie durchaus zu seinem Ruhme ausfielen. Die „gute Gesellschaft“ Englands ist in diesem Punkte bornirter, als irgend ein Volk der Erde und vielleicht der allerweiteste Gegensatz zu jenem alten Römer, der in einem Glashause zu leben wünschte, um stets von der Welt gesehen werden zu können, damit sie sich überzeuge, er sei privatim eben so gut, wie öffentlich. –

Macaulay gilt jetzt als der größte Geschichtsschreiber und literarisch-historischer Kritiker Englands, ohne sich in diesen Sphären wesentlich schöpferisch gezeigt zu haben. Worin er schöpferisch gewesen, was seine Größe ausmacht, besteht in der Erfindung und Ausbildung einer neuen englischen Prosa. Wie der berühmte Virtuose auf der Strohharmonika wußte er selbst den hölzernen, strohernen Lauten der englischen Sprache musikalische Klänge, Harmonien und Melodien zu entlocken. Das Sirenenhafte seines in Worten ausgedrückten melodiösen Gesanges besteht eben in der graciösen Gewalt, mit der er uns Zeile für Zeile, Seite für Seite mit sich fortreißt. Die Grazie und Eleganz der Form war in England, wo man „Geld macht“ und deshalb die „brodlosen Künste“ der Musen und Grazien ganz vergessen zu haben schien, ein hesonders großes Ereigniß, das man um so freudiger bewunderte, als hier der trostloseste Mangel an Schönheitssinn bereits vielfach zu einer Sehnsucht nach den „Göttern und Göttinnen Griechenlands“ ward. Die englische Revolution gab ihm einen gewaltigen Stoff. Die gebildete Welt nahm ihn wie ein großes, neues, welthistorisches Kunstwerk begeistert auf, weil ein großer, feiner Meister der Form ihn mit bezaubernden Schönheitslinien umgab.

Der Gedanke ist der Marmorblock, in welchem ein olympischer Zeus, ein Apollo, eine medicäische Venus schlummern. Es kömmt blos auf den schönen Formensinn an, mit dem man wegmeiselt, was von dem Block nicht zu der göttlichen Körpergestalt gehört. Deshalb also heiligen Respect vor der Form und vor Macaulay.

London, im Oktober. H. Beta.  




Lebens- und Verkehrsbilder aus London.

V.
Australien in London.


Im Osten von der Paulskirche oder der Londonbrücke durch die Labyrinthe der Straßen zu wandern, und in die Läden zu blicken und zu errathen suchen, was Alles darin steckt, ist vielleicht eine größere Aufgabe, als von Petersburg nach Paris zu reisen und auf diesem Wege zu sehen, was zu sehen ist. In jenen Theilen Londons schlummern australische Städte, mit Allem, was dazu gehört und noch viel mehr, nämlich gleich aller mögliche Luxus europäischer Civilisation. Aber diese schlummernden Häuser, Küchen, Betten, Kleider und tausenderlei fabelhafte Instrumente, die für australischen Goldboden gemacht sind, gehören schon zu dem Innern Australiens in London. Sehen wir uns erst das Aeußere an. In allen Theilen der Handelsweltstadt bemerkt man seit einiger Zeit große Gemälde, seltsame Ritter darstellend. Pferd und Reiter sehen Dich zunächst sehr fremdartig an. Erst in der Nähe erkennst Du das seltsame Springpferd Australiens, das Känguruh und den wilden bärtigen Mann, der darauf reitet, mit einem 100pfundigen Goldklumpen vor sich, als den glücklichen Goldgräber, der wie besessen dahin sprengt, um die neuesten Nachrichten an- und sein Geld durchzubringen. Diese Ritter zeigen an, daß in den betreffenden Läden die neuesten Zeitungen von Australien zu haben sind.

Dort schleppt sich ein ungeheurer Wagen durch das Verkehrsgewühl der Straße, und ein Goldklumpen, wie ein zweistöckiges Haus groß (in welchem der Fuhrmann sitzt), ladet Dich ein, Dich zu beeilen, da eben dieses und jenes eiserne, gekupferte Segel- oder Dampfschiff erster Klasse im Begriff steht, nach Melbourne oder Sidney abzugehen und nur noch wenige Plätze zu haben sind.

Um eine Ecke herum begegnest Du vielleicht einer Armee wandernden goldener Buchstaben, jeder beinahe so groß, wie ein Mann, wenigstens in dem Haupttitel, der allemal lautet: „Gold-fields of Australia“. Zwischen den großen Pappscheiben wandern die Träger dieser kolossalen Intelligenzblätter, 40–50–100, um sich erst durch ihre Masse bemerkbar zu machen und dann in die einzelnen Stadttheile zu vertheilen. In der Regel werden auf diese Weise neue Unternehmungen für oder in Australien angekündigt, Actiengesellschaften, die Goldfelder und goldene Berge gekauft haben und Dich an ihrem Gewinne Theil nehmen lassen wollen, Unternehmungen, die Dir die Sammlung des Reisegeldes erleichtern und dergleichen. Ueberall seit Jahr und Tag hast Du die Goldfelder Australiens an den Straßenecken kleben oder gar in goldenen Buchstaben vor Dir wandern sehen. Und da ist keine Straße mehr, worin nicht verschiedene Läden alle mögliche Verkaufsartikel mit großen Buchstaben für Australien empfehlen, vom Riesenwasserstiefel bis zu homöopathischen Apotheken, Pillen und Hemdenknöpfchen. Kein Buchladen ohne Karten Australiens von der Größe einer Hand bis zu der eines Scheunthorflügels, keine Zeitung, ja kein Lieferungsroman ohne Reisegelegenheit nach Australien. Vor kurzer Zeit spielten noch schöne blondlockige Kinder öfter vor jenem Hause, das so nett und freundlich aussah. Jetzt steht es blind und todt und verschlossen, nur ein Zettel redet noch und bietet es aus. Die ganze Familie ist spurlos verschwunden

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853). Leipzig: Ernst Keil, 1853, Seite 506. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1853)_514.jpg&oldid=- (Version vom 15.4.2020)