Seite:Die Gartenlaube (1853) 510.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1853)

gut, er traf sie eben so mit dem scharfen Worte. In demselben Verhältniß wie er als Maler Psycholog war, war er als Psycholog Maler. So faßte er denn jetzt auch den Doctor auf’s Korn und gab mir dann ein köstliches humoristisches Bild von ihm. Bei dieser Gelegenheit erkundigte er sich, aus welchem Hause die Frau Doctorin stamme. Kaum aber hatte ich den Kaufmann Rommel als den Vater derselben genannt, als Schmidt ungewöhnlich ernst wurde.

„Großer Gott!“ sagte er endlich mit einer an ihm ungewohnten Wehmuth, „weder dieser junge eitle Mann mit seinem auf den Geldsack seines Schwiegervaters basirten Begriff von seiner hohen Wichtigkeit, noch seine gute zimpferliche Frau ahnten, woher die klingende Basis ihres Wohlgefühls stammt! Kennten sie die Geschichte ihres Geldes wie ich, sie würden sich wahrscheinlich etwas weniger behaglich fühlen und dem Manne, dessen ungeheurer Selbstaufopferung sie es verdanken und an den sie vielleicht nie denken, eine Thräne des Schmerzes und der Bewunderung weinen. Aber so ist das Schicksal, ein wahres blindes unverständiges Fatum! Wem ist denn nun das furchtbare Opfer, der schauerliche, ein ganzes Jahr dauernde, stille, freiwillige Todeskampf eines der edelsten und besten Menschen zu gut gekommen? Dort diesem jungen Narrenvolk! Der Mensch macht zuweilen Anstrengungen als müsse er Berge versetzen, und der Erfolg ist, daß ein Anderer ihm Unbekannter oder Gleichgültiger mit Wohlbehagen seine Havannah zur Tasse Mokka raucht.“

„Woher kommen Dir plötzlich diese trübseligen Gedanken?“ fragte ich mit Theilnahme.

„Ich bin durch das junge glückliche Ehepaar an eine sehr tragische Geschichte erinnert worden, die Niemand weiter als ich in ihrem innern Zusammenhange kennt, und an einen edlen, hochherzigen jungen Mann, den ich sehr liebte, und dessen ganzen Werth ich auch allein nur kannte.“

„Darfst Du mir die Geschichte mittheilen?“

„Warum nicht? Der Mann, den sie betrifft, schläft schon lange den eisernen Todesschlaf, und Du wirst keinen unedlen Gehrauch davon machen.“

Wir setzten uns in eine abgelegene Partie des Gartens und er erzählte:

„Im soldatischen Felddienst unserer Friedenszeit lernte ich einen jungen Mann aus E. kennen, der als Freiwilliger zu meinem Regimente gestellt worden war. Er hieß Rommel, war Kaufmann und der Sohn eines dortigen Handlungshauses und einer der schönsten und liebenswürdigsten Männer, die ich jemals kennen gelernt habe. Was aber noch mehr war, er besaß einen festen unbeugsamen Charakter; wozu er sich entschlossen, wofür er sich entschieden hatte, davon war er durch nichts abzubringen; mit stiller eiserner Beharrlichkeit setzte er es durch, wenn nur irgend eine Möglichkeit dazu vorhanden war. Diese Eigenschaft machte ihn nach der einen Seite hin treu und unwandelbar in der Freundschaft, pünktlich und ausdauernd im Dienst und erwarb ihm die Achtung Aller, die ihn kannten, namentlich seiner Vorgesetzten, und er avancirte deshalb schnell genug zum Feldwebel; nach der andern Seite hin gab sie seinem Wesen zuweilen etwas Starres, Bitteres und Unzugängliches, und leichtsinnige, fröhliche Bursche, wie ja die meisten Soldaten sind, fühlten sich eben nicht von ihm angezogen. Auch mied er ihre Gelage und beschäftigte sich lieber mit großem Fleiße mit ernsten Studien und wissenschaftlicher Lectüre. In meinem Wesen mußte etwas ihn Ansprechendes liegen, so wie mir das seinige gefiel; wir wurden bald Umgangsfreunde, dann Herzensfreunde, ja wir liebten uns endlich, wie sich junge Männer in der Regel nicht zu lieben pflegen und wurden im Laufe der Zeit einander ganz unentbehrlich. Inzwischen bemerkte ich doch bald die Verschiedenheit zwischen uns beiden. Rudolf Rommel war zwar ein sehr tüchtiger Mensch und ehrenwerther Charakter, aber er war auch ein romantischer, in vielen Beziehungen überspannter Kopf und in manchen sogar ein Schwärmer. So beobachtete er im Umgange mit dem schönen Geschlechte eine gewisse Ritterlichkeit, die zuweilen an’s Lächerliche streifte, und vergötterte eine junge Dame seiner Vaterstadt als das Ideal von Tugend und Schönheit, dem in seiner Meinung jedes andere weibliche Wesen weit nachstand. Er verehrte diese seine Geliebte mit solcher Schwärmerei, daß er es sich für eine große Sünde angerechnet haben würde, auch nur mit einer Andern zu tanzen. Und doch gestand er mir, daß die Dame seines Herzens nicht seine Verlobte sei, daß überhaupt eine Liebeserklärung zwischen ihm und ihr nicht stattgefunden habe. Es wollte mich überhaupt aus seinen begeisterten und überschwenglichen Schilderungen bedünken, als kenne er das Mädchen gar nicht recht und schiebe ihrer körperlichen Gestalt eine geistige und seelische Vollkommenheit unter, die sie in der Wirklichkeit wohl schwerlich besitzen möchte. Selten verging ein Tag, wo er nicht in eine Art dithyrambischen Wahnsinns zu ihrem Preis ausbrach. Ein zweites Steckenpferd seiner romantischen Anschauungen war die deutsche Freiheit. Ich will nicht erörtern was er darunter verstand, aber ein wunderliches Ding war es jedenfalls, um so befremdender, als die Zeit des jugendlichen Paroxismus von 1817 weit hinter uns lag, und jeder klare vernünftige Mensch ein Urtheil über die öffentlichen Dinge unseres Vaterlandes haben konnte. Er sprach aber das Wort: „der König“, nie anders aus als mit einem gewissen ehrfurchtsvollen Schauer. Die Ideen des Königthums und der deutschen Freiheit schmolzen in ihm ganz zu einer zusammen, und sie bildete die Basis seines glühenden Patriotismus.

„Der dritte Gegenstand seiner etwas geräuschvollen und wortreichen Begeisterung war die christliche Religion, oder, um es genauer zu bezeichnen, die katholische Kirche. Obgleich als Protestant geboren und erzogen, hatte er doch als Jüngling in dem glänzenden Ritus der katholischen Kirche, wie ihn der zahlreiche Clerus seiner Vaterstadt beging, allein Befriedigung seines religiösen Bedürfnisses gefunden. Dennoch beabsichtigte er keinen Uebertritt. So bildeten denn Religion, Vaterland, Liebe, in brillanter romantischer Färbung und mit einer strahlenden Glorie umgeben die Trias, in welcher sein seelisches Leben vollkommen aufging. Damit war natürlich der mittelalterliche Ritter so ziemlich fertig. Alles, was sich nicht auf die Verherrlichung

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1853). Leipzig: Ernst Keil, 1853, Seite 502. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1853)_510.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)