Seite:Die Gartenlaube (1853) 503.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1853)

habsüchtigen Eltern mit derselben Miene verkauft, wie man in Deutschland arme Kinder als Knechte und Mägde vermiethet. An Kleidung haben sie kaum so viel, um die Legionen ihrer kleinen „Leibeigenen“ darin zu beherhergen. Ihr russisches National-Costüm ist eine Lumpe, die in bessern Tagen sich den Titel „Hemd“ anmaßte, und eine andere Lumpe, welche als Umschlagetuch, Rock, Unterrock, Bettdecke, Morgenrock, Ballkleid, Mantel und Handtuch zugleich dient, obgleich es zu dem geringsten dieser Aemter allein unfähig erscheint. Der Eigenthümer füttert sie unterwegs mit jener Stupidität, die allen Händlern mit lebendem Fleisch eigen ist, mit Wasser und Hirsenbrei. Sie sitzen auf dem Schiffe, eingepfercht wie Schafe, stumpf und stier in einander hockend, flüsternd zuweilen, manchmal unheimlich leise singend in jenen Moll-Liedern, die wie die klagende Psyche durch die russischen Steppen so oft gehört wird. Und warum sollte in diesen Gestalten, unter deren Schmuze in der Regel sich große Schönheit verbirgt, nicht eine Psyche mit farbigen Flügeln schlummern und im Traume der Verwahrlosung zuweilen leise Klagen singen?

„In Constantinopel angelangt, werden sie nur selten, in äußerster Geldverlegenheit, als Rohmaterial auf den Markt getrieben, sie kommen erst in eine große Culturwäsche, in eine „höhere Töchterschule“, um ihnen die Künste, sich bei dem künftigen Eigenthümer beliebt zu machen und seinem Geschmacke zu fröhnen, beizubringen. Große Massen von alten Weibern machen ein Gewerbe daraus, solche „höhere Töchterschulen“ zu leiten. Hier werden sie gescheuert, gekämmt, behackt, gehobelt, polirt und dann in theatralischer Gewandung auf den Markt gebracht. Hier stehen sie viel höher im Course, als eingeborne Techter, und manche wird mit 10–12,000 Thalern losgeschlagen. Das werden hernach die Mütter von Ministern und selbst von Sultans.“

Sehen wir sie uns in einem spätern Stadium, als Frauen, an, wozu freilich keine Familiencirkel für Fremde vorhanden sind. Wir müssen sie Freitags, ihrem Sonntage, belauschen, wo sie in der Regel Ausflüge nach den Ufern des Bosporus machen. Die reicheren Damen fahren dann in ihren „Equipagen“ d. h. Holzkarren ohne Federn, von Ochsen gezogen, 6–10 in einem einzigen Karren gepackt, der von irgend einem unterworfenen Ehemanne geleitet wird, bis die reizenden Ufer erreicht sind und er fortgeschickt wird. Hier singen und musiciren sie und trinken Rum dazu, Rum oder auch gemeinen Fusel. Dann hört man sie lachen und sich auf dem Grase herumkollern und alle mögliche Tollheiten ausüben, wie sie aus dem Gottes-Haupte des Alkohol zu springen pflegen. Ihre Montenegrinischen Dienstmädchen sind dann oft bald genöthigt, die Eine oder die Andere, wie einen schwerfälligen Sack auf den Karren zu laden und nach Hause zu fahren. Die, welche bei Sinnen bleiben, machen zunächst wilde Spaziergänge unter einer schönen Ulmen-Allee, die blos von weiblichen Wesen besucht werden darf, oder setzen sich zu Tausenden an einem grünen Abhange entlang, um den (verbotenen) Pantomimen einer jüdischen Bande zuzusehen. Männer und Fremde können von einem höhern Hügel her durch ein gutes Glas Alles sehen und die Beifallsstürme hören, mit welcher die jüdische Darstellungskunst begleitet wird. Die Emancipation der Türkinnen geht noch weiter und ist öfter polizeilich verboten worden, aber ohne den geringsten Erfolg. Nach dem „Theater im Freien“ machen sie zuweilen noch Ausflüge in die „christlichen“ Stadtteile von Galata und Pera, wo schon öfter Frauen verschwunden und nicht wieder zum Vorschein gekommen sind. Zuweilen hat ein eifersüchtiger Ehemann diese und jene in dem Zimmer hinter einem christlichen Laden gefunden und sie hängen oder ersäufen lassen, aber das hindert dergleichen Ausflüge in die christlichen Stadttheile nicht.

Diese Skizzen sind dem Buche eines Engländers: „Die Türken in Europa von Bayle St. John,“ Verfasser des „Dorflebens in Egypten“ entnommen, der als Reiseschriftsteller und Sittenschilderer verschiedener Völker sehr berühmt ist. Wir könnten natürlich noch manches Spiegelbild und manchen Charakterzug daraus übersetzen, aber die mitgetheilten Skizzen reichen schon hin, um uns zu überzeugen, daß die Türken, im Innern, in ihrer Nationalität, Sitte und Religion bereits aufgelös’t, auch äußerlich vollends auseinanderfallen müssen. Ob dieses Auseinanderfallen durch die Russen befördert werden kann und darf, ist eine Frage, die wir hier nicht zu erörtern haben. Europa wird sie verneinen.




„Rübezahl.“

Keine Dichtung aus dem Leben eines deutschen Dichters.
Von Ludwig Storch.
(Schluß.)


Die Frau Professorin warf einen halb bittenden, halb auffordernden Blick auf ihren Gatten, um die

beanspruchten mörderischen Entschlüsse in ihm zur Reife zu bringen, und ihre Augensprache enthielt etwas von dem mangelnden neuen Hut und dem entbehrten Envelöppchen. Aber der wackere Musäus, obgleich von beiden Seiten bestürmt, schüttelte lächelnd den frisirten und gepuderten Kopf, daß ihm der Haarbeutel wackelte und sagte: Nein, mein Herr! Zu einem solchen Fabrikat kann ich mich nimmer verstehen. Das ginge mir

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1853). Leipzig: Ernst Keil, 1853, Seite 495. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1853)_503.jpg&oldid=- (Version vom 14.4.2020)