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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853)

Viele Türken zeigen sich allerdings auch als gute Väter und Gatten, sogar nicht selten in dem Grade als Pantoffelhelden, daß sie sich nicht nur am Beiramsfeste, wenn sie die bei diesen Feierlichkeiten unentbehrliche Hammelkeule nicht schaffen, sondern auch an vielen Wochentagen geduldig prügeln lassen. Aber die Frau ist deshalb um nichts gebessert. Wird der Pantoffelheld eifersüchtig (eine besonders mächtige türkische Männerkrankheit), steckt er sie doch in den Sack und wirft sie in’s Wasser, ohne daß sie Jemand heraus- oder ein Gericht ihn zur Rechenschaft zieht.

In seinem alten Costüm war der Türke eine gar stattliche Erscheinung, eine malerische Augenweide und stand in poetischer Verbindung mit „Tausend und Eine Nacht“ und glänzenden Theaterstücken. Die Cultur, die alle Welt beleckt, hat ihm die wallenden Gewänder in einen magern Leibrock zusammengeschnitten und den künstlich gewundenen Turban in einen Hut ohne Krämpe verwandelt, den rothen Fez. Kleider machen Leute. Das Pariser Mode-Journal hat den Eroberern vorgearbeitet und die Türkei bereits unterworfen, so daß eigentlich den Schneidern der beste Theil dieses Morgenlandes gehörte. Das alttürkische Costüm verhüllte den Körper und dessen Mängel und gab selbst der Ignoranz und Barbarei den glänzenden Schein des Nationalen. Der Leibrock und die enganschließenden Beinkleider haben den Türken enthüllt und zeigen uns das säbelbeinige, zweifüssige Geschöpf. Die europäische Tracht hat in sich selbst etwas Komisches – Jahrtausende werden vergehen, ehe etwas Lächerlicheres erfunden wird, als der Leibrock mit weißem Halstuche – und den Türken hat sie von der erhabensten Höhe melodramatischer Erscheinung zu den Harlekins der niedrigsten Komik herabgestürzt. Erstens wissen sie noch gar nicht, wie man einen Frack trägt – man muß Jahre lang in die Tanzstunde und in feine Cirkel gehen, man muß das Leibrocktragen studiren, wie die Kunst, Gegenstände auf der Nase zu balanciren oder auf dem Seile zu tanzen, um ihn mit Anstand und Sicherheit zu tragen oder mit demselben geboren werden. – Manchmal ziehen sie blos einen Aermel an und lassen den andern mit den Flügeln hinten gemeinschaftlich Uebungen im Fliegen machen. Manchmal knüpfen sie ihn aber unter dem Adamsapfel zu, ohne nur einen Aermel anzuziehen, so daß sich die dürftigen Tuchstückchen jämmerlich abstrapaziren, als Mantel zu erscheinen. Und wie jener brave Bauer seinem Sohne auf der Universität seinen alten Rock mit den Worten schickte. „Hier, Wilhelm, schicke ich Dir meinen alten Rock, laß Dir einen neuen d’raus machen, Wilhelm!“ so lassen sich die ökonomischen Türken, um mit dem Zeitgeiste fortzuschreiten, aus ihrem noch nicht abgetragenen Weltbühnen-National-Costüm gelbe Leibröcke, grüne Hosen, blaue Westen und semmelblonde Vorhemdchen machen. Dabei kommt der ihnen eigenthümliche krumme Rücken und ihre nationale Säbelbeinigkeit mit Schrecken an’s Tageslicht. Sie sitzen zu Hause immer noch wie der Schneider in der „Hölle“ und haben einen schleppenden, latschigen Gang.

Ein Türke im Leibrock mit Vatermördern und Backenbart ist ein Mittel gegen Hypochondrie und Hartleibigkeit. Wer diesen Anblick recht genießen will, muß sich in eine der engen, schmutzigen Straßen Constantinopels hineinwühlen. Dort sieht er die regenerirten Türken herumschleichen als zweibeinige Schiebekarren, sohlenlose Latschen, festgehalten von Sprungriemen, einen gelben oder grünen Leibrock von Seide oder Kattun um die Schultern geworfen, berabhängenden Kopfes und mit allen Zeichen tiefster Beschämung. Sie fühlen sich im neuen Universal-Costüm wie der Vogel ohne Schwingen und der Fuchs ohne Schwanz. Mancher Türke eilt Abends nach Hause, blos um so bald als möglich den ungläubigen Leibrock abzuwerfen und die Gewandung ihrer Väter sechs bis zehn Mal mit dem weichen, seidenen Shawl zu umwinden. Nur dann fühlen sie sich wieder Mann, wie Simson mit dem Kopfhaar.

Nicht vergessen darf man dabei, daß der Leibrock, der einmal etwas Irreligiöses, Atheistisches in sich hat, die türkische Religion, die sehr viel Schönes und Edeles in sich birgt und in Gastfreundschaft, Großmuth und Worthaltigkeit herrlich offenbart, fast unmöglich macht. Der religiöse Türke muß täglich sich mehrmals niederwerfen – mit den Sprungriemen geht das nicht; muß sich täglich mehrmals waschen und baden – wegen des reformirten Aus- und Ankleidens unterläßt er diese auch des Klimas und Temperaments wegen sehr heilsame, religiöse Pflicht. Der Leibrock ist die Wurzel alles Uebels. Ein Türke in Pumphosen hält Wort, ein Mensch im Leibrock ist so scharfsinnig, daß er zehn Gründe findet, um sein Wort zu brechen, und traut deshalb auch seinem beleibrockten Bruder oft kaum, wenn er’s „schriftlich“ hat, mit Amtssiegel und einem Eide. Dieser Eid ist Mein Eid, denkt er, und nicht der deinige.

Der männliche Leibrock und die weibliche Leibeigenschaft tödtete die Türken an Leib und Seele. Das Weib ist nichts als der Mann in schönerer, weicherer, daher viel empfindlicherer Form. Daher ist das weibliche Geschlecht auch viel wichtiger in der Weltgeschichte, als sich Professoren der Geschichte träumen lassen, und ein viel deutlicherer Ausdruck der sittlichen, socialen und politischen Zustände eines Volks, als der Mann. Die georgischen Schönheiten, welche die Hauptschätze der Türken ausmachen und in Poesie und Malerei als Göttinnen von Rosengärten und Serails eine große Rolle spielen, sehen, nach der Natur gemalt, so aus:

Diese unglücklichen Geschöpfe, welche als regelmäßige Handelsartikel in Trebisond in Dampfschiffe gepackt und nach Constantinopel gebracht werden, kommen durchweg in einem Zustande an, der alle poetischen Gebilde gründlich vertreibt. Wer sich die Capitaine und Matrosen auf den Schiffen mit solcher Ladung denkt, ohne sie gesehen zu haben, wird diese vielleicht beneiden; die Sache ist aber, daß sich die schmutzigsten Matrosen sorgfältiger vor ihnen hüten, als vor einer Ladung Blutegel für den Markt von Marseille. Sie sind voller springender und kriechender Blutegel (wo ist jetzt die Rosengartenpoesie von Schiras?) ächter, russischer, nationaler Heerschaaren, außerdem krätzig. Sie wurden in Georgien von armen oder

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853). Leipzig: Ernst Keil, 1853, Seite 494. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1853)_502.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)