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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853)

No. 47. 1853.
Die Gartenlaube.


Illustrirtes Familien-Blatt. – Verantwortlicher Redakteur Ferdinand Stolle.


Wöchentlich ein ganzer Bogen mit Illustrationen.
Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 10 Ngr. zu beziehen.


Selbstaufopferung.

Lebensskizze.

An einigen bestimmten Nachmittagen pflegte ich das Feldschlößchen, einen Vergnügungsort unfern der Stadt, in welcher ich mich eben aufhielt, zu besuchen, und traf dort in der Regel mit einer kleinen auserlesenen Gesellschaft zusammen, welche sich allmälig aneinander gewöhnt hatte. Zu ihr gehörte auch ein Miniaturportraitmaler, nicht nur als Künstler, sondern auch überhaupt als Mensch von hoher Genialität, aber auch so schroffer Eigenthümlichkeit, daß man ihn erst näher kennen lernen mußte, um Geschmack an ihm zu finden. Hatte man dieses Stadium des Umgangs mit ihm überwunden, so konnte man ihn liebgewinnen. Nie habe ich einen Menschen gefunden, der weniger Umstände gemacht hätte; er war ein natürlicher Feind aller Formen und Redensarten und hielt von den Menschen der heutigen Gesellschaft gar nichts. Dies war auch der Grund, weshalb er unverheirathet geblieben war; sein einsames Junggesellenleben hatte aber seine Ecken nur noch schärfer ausgebildet. Ueberdies verdankte er Niemandem etwas; von einem armen Bäckergesellen hatte er sich durch eigene Kraft zu einem sehr geschickten und geschätzten Künstler emporgearbeitet; er hatte nie eine Stunde Unterricht im Zeichnen oder Malen gehabt. Es wurde ihm nicht leicht, sich an einen Menschen innig anzuschließen; hatte er aber diese Schwierigkeit besiegt, dann hing er dem Freunde um so fester und treuer an. Ich hatte das Glück, seine Zuneigung im hohen Grade zu besitzen. Er hieß Wilhelm Schmidt, und in unserm kleinen Vaterlande werden sich Viele des originellen trocknen und barocken Mannes erinnern. Er ist in Armuth und Elend in einem Armenhause des Staats gestorben.

An jenem Tage traf ich ihn allein von unserer Gesellschaft im Garten des Feldschlößchens. Unfern von uns saß ein junges hübsches Ehepaar. Der Mann war Lehrer am Gymnasium, die Frau Tochter eines gutbemittelten Kaufmanns. Man sah es den Leutchen an, daß sie „etwas hatten“ und sich dabei wohlbefanden. Vorzüglich entfaltete der „Herr Doctor“ eine etwas auffallende Behäbigkeit; er war bis zu seiner Hochzeit ein ganz armer Schlucker gewesen.

Der Maler Schmidt hatte die Gabe, an jedem Menschen sogleich das Lächerliche herauszufinden; er traf die Leute nicht nur mit dem Pinsel überraschend

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853). Leipzig: Ernst Keil, 1853, Seite 501. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1853)_509.jpg&oldid=- (Version vom 15.4.2020)